Leitsatz (amtlich)

1. Der IV. Senat des BFH stimmt mit dem BVerwG und dem V. Senat des BFH darin überein, daß eine wegen Nichtvorlage einer Prozeßvollmacht die Klage als unzulässig abweisende Vorentscheidung auf die Revision hin aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen ist, wenn im Revisionsverfahren die Klageerhebung des Prozeßbevollmächtigten durch den Kläger genehmigt oder die Prozeßvollmacht nachgewiesen wird.

2. Diese Auffassung bedeutet keine zur Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes führende Abweichung vom Urteil des BAG vom 18. Dezember 1964 - 5 AZR 109/64 - (NJW 1965, 1041).

2. Bei der Zurückverweisung kann und soll der Vorinstanz auch die Entscheidung darüber übertragen werden, wer die durch das bisherige Verfahren entstandenen Kosten zu tragen hat.

 

Normenkette

FGO §§ 62, 137, 143 Abs. 2, § 155; ZPO § 88 Abs. 2, § 89; Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 § 2 Abs. 1

 

Tatbestand

Bei der Veranlagung des Klägers und Revisionsklägers (Steuerpflichtiger) zur Einkommensteuer 1956 schätzte der Beklagte (FA) die Besteuerungsgrundlagen, weil der Steuerpflichtige keine Steuererklärungen abgegeben hatte. Der vom Steuerbevollmächtigten L., dem jetzigen Prozeßbevollmächtigten, namens des Steuerpflichtigen eingelegte Einspruch, der nicht begründet worden war, blieb erfolglos.

Die vom selben Steuerbevollmächtigten erhobene Klage wurde, nachdem der Steuerbevollmächtigte durch zwei Schreiben des FG vom 19. Februar und 16. April 1969 vergeblich unter Hinweis auf § 62 Abs. 3 FGO zur Vorlage einer schriftlichen Prozeßvollmacht aufgefordert worden war, durch Vorbescheid des FG vom 23. Mai 1969 als unzulässig abgewiesen, wobei die Kosten der Klage dem Steuerbevollmächtigten auferlegt wurden. Unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des BFH sah sich das FG wegen der Nichtvorlage der Prozeßvollmacht an einer Sachentscheidung gehindert.

Mit der wiederum vom Steuerbevollmächtigten L. erhobenen Revision wird die Durchschrift einer Vollmachtsurkunde vom 17. April 1969 vorgelegt und geltend gemacht, diese Vollmacht sei in Beantwortung des finanzgerichtlichen Schreibens vom 16. April 1969 an das FG weitergeleitet worden. Die Vollmacht sei auf dem Postweg verlorengegangen. Der Steuerbevollmächtigte legte ferner eine Vollmacht für die Revisionsinstanz vor.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision muß zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führen.

1. Die Entscheidung des FG, wonach der von einem (angeblichen) Bevollmächtigten erhobene gerichtliche Rechtsbehelf unzulässig ist, wenn eine schriftliche Vollmacht nicht vorgelegt wird (§ 62 Abs. 3 FGO), entspricht der inzwischen ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. die Entscheidungen V R 46/66 vom 10. November 1966, BFH 87, 1, BStBl III 1967, 5; V R 62/67, 107/67, V B 23/67, 36/67 vom 28. September 1967, BFH 90, 280, BStBl II 1968, 63; III B 85/67 vom 19. April 1968, BFH 92, 173, BStBl II 1968, 473; III R 123/68 vom 2. Mai 1969, BFH 95, 430, BStBl II 1969, 438). Hierbei macht es keinen Unterschied, ob die Vollmacht nicht vorgelegt wurde, obwohl diese vorhanden war, oder ob sie nicht vorgelegt wurde, weil sie nicht erteilt war (Beschluß des BFH V B 8/68 vom 25. Juli 1968, BFH 92, 551, BStBl II 1968, 660; vgl. auch § 89 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 155 FGO, Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., S. 254). In beiden Fällen ist der angebliche Bevollmächtigte im prozessualen Sinne vollmachtloser Vertreter. Der mit der Revision erhobene Einwand, die Vollmacht habe vorgelegen, sie sei nur auf dem Postweg zum FG verlorengegangen, ist daher, auch wenn man die tatsächliche Richtigkeit dieser Behauptung unterstellt, rechtsunerheblich. Mit dieser Behauptung wird nicht widerlegt, daß dem FG im Zeitpunkt seiner Entscheidung keine Vollmacht vorlag. Die Vorentscheidung wäre also nach wie vor insoweit nicht zu beanstanden.

