Entscheidungsstichwort (Thema)

Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus einem Wertpapiersammeldepot

 

Leitsatz (NV)

1. Wertpapiergeschäfte, die ein Sammel depot betreffen, führen zu einem Spekulationsgewinn i. S. des § 23 Abs. 1 Nr. 1 b EStG nur insoweit, als mit der erforderlichen Sicherheit feststeht, daß Anschaffung und Veräußerung innerhalb der Sechs-Monats-Frist liegen.

2. Der Gewinnberechnung nach § 23 Abs. 4 EStG sind in solchen Fällen Durchschnittswerte zugrunde zu legen (vgl. Senatsurteil vom 24. November 1993 X R 49/90, BFHE 173, 107 = HFR 1994, 391).

 

Normenkette

EStG § 23 Abs. 1, 4

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) kauften und verkauften 1985 und im Streitjahr 1986 Wertpapiere, die in einem Sammeldepot gehalten wurden. Hierbei handelte essich nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) u.a. um folgende Transaktionen:

a) K-Aktien

Kauf

18.11.1985

200 Stück

33 685,40 DM

18.12.1985

100 Stück

16 984,64 DM

09.01.1986

200 Stück

35 392,83 DM

12.02.1986

500 Stück

84 194,55 DM

Summe

170 257,42 DM

Verkauf

19.06.1986

500 Stück

84 293,00 DM

09.07.1986

500 Stück

71 896,75 DM

b) L-Aktien

Kauf

24.04.1986

200 Stück

48 399,90 DM

25.04.1986

200 Stück

47 391,60 DM

30.04.1986

200 Stück

45 576,66 DM

06.06.1986

200 Stück

43 257,57 DM

Summe

184 625,73 DM

Verkauf

19.06.1986

400 Stück

98 375,14 DM

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) errechnete hieraus mit Hilfe des "Lifo-Verfahrens" ("last in, first out" - in der Annahme also, die zuletzt angeschafften Wertpapiere seien jeweils zuerst veräußert worden) folgenden Spekulationsgewinn:

a) K-Aktien

Verkauf

19.06.1986

500 Stück

84 293,00 DM

./. Kauf

12.02.1986

500 Stück

84 194,55 DM

Überschuß

98,45 DM

Verkauf 9. Juli 1986: von den 500 verkauften Aktien wurden nach der Berechnung des FA 200 Stück innerhalb der Spekulationsfrist verkauft.

Erlös: (71 896,75 DM x 200 : 500) =

28 758,70 DM

./. Kauf

09.01.1986

35 392,83 DM

Verlust

6 634,13 DM

b) L-Aktien

Verkauf

19.06.1986

400 Stück

98 375,14 DM

./. Kauf

06.06.1986

200 Stück

43 257,57 DM

./. Kauf

30.04.1986

200 Stück

45 576,66 DM

Überschuß

9 540,91 DM

Außer diesem Gewinn berücksichtigte das FA im Einkommensteuerbescheid 1986 noch einen weiteren, unstreitigen Spekulationsgewinn aus Wertpapierveräußerungen von 6 206,92 DM, was insgesamt 9 212,15 DM ergab. Gegen den Ansatz der 9 212,15 DM wandten sich die Kläger im Einspruchsverfahren mit der Begründung, realistischer sei in solchen Fällen die Bewertung nach der "Fifo-Methode" ("first in, first out" - d.h. ausgehend von der Annahme, die zuerst angeschafften Wertpapiere seien auch zuerst veräußert worden). Der Rechtsbehelf blieb ohne Erfolg.

Im anschließenden Klageverfahren entwickelten die Kläger ihren Berechnungsmodus wie folgt:

a) K-Aktien

Verkauf 19. Juni 1986: Von dem Gesamterlös von 84 293 DM für 500 Stück müsse der Erlös von 200 Stück aus der Berechnung herausgehalten werden, da 200 Aktien mit Sicherheit länger als sechs Monate gehalten worden seien.

Erlös: (84 293 x 300 : 500) =

50 575,80 DM

./. Kauf

19.12.1985

100 Stück

16 984,64 DM

./. Kauf

09.01.1986

200 Stück

35 392,83 DM

Verlust

1 801,67 DM

Verkauf

09.07.1986

500 Stück

71 896,75 DM

./. Kauf

12.02.1986

500 Stück

84 194,55 DM

Verlust

12 297,80 DM

b) L-Aktien

Verkauf

19.06.1986

400 Stück

98 375,14 DM

./. Kauf

24.04.1986

200 Stück

48 399,90 DM

./. Kauf

25.04.1986

200 Stück

47 391,60 DM

Überschuß

2 583,64 DM

Infolgedessen sei außer dem unstreitigen kein weiterer Spekulationsgewinn anzusetzen. Das FG gab der Klage statt. Es ging davon aus, daß sämtliche streitigen Veräußerungsvorgänge innerhalb der gesetzlichen Frist getätigt worden seien, dem Grunde nach also auch insoweit ein (weiterer) Spekulationsgewinn hätte entstehen können, es jedoch rein rechnerisch hierzu nicht gekommen sei. Für die Bewertung komme weder das "Lifo-" noch das "Fifo"-Verfahren in Betracht. Es müßten vielmehr, weil sich hier die Anschaffungskosten nicht genau ermitteln ließen, im Wege der Schätzung Durchschnittswerte gebildet werden, und zwar auf folgende Weise:

