Leitsatz (amtlich)

1. Bei doppelter Haushaltsführung können die Aufwendungen für eine Besuchsfahrt der Ehefrau Werbungskosten sein, wenn der Arbeitnehmer aus dienstlichen Gründen gehindert ist, selbst eine Familienheimfahrt zu unternehmen, und die Aufwendungen im Zusammenhang mit der unterlassenen Familienheimfahrt Werbungskosten sein würden.

2. Ein Arbeitnehmer, dem der Arbeitgeber Reisekosten mit geringeren Beträgen als den in den Lohnsteuer-Richtlinien enthaltenen Pauschsätzen ersetzt, kann den Unterschied in der Regel als Werbungskosten geltend machen. Eine Ausnahme gilt, wenn in der Ersetzung niedrigerer Aufwendungen eine durch das Arbeitsverhältnis bedingte, für den Arbeitnehmer zumutbare Weisung des Arbeitgebers zur Begrenzung der Aufwendungen zu sehen ist oder wenn sich offensichtlich eine unzutreffende Besteuerung ergeben würde.

 

Normenkette

EStG 1961 § 9 Abs. 1 S. 1; StDV 1962 § 20 Abs. 2 Sätze 1-3

 

Tatbestand

Der Kläger, von Beruf kaufmännischer Angestellter, ist im Jahre 1964 bei verschiedenen Arbeitgebern in der BRD beschäftigt gewesen. Seine Ehefrau ist ebenfalls tätig gewesen, und zwar in West-Berlin, wo sich der Wohnsitz der Eheleute (Steuerpflichtigen) befindet.

Im gemeinsamen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1964 machten die Steuerpflichtigen als Werbungskosten u. a. Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung sowie Reisekosten geltend.

Das FG gab der Klage, mit der Anerkennung der noch nicht berücksichtigten Aufwendungen als Werbungskosten begehrt wurde, teilweise statt.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

I. Revision des FA.

Das FG hat entsprechend dem Begehren der Steuerpflichtigen zusätzlich Kosten für eine Familienheimfahrt anerkannt. Es handelte sich um Fahrtkosten der Ehefrau anläßlich eines Besuches bei ihrem Ehemann. Nach Ansicht des FG kommt es darauf an, ob die Ehefrau die Fahrt zugleich als - vielleicht ohnehin unternommene - Urlaubsreise angesehen hat, nicht an.

Hiergegen bringt das FA vor, im Unterschied zu den bisher entschiedenen Fällen (Hinweis auf Urteile des BFH VI 14/65 U vom 3. November 1965, BFH 84, 207, BStBl III 1966, 75, und VI 209/64 vom 29. Januar 1965, HFR 1965, 373) sei im Streitfall nicht behauptet worden, daß der Steuerpflichtige wegen besonderer Umstände keine Familienheimfahrten habe machen können. Vielmehr habe seine Ehefrau die Reise in die BRD nach A. während ihres eigenen Urlaubs vom 5. bis 30. August 1964, und zwar mit dem gemeinsamen Kind, unternommen. Die Reise sei deshalb ihrem überwiegenden Charakter nach eine Urlaubsreise geblieben, so daß die Kosten nach § 12 Nr. 1 EStG weder ganz noch teilweise abzugsfähig seien. Das FA beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als die bezeichneten Reisekosten als Werbungskosten anerkannt sind.

Die Revision ist begründet.

Bei verheirateten Arbeitnehmern, die aus beruflichen Gründen einen doppelten Haushalt führen, sind durch Familienheimfahrten entstehende Kosten grundsätzlich nach § 9 EStG (§ 20 LStDV) Werbungskosten, weil die berufliche Veranlassung solcher Fahrten regelmäßig im Vordergrund steht (vgl. das Urteil des erkennenden Senats VI 219/64 vom 18. Februar 1966, BFH 86, 39, BStBl III 1966, 386). Der Begriff der Familienheimfahrt setzt nach seinem Wortlaut wie Sinngehalt voraus, daß der Arbeitnehmer von seinem Beschäftigungsort zu seiner Familie am Wohnort fährt. Eine Familienheimfahrt liegt mithin nicht vor, wenn der Arbeitnehmer am Beschäftigungsort von seiner Ehefrau oder anderen Familienangehörigen besucht wird. Dementsprechend hat auch der Gesetzgeber durch das StÄndG vom 23. Dezember 1966 (BGBl I 1966, 702 -, BStBl I 1967, 2) in § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 EStG (§ 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 3 LStDV) Familienheimfahrten als Fahrten vom Beschäftigungsort zum Ort des eigenen Hausstands und zurück bestimmt. Gleichwohl können die für einen Besuch der Ehefrau aufgewandten Kosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 20 Abs. 2 LStDV Werbungskosten sein. Der Senat hat dies schon in den Urteilen VI 209/64 vom 29. Januar 1965 (a. a. O.), und VI 14/65 U vom 3. November 1965 (a. a. O.) für besonders gelagerte Fälle ausgesprochen. Derartige Fahrtkosten können beruflich veranlaßt sein, wenn der Steuerpflichtige aus dienstlichen Gründen, z. B. weil durch eine Weisung oder Empfehlung des Arbeitgebers oder aus anderen dienstlichen Gründen seine Abwesenheit vom Dienstort nicht vertretbar oder nicht erwünscht erscheint, gehindert ist, selbst eine Familienheimfahrt zu unternehmen und die Aufwendungen im Zusammenhang mit der unterlassenen Familienheimfahrt Werbungskosten sein würden. Da die Vorinstanz den Begriff der Familienheimfahrt verkannt und den für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Sachverhalt noch nicht festgestellt hat, vermag der Senat nicht durchzuerkennen. Die Sache ist deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

