Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Folgerungen aus dem Beschluß des BVerfG hinsichtlich Kinderbetreuungsaufwand für zurückliegende Veranlagungszeiträume; zu § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG i.d.Fassung vor Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 1997

 

Leitsatz (NV)

Erklärt das BVerfG nach Ergehen des Urteils aber noch vor dessen Zustellung eine entscheidungserhebliche Vorschrift als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und ordnet deren vorläufige Weitergeltung an, kommt eine Änderung der zurückliegende Veranlagungszeiträume betreffenden Entscheidung nicht in Betracht.

 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 8, §§ 33c, 32 Abs. 3-4, 7; GG Art. 20 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Münster (EFG 1997, 754)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 1991 und 1992 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Beide waren ganztägig berufstätig, der Kläger als stellvertretender Geschäftsführer (Gesamtbetrag der Einkünfte 112 316 DM und 119 259 DM), die Klägerin bis April 1992 als angestellte Ärztin (Gesamtbetrag der Einkünfte 116 304 DM und 42 290 DM). Zu ihrem Haushalt gehörten die im September 1988 geborene Tochter A und der im Mai 1992 geborene Sohn B. Sie beschäftigten im Jahr 1991 ganzjährig und im Jahr 1992 bis zum 30. April eine Haushaltshilfe.

In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1991 und 1992 beantragten die Kläger erfolglos die Berücksichtigung der Kosten für die Haushaltshilfe in Höhe von 12 000 DM (1991) und 10 918 DM (1992) nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Einspruch und Klage, mit der die Kläger geltend machten, § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG sei verfassungswidrig, blieben ohne Erfolg.

Das Urteil des Finanzgerichts ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 754 abgedruckt.

Mit der Revision machen die Kläger geltend, § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG verstoße gegen Art. 6 und Art. 3 des Grundgesetzes (GG).

Als verheiratetes, beiderseits berufstätiges Ehepaar mit nur einem Kind seien sie gegenüber einem in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Elternpaar mit einem Kind benachteiligt. Diese Ungleichbehandlung werde nicht durch den nur Eheleuten zustehenden Splittingtarif ausgeglichen, da bei beiderseitiger Berufstätigkeit das zu versteuernde Einkommen entsprechend höher und deshalb ein steuerlicher Vorteil nicht erkennbar sei.

Auch sei eine unterschiedliche Behandlung von Ehepaaren mit zwei Kindern und Ehepaaren mit nur einem Kind sachlich nicht gerechtfertigt. In beiden Fällen seien die Aufwendungen für eine hauswirtschaftliche Betreuung gleich hoch. Es sei zwar richtig, daß der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum habe. Er dürfe diesen aber nur im Rahmen der Verfassung ausfüllen.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt ―FA―) zu verpflichten, die geltend gemachten Aufwendungen als Sonderausgaben zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Die kindbedingten Aufwendungen der Kläger sind weder als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) noch als Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG) noch als außergewöhnliche Belastung (§ 33c EStG) abziehbar.

1. Die Kläger gehen zu Recht selbst davon aus, daß die Aufwendungen nicht als Werbungskosten abziehbar sind. Deren Berücksichtigung als Werbungskosten steht die Systematik des Einkommensteuerrechts entgegen. Danach sind Aufwendungen für die Betreuung von Kindern nur unter den Voraussetzungen der §§ 10 und 33 ff. EStG absetzbare Kosten der allgemeinen Lebensführung. Das gilt auch dann, wenn diese Aufwendungen Voraussetzung für die Berufsausübung eines Elternteils sind (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 5. Dezember 1997 VI R 94/96, BFHE 185, 8, BStBl II 1998, 211; vgl. auch BFH-Urteil vom 9. November 1982 VIII R 198/81, BFHE 137, 304, BStBl II 1983, 297). Von dieser Systematik abzuweichen, ist verfassungsrechtlich nicht geboten (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 11. Oktober 1977 1 BvR 343/73, 83/74, 183/75, 428/75, BVerfGE 47, 1, BStBl II 1978, 174 sowie Nichtannahmebeschluß vom 21. Juli 1988 1 BvR 1189/87, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1989, 108; BFH in BFHE 185, 8, BStBl II 1998, 211).

2. Ein Abzug als Sonderausgaben kommt nicht in Betracht. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG in der bis zum Jahressteuergesetz (JStG) 1997 geltenden Fassung können Aufwendungen des Steuerpflichtigen bis zu 12 000 DM im Kalenderjahr für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse als Sonderausgaben abgezogen werden, wenn aufgrund der Beschäftigungsverhältnisse Pflichtbeiträge zur inländischen gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet werden. Weitere Voraussetzung ist nach Buchst. a, daß zum Haushalt des Steuerpflichtigen zwei Kinder ―bei Alleinstehenden (§ 33c Abs. 2 EStG) ein Kind i.S. des § 32 Abs. 1 Satz 1 EStG― die zu Beginn des Kalenderjahres das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gehören. Leben zwei Alleinstehende, die jeweils die Voraussetzungen von Buchst. a erfüllen, in einem Haushalt zusammen, können sie den Höchstbetrag insgesamt nur einmal in Anspruch nehmen (Satz 3 der Regelung). Ungeachtet der weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift scheitert der Sonderausgabenabzug hier jedenfalls daran, daß zum Haushalt der Kläger bis zum Ende der Berufstätigkeit der Klägerin im April 1992 nur ein Kind gehörte.