a) K-Aktien

Anschaffung insgesamt

1 000 Stück zu

170 257,42 DM

Durchschnittspreis 170,26 DM pro Stück

Verkauf

19.06.1986

500 Stück

84 293,00 DM

./. 500 x 170,26 DM =

85 130,00 DM

Verlust

837,00 DM

Verkauf

09.07.1986

500 Stück

71 896,75 DM

./. 500 x 170,26 DM =

85 130,00 DM

Verlust

13 233,25 DM

b) L-Aktien

Anschaffungskosten für 900 Stück

184 625,73 DM

Durchschnittskosten = 230,78 DM pro Stück

Verkauf

19.06.1986

400 Stück

98 375,14 DM

./. 400 x 230,78 DM =

92 312,00 DM

Gewinn

6 063,14 DM

Hieraus errechnete das FG unter Einbeziehung des unstreitigen Spekulationsgewinns von 6 206,92 DM einen Gesamtverlust von . /. 1 800,19 DM. Wegen der weiteren Urteils begründung wird auf die Veröffentlichung in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 84 Bezug genommen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung formellen und materiellen Rechts. Zum einen sei der entscheidungserhebliche Sachverhalt unzureichend aufgeklärt worden: Ohne ersichtlichen Grund sei das FG davon ausgegangen, sämtliche Anschaffungen und Verkäufe seien innerhalb der Sechsmonatsfrist getätigt worden, und habe bei der Berücksichtigung der K-Aktien statt des ursprünglich von den Klägern angegebenen Kaufdatums, des 18. Dezember, den 19. Dezember 1985 angenommen. Zum anderen sei § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b des Ein kommensteuergesetzes (EStG) verletzt: Die Ablehnung der "Lifo-Methode" in Fällen der streitigen Art überlasse die Bestimmung des Besteuerungstatbestandes letztlich dem Steuerpflichtigen. Im übrigen bedürfe es nicht der Durchschnittsberechnung, wenn tatsächlich alle Vorgänge innerhalb der gesetzlichen Frist lägen. Sei dies nur zum Teil der Fall, müsse zeitlich zugeordnet werden; dann aber errechneten sich sowohl nach dem "Lifo-" als auch nach dem "Fifo-Verfahren" praktisch dieselben Ergebnisse wie nach der Durchschnittspreis- Schätzung des FG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --): Einerseits verletzt die erstinstanzliche Entscheidung materielles Recht, weil sie nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit erkennen läßt, inwieweit der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist. Andererseits sieht sich der Senat im Hinblick auf § 118 Abs. 2 FGO nicht in der Lage, eine abschließende Entscheidung zu treffen. -- Inwieweit außerdem formelles Recht verletzt ist, kann auf sich beruhen.

1. Wertpapiergeschäfte, die ein Sammeldepot betreffen, führen zu Spekulationsgewinnen i. S. des § 23 Abs. 1 Nr. 1 b EStG nur insoweit, als mit der erforderlichen Sicherheit feststeht, daß Anschaffung und Veräußerung innerhalb der Sechsmonatsfrist liegen: Es muß der Art und der Stückzahl nach ausgeschlossen werden können, daß auch Wertpapiere erfaßt werden, die sich für einen längeren Zeitraum im Depot befanden. Für die tatbestandsmäßige Abgrenzung in solchen Fällen eignet sich weder die "Lifo-Methode" noch die "Fifo-Methode" (vgl. dazu näher: Urteil des erkennenden Senats vom 24. November 1993 X R 49/90, BFHE 173, 107).

Daß diese Kriterien auch für das FG maßgeblich waren, läßt sich der Begründung des angefochtenen Urteils nicht entnehmen. Unklar ist insbesondere, wie die Vorinstanz zu der (wertenden) Feststellung gelangen konnte, sämtliche noch streitigen Veräußerungsvorgänge seien innerhalb der gesetzlichen Frist getätigt worden. Das erscheint vor allem hinsichtlich des ersten Verkaufs der K-Aktien vom 19. Juni 1986 zweifelhaft. Der Senat kann diese Zweifel anhand der vom FG festgestellten Tatsachen nicht beseitigen, zumal unklar ist, nach welchem System der streitige Teil der Transaktionen ermittelt wurde, so daß dem Senat auch eventuelle Grenzen für den Entscheidungsrahmen (Fixierung des Klagebegehrens und des "Verböserungsverbots") und für die Möglichkeiten des Saldierens verborgen sind.

2. Letztlich die gleichen Unsicherheiten gelten für die im Streitfall vorzunehmende Gewinnberechnung nach § 23 Abs. 4 EStG. Auch auf diese kann zutreffend weder das "Lifo-" noch das "Fifo-Verfahren" angewandt werden (erkennender Senat, a.a.O.).

3. Das FG wird im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats in eine erneute Sach- und Rechtsprüfung eintreten, die sich sowohl auf die Frage erstreckt, welche Wertpapiergeschäfte im angefochtenen Steuerbescheid dem Grunde nach zutreffend erfaßt sind, als auch darauf, inwieweit dies der Höhe nach zu Recht geschah.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65294

BFH/NV 1995, 195

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