2. Das angefochtene Urteil mußte gleichwohl aufgehoben werden, weil der in der Vorinstanz vorhandene Mangel der nicht nachgewiesenen Vollmacht nachträglich noch in der nächsten Instanz geheilt werden konnte. Davon, daß dies möglich sei, wenn im Rechtsmittelverfahren entweder die Klage genehmigt oder die Vollmacht des Vertreters für das vorinstanzliche Verfahren nachgewiesen wird, geht das genannte BFH-Urteil vom 28. September 1967 (a. a. O.) aus. Auch das BVerwG hat in dem bereits im BFH-Urteil vom 28. September 1967 angeführten Urteil IV C 38.62 (BVerwGE 14, 209 [212]) und neuerdings im Urteil III C 144.69 vom 31. August 1970 (Wertpapier-Mitteilungen 1970 S. 1266 - WM 1970, 1266 -) in diesem Sinne entschieden, indem es davon ausging, daß nach der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwendbaren Vorschrift des § 89 Abs. 2 ZPO etwaige vollmachtslos in der Vorinstanz vorgenommene Prozeßhandlungen auch noch im Revisionsverfahren mit Wirkung für die vorangegangene Instanz genehmigt werden können. Der Senat ist mit den genannten Entscheidungen der Auffassung, daß hier - für das finanzgerichtliche Verfahren über § 155 FGO - § 89 Abs. 2 ZPO eingreift, der nach einhelliger Auffassung dahin auszulegen ist, daß die Prozeßführung des prozessual vollmachtlosen Vertreters durch den nachträglichen Nachweis der Bevollmächtigung oder die nachträgliche Genehmigung nicht nur gegen, sondern auch für die Partei wirksam wird (vgl. z. B. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 30. Aufl., § 89 Anm. 3; Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 89 Anm. V). Die Genehmigung heilt mit rückwirkender Kraft (Stein-Jonas, a. a. O.; Rosenberg-Schwab, a. a. O., S. 256 mit Hinweis auf das BFH-Urteil vom 28. September 1967; vgl. auch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen - BGHZ 10, 147; NJW 1953, 1470 -). Eine Beschränkung dahingehend, daß die Heilung nur innerhalb der Instanz, in der der vollmachtlose Vertreter aufgetreten ist, möglich sei, ist der Bestimmung des § 89 Abs. 2 ZPO nicht zu entnehmen. Hiervon ist auch schon das RG in den Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (RGZ 47, 413) ausgegangen. Aber auch eine Beschränkung nur auf die Tatsacheninstanz kommt nicht in Betracht. Die Vollmachtsvorlage nach § 62 Abs. 3 FGO ist eine Sachurteilsvoraussetzung. Wenn § 89 Abs. 2 ZPO die rückwirkende Schaffung einer solchen Sachurteilsvoraussetzung zuläßt, so ist das auch in der Revisionsinstanz zu beachten (vgl. hierzu auch den Beschluß des Großen Senats des BFH 3/66 vom 17. Juli 1967, BFH 91, 213, BStBl II 1968, 285; vgl. ferner RGZ 126, 261 betreffend Genehmigung im Sinne von § 551 Nr. 5 ZPO noch in der Revisionsinstanz). Hiervon ist offensichtlich auch der VI. Senat des BFH in der Entscheidung VI R 66/68 vom 12. Dezember 1969 (BFH 97, 576, BStBl II 1970, 231) ausgegangen.

