Leitsatz (amtlich)

Eine Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a aa) EStG 1962 ist nicht gegeben, wenn der Sohn eines Steuerpflichtigen nach Abschluß seiner kaufmännischen Ausbildung in dem elterlichen Betrieb in die Aufgaben des künftigen Betriebsinhabers eingewiesen wird.

 

Normenkette

EStG 1962 § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a aa

 

Tatbestand

Der Sohn der Steuerpflichtigen hat seine dreijährige Lehrzeit als Textilkaufmann im März 1959 beendet. Vom Oktober 1959 bis Ende September 1960 hat er die Textilfachschule in A besucht und ist anschließend als Volontär bei einer Firma in B tätig gewesen. Vom August 1961 bis Ende März 1963 ist er im Geschäft seiner verwitweten Mutter, einem größeren Textilwareneinzelhandelsunternehmen, im Hinblick auf die Stellung eines Betriebsinhabers ausgebildet worden, weil er den Betrieb mit Vollendung des 28. Lebensjahrs als Alleininhaber übernehmen sollte. Während seiner Tätigkeit in dem Geschäft hat er eine monatliche Vergütung von 120 DM erhalten.

Während das FA die Steuerpflichtige ohne Ansetzung eines Kinderfreibetrags zur Einkommensteuer 1962 veranlagte und den normalen Einkommensteuertarif anwandte, gab das FG der Klage der Steuerpflichtigen statt, mit der diese die Gewährung eines Kinderfreibetrags für ihren im Jahr 1962 24 Jahre alten Sohn und die Anwendung des Splitting-Tarifs begehrte. Das FG hatte insbesondere den Prokuristen der Steuerpflichtigen dazu gehört, inwieweit er den Sohn gerade im Hinblick auf seine spätere Tätigkeit als Firmenchef ausgebildet habe. Aufgrund der Beweisaufnahme war das FG zu der Auffassung gelangt, daß der Sohn im Sinn des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet worden und im wesentlichen auf Kosten der Steuerpflichtigen unterhalten worden sei.

Die Revision des FA rügt Verletzung geltenden Rechts. Der Sohn, so macht das FA geltend, habe im Streitjahr bereits eine abgeschlossene Ausbildung als Textilkaufmann gehabt. Eine Berufsausbildung müsse immer dann als abgeschlossen gelten, wenn die erhaltene Ausbildung die Schaffung einer Existenzgrundlage erlaube und der eingeschlagene Berufsweg die Ablegung weiterer Prüfungen nicht mehr vorsehe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision des FA ist begründet.

Das FG hat die Frage der Berufsausbildung von der der Berufsfortbildung nicht zutreffend abgegrenzt. Zu der Frage, wann eine Berufsausbildung abgeschlossen ist, hat der BFH insbesondere im Zusammenhang mit der Abgrenzung von Werbungskosten im Sinne des § 9 EStG wiederholt Stellung genommen. Nach dieser Rechtsprechung gehören die der weiteren Ausbildung dienenden Aufwendungen eines Steuerpflichtigen, dessen Berufsausbildung bereits abgeschlossen ist, zu den Fortbildungskosten und damit zu den Werbungskosten, die die entsprechenden Einkünfte des Steuerpflichtigen mindern; dabei hat der Senat wiederholt ausgesprochen, daß der Begriff "Fortbildungskosten" gegenüber dem Begriff "Ausbildungskosten" nicht zu eng gefaßt werden darf (so in den Urteilen VI 81/58 U vom 13. November 1959, BFH 70, 143, BStBl III 1960, 53; VI 110/62 U vom 24. August 1962, BFH 75, 606, BStBl III 1962, 488; VI 94/64 vom 9. April 1965, HFR 1965, 507; VI 152/65 vom 10. September 1965, HFR 1966, 74).

Der Senat hat allerdings bereits in dem Urteil VI 118/61 U vom 13. Oktober 1961 (BFH 74, 124, BStBl III 1962, 48) dargelegt, daß diese für die Abgrenzung von Ausbildungs- und Fortbildungskosten entwickelten Grundsätze nicht ohne weiteres auf die Frage der Gewährung eines Kinderfreibetrags im Sinn des § 32 Abs. 2 EStG übertragen werden können. Wenngleich der Senat hier ausgesprochen hat, daß Aufwendungen für die Ausbildung je nachdem Kosten der Berufsfortbildung oder Kosten der Berufsausbildung sein können, ob sie überwiegend von dem Auszubildenden selbst oder von dessen Eltern getragen werden, stützt sich das FG doch zu Unrecht auf dieses Urteil. Mag auch der Umstand, wer die Aufwendungen getragen hat, für die Einordnung der Aufwendungen als Kosten der Berufsausbildung oder als solche der Berufsfortbildung von Bedeutung sein, so kann das doch nicht dazu führen, daß eine eindeutig abgeschlossene Berufsausbildung letztlich nur aus steuerlichen Gründen nicht als abgeschlossen angesehen wird. Im Fall des Urteils VI 118/61 U (a. a. O.) handelte es sich um Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für den Sohn, der die Meisterschule besuchte. Der hier zu entscheidende Sachverhalt liegt wesentlich anders. Das FG hat zwar festgestellt, daß es sich bei dem Betrieb der Steuerpflichtigen um ein Unternehmen von beachtlicher Größe (rund 80 Beschäftigte, ein Umsatz von etwa ... Mio. DM und ein Gewinn von rund ... DM) handelt. Ihm mag auch zuzugeben sein, daß das Berufsziel des Sohnes der Steuerpflichtigen als künftiger Chef eines solchen Unternehmens es erfordere, sich in dem bereits erlernten Beruf eines Textilkaufmanns gründlich fortzubilden. Das berechtigt aber nicht zu der Annahme, daß der Sohn noch in der Berufsausbildung gestanden habe.

