Leitsatz (amtlich)

Besitzt ein Steuerbescheid alle Merkmale einer Ausfertigung i. S. der BuchO, so ist der Bescheid an den Bevollmächtigten auch dann wirksam zugestellt, wenn er die Überschrift enthält: "Zweitschrift zur Kenntnisnahme".

 

Normenkette

VwZG § 2 Abs. 1 S. 1, § 17 Abs. 1

 

Tatbestand

Mit Einheitswertbescheid vom 15. März 1972 stellte der Beklagte und Revisionskläger (FA) den Einheitswert des der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) gehörigen Geschäftsgrundstücks auf 352 900 DM fest. In den Einheitswertakten befindet sich eine auf den Steuerbevollmächtigten der Klägerin lautende Vollmacht vom 12. Oktober 1971. Nach dem Inhalt dieser Vollmacht waren u. a. alle Steuerbescheide dem Steuerbevollmächtigten zuzustellen. Der Einheitswertbescheid wurde mit einfachem Brief der Klägerin verschlossen zugesandt. Der Bevollmächtigte erhielt eine Ausfertigung des Bescheides, die mit "Zweitschrift zur Kenntnisnahme" überschrieben war. Beide Bescheide wurden am 15. März 1972 zur Post gegeben.

Mit Schreiben vom 18. April 1972, beim FA eingegangen am 19. April 1972, legte der Bevollmächtigte der Klägerin Einspruch ein. Die Einspruchsfrist war am 18. April 1972 abgelaufen. Der Einspruch wurde daher als unzulässig verworfen.

Die Klage hatte Erfolg. Das FG vertrat die Auffassung, daß der Einheitswertbescheid an den Bevollmächtigten hätte zugestellt werden müssen. Die Zusendung einer "Zweitschrift zur Kentnisnahme" an den Bevollmächtigten stelle keine ordnungsmäßige Bekanntgabe dar. Bei objektiver Betrachtung, so führt das FG aus, habe der Bevollmächtigte den Bescheid als einen Hinweis ansehen können, daß er davon Kenntnis nehmen möge, seiner Mandantin sei ein Bescheid zugesandt worden. Infolge des nicht geheilten Zustellungsmangels sei eine Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt worden.

Mit der Revision beantragt das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage als unbegründet abzuweisen, hilfsweise, die Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Zur Begründung trägt es vor, daß der Vermerk "Zweitschrift zur Kenntnisnahme" nicht geeignet sei, dem Steuerbescheid den Charakter einer zustellungsfähigen Ausfertigung zu nehmen. Das Verfahrensrecht unterscheide nicht, wie die Vorinstanz angenommen habe, zwischen "technischer" und "untechnischer" Bekanntgabe. Der Bescheid sei an den Bevollmächtigten in dem Sinn zugestellt worden, daß das Schriftstück in der gesetzlichen Form übergeben und die Übergabe beurkundet worden sei. Der Empfänger sei in die Lage versetzt worden, vom Inhalt des Schriftstücks Kenntnis zu nehmen. Bei der an den Bevollmächtigten abgesandten Zweitschrift handle es sich um einen inhaltlich vollständigen, mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Steuerbescheid. Der Umstand, daß es sich um eine Ausfertigung der vollständigen Abschrift eines Steuerbescheides gehandelt habe, sei mit dem Vermerk "Zweitschrift" zutreffend gekennzeichnet.

Das FA wendet sich schließlich gegen die Auffassung der Vorentscheidung, § 9 Abs. 1 VwZG sei nicht anzuwenden. Es beruft sich dabei auf die Entscheidung des BFH vom 8. Februar 1972 VIII R 14/68, BFHE 105, 85, BStBl II 1972, 506.

Die Klägerin beantragt dem Sinne nach, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie hält das Urteil der Vorinstanz für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß der Einheitswertbescheid vom 15. März 1972 an die Klägerin selbst nicht zugestellt werden durfte, da deren Bevollmächtigter durch schriftliche, dem FA übergebene Vollmacht zur Empfangnahme der Steuerbescheide ermächtigt war. Unter diesen Umständen hatte das FA kein Wahlreicht mehr, ob an den Steuerpflichtigen selbst oder an den Zustellungsbevollmächtigten zuzustellen sei. Die Zustellung an den Steuerpflichtigen selbst war daher im Streitfall unwirksam (BFH-Entscheidungen vom 13. April 1965 I 36, 37/64 U BFHE 82, 391, BStBl III 1965, 389; vom 11. Juli 1962 II 127/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962 S. 331).