II. Revision der Steuerpflichtigen.

Den noch streitigen Mehrverpflegungsaufwendungen auf Dienstreisen hat das FG die Anerkennung als Werbungskosten versagt, weil der Steuerpflichtige vom Arbeitgeber Reisekostenersatz in Höhe von 12 DM täglich erhalten habe, seine Aufwendungen also abgegolten seien. Hiergegen machen die Steuerpflichtigen geltend, ihnen seien Werbungskosten in Höhe der Differenz zwischen der Reisekostenerstattung durch den Arbeitgeber und den in den LStR enthaltenen Pauschbeträgen von 20 DM täglich erwachsen. In der Nichtanwendung der Pauschsätze durch das FG lägen ein Verfahrensmangel sowie eine Verletzung von Bundesrecht.

Die Revision hat Erfolg.

Wie der Senat in dem Urteil VI R 309/66 vom 4. August 1967 (BFH 89, 532, BStBl III 1967, 728) ausgeführt hat, können die Mehraufwendungen in der Regel ohne Einzelnachweise in Höhe der Pauschsätze, wie sie in Abschn. 21 Abs. 4 Nr. 3a LStR nach dem Arbeitslohn gestaffelt sind, anerkannt werden, weil die Pauschsätze als Schätzungen im Sinne von § 217 AO auf den Erfahrungen der Finanzbehörden beruhen und im Interesse der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen auch von den Steuergerichten angewendet werden sollen, solange sie nicht im Einzelfall offensichtlich zu falschen Ergebnissen führen. Besonderheiten ergeben sich, wenn der Arbeitgeber Reisekosten mit geringeren Beträgen als den Pauschsätzen ersetzt. Nach dem Urteil VI R 309/66 (a. a. O.) kann der Arbeitnehmer den Unterschied dann als Werbungskosten geltend machen, wenn er dartut, daß die Leistungen seines Arbeitgebers nur ein Zuschuß zu den tatsächlichen Reisekosten sein sollen. Feststellungen hierzu hat das FG, das noch von der früheren, eine Berücksichtigung des Unterschiedsbetrags ausschließenden Rechtsprechung des Senats ausging, nicht getroffen. Auch aus diesem Grunde war das Urteil aufzuheben.

Der Senat bemerkt hierzu noch folgendes: Grundsätzlich kann der Arbeitnehmer, wie etwa auch ein Gewerbetreibender, selbst bestimmen, welche Werbungskosten anläßlich der Ausübung seines Berufes erforderlich sind. Die Grenze wird im allgemeinen nur durch die Vorschriften des § 12 Nr. 1 EStG gezogen, die Lebenshaltungskosten für nicht abzugsfähig erklären. Bei Arbeitnehmern muß dazu berücksichtigt werden, daß sie kraft des Arbeitsverhältnisses in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert und verpflichtet sind, den aus betrieblichem Anlaß gegebenen Weisungen des Arbeitgebers Folge zu leisten, jedenfalls soweit die Weisungen nicht unzumutbar sind. Hiervon ist der Senat auch in seiner Entscheidung VI R 202/67 vom 15. Dezember 1967 (BFH 91, 164, BStBl II 1968, 395) ausgegangen und hat ausgeführt, bei einem Arbeitnehmer, der für seine Dienstfahrten seinen PKW benutzt, aber nur die Kosten der öffentlichen Verkehrsmittel ersetzt erhält, könne der Unterschied als Werbungskosten anerkannt werden, sofern nicht der Arbeitgeber aus vernünftigen Gründen die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel verlangt habe. Entsprechend diesen Grundsätzen muß das FG auch im Streitfall prüfen, ob etwa in der Ersetzung niedrigerer Aufwendungen durch den Arbeitgeber eine durch das Arbeitsverhältnis bedingte, den Steuerpflichtigen bindende Weisung zur Begrenzung der Aufwendungen zu sehen ist, ob also die Aufwendungen zulässigerweise mit dem Ersatz abgegolten sind. Ist das nicht der Fall, so kann der Arbeitnehmer die Höhe seiner Aufwendungen grundsätzlich selbst bestimmen. Die Geltendmachung des Unterschieds zwischen den Pauschsätzen und dem Arbeitgeberersatz als Werbungskosten könnte ihm dann nur verwehrt werden, wenn das offensichtlich zu einer unzutreffenden Besteuerung führen würde (vgl. auch Abschn. 21 Abs. 4 Nr. 3 Buchst. c, bb LStR).

 

Fundstellen

Haufe-Index 412965

BStBl II 1972, 67

BFHE 1972, 333

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