Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung - Unfalltod

 

Leitsatz (NV)

Zu den Anforderungen an die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Unfalltod eines nahen Angehörigen des Prozessvertreters.

 

Normenkette

FGO § 56

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ―eine KG― erzielte in den Streitjahren (1988 bis 1990) gewerbliche Einkünfte, deren einheitliche und gesonderte Feststellung vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) im Anschluss an eine Betriebsprüfung mit Bescheiden vom 20. Oktober 1993 geändert wurde. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.

Gegen die am 13. Februar 1998 abgesandte Einspruchsentscheidung hat der zunächst für das erstinstanzliche Verfahren bestellte Prozessvertreter ―Z― am 17. März 1998 Klage erhoben und zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass er die am Nachmittag des letzten Tages der Klagefrist (16. März 1998) verfasste Klageschrift nicht mehr ―wie vorgesehen― habe unterzeichnen können, weil er gegen 16.00 Uhr von dem plötzlichen Unfalltod seines Vaters telefonisch unterrichtet worden sei und daraufhin "unvermittelter Dinge" das Büro habe verlassen müssen, um zum Unglücksort zu fahren. Mit Schriftsatz vom 22. April 1998 hat der Prozessvertreter seinen Vortrag u.a. dahin präzisiert, dass er das Diktat betr. die Klageschrift seiner Anwaltsgehilfin mit dem Vermerk "Eilt, heute per Fax an FG …" übergeben habe und die so bezeichnete Post dem Rechtsanwalt noch am selben Tag zur Unterzeichnung vorgelegt werde. Da er sich jedoch am 16. März 1998 lediglich mit kurzen Worten bei der Telefonzentrale, nicht jedoch von seiner Anwaltsgehilfin ―Frau B― verabschiedet habe, sei diese ―in Unkenntnis der Ereignisse― davon ausgegangen, dass Z, der montags ständig zwischen 18.00 Uhr und 19.00 Uhr an seinem Schreibtisch arbeite, zur Unterzeichnung der Klageschrift zurückkehren und für die rechtzeitige Absendung sorgen werde.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage ―ohne Sachentscheidung― mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin nicht ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Klagefrist einzuhalten und ihr deshalb auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könne (§ 56 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Mit Beschluss vom 19. November 1999 hat der erkennende Senat die Revision zugelassen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Das Urteil der Vorinstanz ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Der Klägerin ist mit Rücksicht auf die am 16. März 1998 abgelaufene Klagefrist (vgl. §§ 366 Satz 2, 122 Abs. 2 Nr. 1 der AbgabenordnungAO 1977―; §§ 47, 54 FGO i.V.m. § 222 der Zivilprozeßordnung ―ZPO― und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches ―BGB―) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Folge zu gewähren, dass die Klage als rechtzeitig erhoben gilt (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 56 Rz. 1).

Zutreffend ist die Vorinstanz zwar davon ausgegangen, dass im Streitfall die Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO für die Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewahrt ist. Die Klägerin hat innerhalb dieser Frist zumindest im Kern die Tatsachen vorgetragen, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll, und diese Angaben mit Schriftsatz vom 22. April 1998 im Einzelnen erläutert und damit vervollständigt (vgl. hierzu Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 21. Februar 1995 VIII R 76/93, BFH/NV 1995, 989; vom 27. März 1985 II R 118/83, BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586). Die Vorinstanz hat jedoch verkannt, dass die Klägerin ohne Verschulden daran gehindert war, die Klagefrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO).

Hierbei ist nicht nur zu berücksichtigen, dass der für das erstinstanzliche Verfahren am letzten Tag der Klagefrist beauftragte Prozessbevollmächtigte (Z) durch die Mitteilung über den Unfalltod seines Vaters einer schweren seelischen Belastung ausgesetzt und es ihm demgemäß nicht zumutbar war, für die Unterzeichnung durch einen anderen Angehörigen der Sozietät sowie die Absendung der zuvor diktierten Klageschrift persönlich Sorge zu tragen (vgl. Beschlüsse des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 5. Juni 1981 I ZB 5/81, Versicherungsrecht ―VersR― 1981, 839; vom 6. März 1990 VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026; BFH vom 22. Juli 1991 III B 22/91, BFH/NV 1992, 257, m.w.N.). Hinzu kommt vor allem, dass ―entgegen der Ansicht des FG― im Streitfall keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass die von Z mit dem Diktathinweis "Eilt, heute per Telefax an das FG …" beauftragte Anwaltsgehilfin (Frau L.) nicht für die fristgerechte Absendung der Klageschrift gesorgt hätte, wenn sie über die Kanzleiabwesenheit des Prozessbevollmächtigten unterrichtet worden wäre (vgl. hierzu BGH-Beschluss vom 31. Juli 1997 VII ZB 36/96, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1998, 686).

Das Urteil der Vorinstanz ist demnach aufzuheben und die nicht spruchreife Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Diesem wird zugleich die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO). Gemäß § 8 des Gerichtskostengesetzes wird angeordnet, dass Kosten für das Revisionsverfahren nicht erhoben werden (vgl. hierzu Gräber/Ruban, a.a.O., Vor § 135 Rz. 19).

 

Fundstellen

Haufe-Index 613864

BFH/NV 2001, 1418

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