2. Entgegen der Auffassung der Vorentscheidung war jedoch die Zustellung an den Bevollmächtigten wirksam. Die Zustellung besteht in der Übergabe eines Schriftstücks in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift (§ 2 Abs. 1 Satz 1 VwZG). Nach § 17 Abs. 1 VwZG kann die Zustellung von schriftlichen Bescheiden und Entscheidungen im Besteuerungsverfahren dadurch ersetzt werden, daß sie dem Empfänger durch einfachen Brief verschlossen zugesandt werden (§ 17 Abs. 1 VwZG). Diese Vorschrift enthält aber nichts darüber, ob Gegenstand der Zustellung die Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift ist. Da nach § 17 Abs. 4 VwZG i. d. F. vor dem Gesetz zur Änderung des Verwaltungszustellungsgesetzes vom 19. Mai 1972 (BGBl I 1972 S. 789, BStBl I 1972, 396) die Urschrift des abzusendenden Schriftstücks bei den Akten zu verbleiben hat, bleibt keine andere Möglichkeit, als eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift zuzustellen, wie es auch in der allgemeinen Vorschrift des § 2 Abs. 1 VwZG vorgesehen ist.

Nach der maßgeblichen Verwaltungsvorschrift des § 18 Abs. 1 der Buchungsordnung für die Finanzämter (Buch O) ist, wenn ein Steuerbetrag zu erheben ist, ein Steuerbescheid auszufertigen. Gesetzliche Vorschriften über die äußere Form der Ausfertigung, wie sie z. B. § 317 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung i. V. m. § 155 FGO für gerichtliche Entscheidungen enthalten, fehlen für die Ausfertigung von Steuerbescheiden. Nach der lediglich für die FÄ verbindlichen BuchO wird der Steuerbescheid mit dem Abdruck des Dienststempels des FA oder mit dem Namen des Vorstehers des FA oder des zuständigen Sachbearbeiters unterdruckt oder unterstempelt. Die Rechtsprechung hat es gebilligt, daß ein schriftlich zu erteilender Bescheid nicht handschriftlich unterzeichnet oder mit einem Ausfertigungsvermerk versehen sein muß (BFH-Urteil vom 6. Juli 1967 IV 274/62 BFHE 89, 460, BStBl III 1967, 682).

In dieser Form ist der Einheitswertbescheid dem Steuerbevollmächtigten nach den unwidersprochenen Ausführungen des FA zugestellt worden. Dem Bevollmächtigten eine Ausfertigung des Bescheides zuzustellen, entsprach auch dem Willen des FA, wie sich aus der bei den Akten befindlichen Verfügung auf dem Eingabewertbogen ergibt, wonach "je eine weitere Ausfertigung" an den Bevollmächtigten abzusenden ist.

3. Besaß der Bescheid alle Merkmale einer Ausfertigung i. S. der BuchO, so konnte daran die Überschrift "Zweitschrift zur Kenntnisnahme" nichts ändern. Eine solche Überschrift ist zwar in der BuchO nicht vorgesehen. Da aber gesetzliche Vorschriften über die Ausfertigung von Steuerbescheiden fehlen, kann die Überschrift auch nicht gegen eine gesetzlich vorgeschriebene Ausfertigungsform verstoßen, so daß aus diesem Grunde es an einer Zustellung einer Ausfertigung i. S. des § 2 Abs. 1 VwZG fehlen würde. Der Zusatz ist rechtlich ohne Belang. Er bringt im übrigen nur zum Ausdruck, daß es sich nicht um die Urschrift handelt, sondern um eine danach angefertigte Zweitschrift. Dies entspricht der Tatsache, daß eine Ausfertigung immer eine Zweitschrift oder eine Abschrift darstellt.

Der Zusatz "zur Kenntnisnahme" ist rechtlich gleichfalls ohne Belang, weil ein zugestelltes Schriftstück immer zur Kenntnisnahme bestimmt ist. Es kann im übrigen dahingestellt bleiben, was das FA damit zum Ausdruck bringen wollte. Denn der Vermerk ist durch die Urschrift ("Eingabewertbogen") nicht gedeckt.

Die Auffassung des FG, daß die Zusendung der "Zweitschrift zur Kenntnisnahme" an den Bevollmächtigten der Klägerin keine ordnungsmäßige Bekanntgabe gewesen sei, verkennt das Wesen der Zustellung. Es kommt nicht darauf an, wie der Bevollmächtigte die Zusendung einer Zweitschrift verstehen konnte, sondern nur darauf, ob an den Bevollmächtigten die Ausfertigung eines Steuerbescheides wirksam übergeben worden ist. Da aber dem Bevollmächtigten nach Auffassung des Senats eine Ausfertigung des Einheitswertbescheides formgerecht und daher wirksam zugestellt worden ist, braucht nicht darauf eingegangen zu werden, ob ein etwaiger Zustellungsmangel nach § 9 Abs. 1 VwZG geheilt worden ist.

Mit der wirksamen Zustellung hat der Lauf der Rechtsbehelfsfrist am 18. März 1972 begonnen. Der am 19. April 1972 eingegangene Einspruch war daher verspätet (§ 236 Abs. 1 AO).

Unter diesen Umständen war die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71576

BStBl II 1975, 894

BFHE 1976, 467

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