3. Schließlich sind auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 33c EStG nicht erfüllt.

Nach § 33c Abs. 1 EStG können Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines zum Haushalt eines Alleinstehenden gehörenden unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Kindes, das zu Beginn des Kalenderjahres das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG abgezogen werden, soweit die Aufwendungen (u.a.) wegen Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen erwachsen. Nach Abs. 5 der Vorschrift gelten bei Ehegatten, die beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, die Absätze 1, 3 entsprechend, soweit die Aufwendungen wegen (körperlicher, geistiger oder seelischer) Behinderung oder Krankheit eines Ehegatten erwachsen, wenn der andere Ehegatte erwerbstätig oder krank oder behindert ist. Auch diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

4. Der erkennende Senat hat bei der Beratung der Sache in der Sitzung vom 2. Dezember 1998 die Revision in Übereinstimmung mit der ständigen BFH-Rechtsprechung (zuletzt Urteil in BFHE 185, 8, BStBl II 1998, 211, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird) als unbegründet erachtet. Die der Entscheidung zugrundeliegende Rechtsauffassung entsprach der ständigen Rechtsprechung des Ersten Senats des BVerfG, der wegen der situationsbedingten Unterschiede zwischen zusammenveranlagten Ehepaaren und Alleinstehenden bei beiderseits berufstätigen Ehegatten eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit der steuerrechtlichen Anerkennung von Aufwendungen für die Beschäftigung einer Haushaltshilfe zur Kinderbetreuung verneint hat (BVerfG-Urteil vom 3. November 1982 1 BvR 620/78, 1335/78, 1104/79, 363/80, BVerfGE 61, 319, 348 ff., BStBl II 1982, 717, 727; zuletzt Beschluß vom 24. September 1992 1 BvR 1443/89, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1993, 275).

5. In dem nach Ergehen des Senatsurteils, aber noch vor dessen Zustellung veröffentlichten Beschluß vom 10. November 1998 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91 (Finanz-Rundschau ―FR― 1999, 150) hat nunmehr der Zweite Senat des BVerfG ―ohne die Frage der Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG zu erörtern (vgl. § 16 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht)― entschieden, daß § 33c Abs. 1 bis 4 EStG seit seiner Einführung durch Art. 3 Nr. 19 des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 vom 14. Dezember 1984 (BGBl I 1984, 1493, BStBl I 1984, 659) einschließlich aller nachfolgenden Fassungen mit dem GG unvereinbar ist, soweit die in ehelicher Gemeinschaft lebenden, unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Eltern vom Abzug der Kinderbetreuungskosten wegen Erwerbstätigkeit ausgeschlossen sind. Weiter hat der Zweite Senat des BVerfG entschieden, daß § 32 Abs. 3 und Abs. 4 EStG seit der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Januar 1984 (BGBl I 1984, 113, BStBl I 1984, 51) und die Nachfolgevorschrift des § 32 Abs. 7 EStG seit der Neufassung des EStG vom 15. April 1986 (BGBl I 1986, 441, BStBl I 1986, 172) einschließlich aller nachfolgenden Fassungen mit dem GG unvereinbar ist, soweit die in ehelicher Gemeinschaft lebenden unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Eltern von der Gewährung des Haushaltsfreibetrages ausgeschlossen sind. Das BVerfG hat in der Entscheidung (unter B. II. 1. d) auch beiläufig ausgeführt, § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG in der bis zum JStG 1997 geltenden Fassung benachteilige eheliche Erziehungsgemeinschaften gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften.

6. Der erkennende Senat hat deshalb erwogen, ob durch die Entscheidung des BVerfG eine Änderung der Entscheidung veranlaßt ist, denn die Aufrechterhaltung einer noch nicht zugestellten Entscheidung, die auf einer verfassungswidrigen Norm beruht, verstieße gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor; denn nach der Entscheidung des Zweiten Senats des BVerfG sind die als mit dem GG unvereinbar erklärten Vorschriften zeitlich befristet weiterhin anwendbar: § 33c EStG bis zum 31. Dezember 1999 und die Regelung über den Haushaltsfreibetrag bis zum 31. Dezember 2001. Danach ist der mit der Verfassung nicht in Einklang stehende Rechtszustand bis zu den angeführten Zeitpunkten hinzunehmen; dies gilt ―entgegen einer z.T. vertretenen Auffassung (Glanegger, DStR 1999, 227)― auch für nicht bestandskräftige Einkommensteuerbescheide bis einschließlich 1999 (BFH-Beschluß vom 29. Januar 1999 VI R 176/90, DStR 1999, 276; Kanzler, FR 1999, 158). Denn anders als in den die Regelung der Kinderfreibeträge betreffenden Beschlüssen vom 10. November 1998 (2 BvL 42/93, 2 BvR 1220/93, 2 BvR 1852 und 1853/97, FR 1999, 139, 145 und 147 unter B. III. bzw. B. II.), in denen das BVerfG ausdrücklich zu Folgerungen für nicht bestandskräftige Fälle verpflichtet, hat der Zweite Senat des BVerfG die vorläufige Weitergeltung der Regelungen und im übrigen lediglich angeordnet, daß "im Blick auf die verfassungsrechtlich gebotene stufenweise Angleichung des geltenden Rechts … die Beschwerdeführer in den Verfahren 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91 und 2 BvR 980/91 einen Anspruch darauf (haben), daß der Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerden sich für sie auch für die jeweils anhängigen Veranlagungszeiträume in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden einkommensteuerlichen Entlastung auswirkt".

Für wie im Streitfall zurückliegende Veranlagungszeiträume ist danach der mit der Verfassung insoweit nicht in Einklang stehende Rechtszustand hinzunehmen. Daran ist der Senat gebunden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 56098

BFH/NV 1999, 1192

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