3. Nach dem Urteil des V. Senats des BFH vom 28. September 1967 käme allerdings eine Heilung des Vollmachtmangels nicht in Betracht, wenn der Mangel auf grobe Nachlässigkeit oder die Absicht, die Erledigung des Rechtsstreits zu verzögern, zurückzuführen ist. Das ist im Streitfall bei Anlegung der im Urteil vom 28. September 1967 genannten Maßstäbe nicht der Fall. Eine Prozeßverschleppungsabsicht konnte mit der Nichtvorlage der Prozeßvollmacht kaum verfolgt worden sein, da der Bevollmächtigte auf Grund der Belehrung durch das FG im Gegenteil damit rechnen mußte, daß die Klage gerade wegen der fehlenden Vollmacht kurzerhand abgewiesen würde. Eine grobe Nachlässigkeit konnte dem Bevollmächtigten keinesfalls vorgeworfen werden, wenn es zutreffen sollte, daß die Vollmacht auf dem Postwege verlorengegangen ist. Aber auch wenn dies nicht der Fall war, könnte eine Überschreitung der letztmalig gesetzten Frist um acht Tage noch nicht als grobes Verschulden gewertet werden. Da der Senat somit auch nach den Grundsätzen des Urteils vom 28. September 1967 den ursprünglich gegebenen Mangel der Prozeßvollmacht als geheilt ansehen würde, bedeutet es keine Abweichung i. S. von § 11 Abs. 3 FGO, daß der Senat im übrigen den vom V. Senat im genannten Urteil vorgenommenen Einschränkungen der nachträglichen Genehmigungsmöglichkeit bei Prozeßverschleppung und grobem Verschulden, die auch das BVerwG nicht vornimmt, nicht folgen könnte. § 89 Abs. 2 ZPO bietet hierfür keinen Anhaltspunkt. Eine entsprechende Anwendung der §§ 279, 283 Abs. 2 ZPO, auf die der V. Senat seine Auffassung stützt, ist im finanzgerichtlichen Verfahren nicht möglich (vgl. Urteil des Senats IV R 235/68 vom 5. März 1970, BFH 98, 528, BStBl II 1970, 496). Es handelt sich im übrigen hier nicht um die in diesen Bestimmungen angesprochene Frage, inwieweit (in der Tatsacheninstanz!) nachträglich noch Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden können, sondern darum, daß auch in der Revisionsinstanz noch eine vordem fehlende Sachurteilsvoraussetzung geschaffen werden kann, wozu hier - wie betont - § 89 Abs. 2 ZPO die rechtliche Grundlage bietet.