Der Sohn der Steuerpflichtigen hatte bereits seine abgeschlossene Lehrzeit einschließlich des Besuchs einer Fachschule und außerdem eine Volontärzeit von über 10 Monaten bei einer anderen Firma hinter sich. Bei diesem Ausbildungsstand muß davon ausgegangen werden, daß eine andere Firma, bei der er zum Zwecke weiterer Berufsfortbildung eingetreten wäre, ihm ein angemessenes Gehalt gezahlt hätte. Es braucht hier nicht geprüft zu werden, ob eine Volontärzeit als Ausbildungsoder Fortbildungszeit anzusehen ist. Jedenfalls kann im Streitfall, wo der Sohn der Steuerpflichtigen in die später von ihm zu übernehmende Firma eingetreten ist und in dieser die für die Leitung der Firma erforderliche Übersicht erwerben sollte, nicht mehr nur von Ausbildung die Rede sein. Dem steht nicht entgegen, daß die Steuerpflichtige ihrem Sohn nach dessen Eintritt in die eigene Firma kein angemessenes Gehalt gezahlt hat. Dafür können nur familiäre Verhältnisse ausschlaggebend gewesen sein, wofür auch die vom FG selbst festgestellten weiteren Zuwendungen der Steuerpflichtigen an ihren Sohn in Höhe von 9 489 DM sprechen. Daß diese Aufwendungen nicht über das Lohnkonto, sondern über das Privatkonto der Steuerpflichtigen verbucht worden sind, kann nicht, wie es das FG getan hat, als unwesentlich beiseite geschoben werden. Personen, die eine längere Berufsausbildung hinter sich haben, erhalten in aller Regel ein angemessenes Gehalt, auch wenn sie als Nachwuchskräfte für einen gehobenen Beruf noch gewisse Fortbildungsstationen zu durchlaufen haben. Selbst wenn die Steuerpflichtige ihrem Sohn kein bestimmtes Arbeitsgebiet zugewiesen hatte, darf doch nicht übersehen werden, daß der Sohn im Alter von 24 Jahren als künftiger Juniorchef im Unternehmen der Steuerpflichtigen eine gewisse Vertrauensposition besaß.

Danach hat die Steuerpflichtige, weil sie ihrem Sohn kein angemessenes Gehalt für die Tätigkeit im eigenen Unternehmen gewährte, zwar im wesentlichen die Kosten seines Unterhalts getragen. Sie kann daraus aber keinen Anspruch auf einen Kinderfreibetrag herleiten, weil es an der weiteren Voraussetzung, nämlich der Ausbildung für einen Beruf, fehlte. Das vom FG vorausgesetzte Berufsbild des Firmenchefs bzw. des Unternehmers gibt es nicht. Es mag im kaufmännischen Beruf das Berufsbild des leitenden Angestellten geben. Dieses Berufsziel wird aber nach Abschluß der eigentlichen Ausbildung erst durch mehr oder weniger lange Tätigkeit in der Praxis erreicht. Die Ausbildungszeit kann nicht einfach willkürlich verlängert werden, indem ein nach dem normalen Berufsbild voll ausgebildeter Kaufmann, der im elterlichen Betrieb tätig ist, sich ohne Übernahme eines bestimmten Arbeitsgebietes so lange nur informatorisch beschäftigt, bis er die Leitung des elterlichen Unternehmens übernimmt.

Das angefochtene Urteil war danach wegen Verkennung des Begriffs der Berufsausbildung im Sinn des § 32 Abs. 2 Nr. 2 EStG aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die rechtliche Beurteilung der Einspruchsentscheidung, daß der Steuerpflichtigen weder ein Kinderfreibetrag noch der Splitting-Tarif zustehe, entspricht der Rechtslage. Die gegen die Einspruchsentscheidung gerichtete Klage war deshalb abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68195

BStBl II 1968, 777

BFHE 1968, 301

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