4. Der Senat hatte Überlegungen anzustellen, ob er wegen etwaiger Abweichung von dem Urteil des BAG 5 AZR 109/64 vom 18. Dezember 1964 (NJW 1965, 1041), auf das bereits im BFH-Urteil vom 28. September 1967 hingewiesen wurde, gehalten war, gemäß dem Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968, Rechtsprechungseinheitsgesetz - RsprEinhGes - (BGBl I 1968, 661), den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe anzurufen. Der Senat ist zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat nicht in Betracht kommt, weil die hier zu entscheidende Rechtsfrage mit der vom BAG im Urteil vom 18. Dezember 1964 entschiedenen nicht identisch ist. Das BAG hatte mit diesem Urteil über einen Fall entschieden, in welchem der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen war und deshalb auf Antrag des Klägers ein Versäumnisurteil erging, obwohl ein zufällig im Sitzungssaal anwesender Rechtsanwalt, ohne hierzu legitimiert zu sein und ohne - mangels Information - zur Sache verhandeln zu können, den Beklagten vertreten wollte. Das BAG sah in der auf Grund des Widerspruches des Klägers durch das Versäumnisurteil erfolgten Hinausweisung des vollmachtlosen Vertreters aus dem Prozeß eine gerichtliche Entscheidung, der nicht durch nachträgliche Genehmigung der Prozeßführung dieses Vertreters der Boden entzogen werden könne. Dieser vom BAG entschiedene Fall unterscheidet sich von dem hier zu beurteilenden in wesentlichen Punkten. Dort handelte es sich nicht um die hier maßgebliche Frage, ob die Sachurteilsvoraussetzung einer kraft prozessual wirksamer Bevollmächtigung auch wirksam erhobenen Klage gegeben war. Es erging vielmehr gerade in Gestalt des Versäumnisurteils ein Sachurteil. Die Bevollmächtigung spielte dort nur im Zusammenhang damit eine Rolle, ob die beklagte Partei im Termin säumig war bzw. ob diese Säumnis nachträglich über § 89 Abs. 2 ZPO hatte geheilt werden können. Im übrigen läßt das Urteil des BAG die Frage zumindest offen, ob es nicht anders entschieden hätte, wenn der im Termin aufgetretene prozessual vollmachtlose Vertreter schon damals jedenfalls bürgerlich-rechtlich bevollmächtigt gewesen und dies nachträglich nachgewiesen worden wäre. Der Senat sieht daher in den - im übrigen zum Teil bereits nach Inkrafttreten des RsprEinhGes ergangenen - Entscheidungen des BVerwG und des BFH und in der auch im Streitfall zu fällenden Entscheidung, wonach die auf dem Mangel der Nichtvorlage einer Prozeßvollmacht beruhende Unzulässigkeit der Klage über § 89 Abs. 2 ZPO geheilt werden kann, keine Abweichung vom Urteil des BAG vom 18. Dezember 1964 im Sinne von § 2 Abs. 1 RsprEinhG. Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist ein anderer. Eine Divergenz zum Urteil des BAG vom 18. Dezember 1964 ist nicht so eindeutig erkennbar, daß eine Anrufung des Gemeinsamen Senats erforderlich wäre. Die Anrufung ist nur zulässig bei eindeutiger Abweichung. Die bloße Möglichkeit einer Divergenz genügt nicht (vgl. Beschluß des BAG 1 ABR 10/68 vom 31. Januar 1969, DB 1969, 927).

5. Wegen der nachträglichen Genehmigung der Prozeßführung des prozessual vollmachtlosen Vertreters in der Vorinstanz war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Diesem war auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO). Hierzu bemerkt der Senat folgendes. Der Senat geht mit dem Urteil des V. Senats vom 28. September 1967 davon aus, daß ein Steuerpflichtiger unter den Voraussetzungen des § 137 FGO die durch die verspätete Vorlage der Vollmacht entstandenen Kosten - soweit sie gesondert ausscheidbar sind (beachte § 140 Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 33 Abs. 2 GKG) - ohne Rücksicht auf den endgültigen Ausgang des Rechtsstreits zu tragen hat. Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß die hierüber zu treffende Entscheidung im zurückverweisenden Revisionsurteil weder getroffen werden muß noch getroffen werden soll, damit eine Zersplitterung der Kostenentscheidung vermieden wird. Der V. Senat des BFH hat auf eine an ihn unter Hinweis auf sein genanntes Urteil vom 28. September 1967 gerichtete Anfrage dieser Auffassung zugestimmt. Im Streitfall kommt noch hinzu, daß die Frage, inwieweit den Kläger an der verspäteten Vollmachtsvorlage ein Verschulden trifft, im Hinblick auf dessen Behauptung, die Vollmacht sei auf dem Postwege verlorengegangen, noch nicht ganz geklärt ist. Die Vorinstanz wird im Rahmen der ihr übertragenen Kostenentscheidung hierüber zu befinden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69548

BStBl II 1971, 689

BFHE 1971, 442

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