Leitsatz (amtlich)

1. Unbeschadet der Frage, wie "freiwillige" Zahlungen zu beurteilen sind, ist nicht ausgeschlossen, die Vollziehung eines Steuerbescheides auszusetzen, wenn der Steuerpflichtige dem Leistungsgebot von sich aus nachgekommen war.

2. Zur Bedeutung des § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO.

 

Normenkette

FGO § 69

 

Gründe

Aus den Gründen:

Das Finanzgericht hat gemäß § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO die "Aufhebung der Vollziehung" angeordnet. Es ist zweifelhaft, ob diese Vorschrift auch Platz greift, wenn der Steuerpflichtige von sich aus - "freiwillig" oder unfreiwillig - das Geforderte geleistet hat. In einem solchen Falle läßt sich nur schwer von "Vollziehung" reden, sofern nicht der Schuldner erst im Verfahren der Beitreibung (§§ 325 ff. AO) geleistet hat (§ 345 Abs. 2 AO). Jedenfalls ist nicht zu erkennen, welcher Verwaltungsakt "aufgehoben" werden sollte, wenn der Schuldner die Steuer von sich aus zahlt. Daher liegt nahe, § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO auf den Fall zu beschränken, daß der angefochtene Verwaltungsakt von der Behörde vollzogen (vollstreckt) worden ist, etwa durch Pfändung (§ 343 AO) beweglicher Sachen (§§ 348 ff. AO) oder von Forderungen oder anderen Vermögensrechten (§§ 361 ff. AO); in diesem Falle wäre zusätzlich (vgl. § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO) zur Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts (Steuerbescheids) noch der auf Grund dessen vorgenommene Vollstreckungsakt aufzuheben (und nicht nur auszusetzen; vgl. etwa § 707 Abs. 1 Satz 1, § 769 Abs. 1 Satz 1, §§ 775, 776, § 868 Abs. 2 ZPO). Da durch die Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO) die Wirksamkeit des angefochtenen Steuerbescheids (hinsichtlich des Leistungsgebots) ausgesetzt wird (Beschluß des BFH II B 41/67 vom 14. Mai 1968, BFH 92, 179, [184 ff.], BStBl II 1968, 503), läuft somit die im Entscheidungssatz des Finanzgerichts ausgesprochene "Aufhebung der Vollziehung des vorläufigen Gesellschaftsteuerbescheides" auf das gleiche hinaus wie eine in dem vorstehenden Sinne als "Aussetzung der Vollziehbarkeit" verstandene Aussetzung der Vollziehung.

Aus dieser Beurteilung folgt nicht, daß die Aussetzung (in der Terminologie des Finanzgerichts: die Aufhebung) der Vollziehung nicht mehr möglich wäre, wenn der Steuerpflichtige von sich aus gezahlt hat, wie es hier geschehen ist. Zwar hatte der I. Senat des BFH in dem Beschluß I B 3/66 vom 9. August 1966 (BFH 86, 723, BStBl III 1966, 646) die beantragte Aussetzung der Vollziehung abgelehnt, weil der Steuerpflichtige "freiwillig" bezahlt habe; "freiwillig, d. h. ohne Zwang oder unter dem Eindruck von Vollziehungsmaßnahmen (wie Übersendung einer Mahnung, einer Nachnahme, Vornahme einer Pfändung) geleistete Steuerzahlungen" seien nicht unter den Begriff der Vollziehung im Sinne des § 69 FGO einzuordnen (ebenso Beschlüsse I B 30/66 vom 15. Februar 1967, BFH 88, 76, BStBl III 1967, 293; I B 67/67 vom 17. Januar 1968, BFH 91, 301, BStBl II 1968, 311). Wenn indessen die "Entgegennahme und Verbuchung" von Zahlungen des Steuerpflichtigen keine Vollziehung im Sinne des § 69 FGO darstellen - so der der Veröffentlichung des Beschlusses I B 3/66 (a. a. O.) vorangestellte Leitsatz -, kann das nicht nur dann gelten, wenn der Steuerpflichtige ohne vorherige Mahnung bezahlt hat, sondern auch dann, wenn er zuvor gemahnt worden war (auch die Postnachnahme ist keine Zwangsvollstreckung, sondern nur eine besonders eindringliche Mahnung). Für den letztgenannten Fall wird indessen auch vom I. Senat die Zulässigkeit vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 69 Abs. 3 FGO bejaht (vgl. noch den Beschluß des VII. Senats VII B 13/66 vom 28. November 1967, BFH 91, 323 [327]. Aus dieser Sicht kann also das Merkmal der "Freiwilligkeit" (vgl. zu diesem Beschluß II B 21/68 vom 4. März 1969, BFH 94, 571 [572], BStBl II 1969, 264) nicht entscheidend sein. Vielmehr liegt es näher, anzunehmen, daß mit der Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids die Vollziehbarkeit seines Leistungsgebots ausgesetzt wird, und daß diese Anordnung, sofern sie einem bereits erfüllten Leistungsgebot gegenüber erfolgt, zur Rückzahlung des geleisteten Betrages verpflichtet (vgl. Beschluß des BFH II B 41/67 vom 14. Mai 1968, BFH 92, 179 [184 ff.], BStBl II 168, 503), wie auch gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung einem bereits vollzogenen oder "freiwillig" erfüllten Verwaltungsakt gegenüber die Anordnung ergehen kann, daß dessen Wirkung aufgehoben wird (Beschluß des BVerwG V C 4/60 vom 9. September 1960, NJW 1961, 90).

Wegen der divergierenden Ansichten bedarf es keiner Anrufung des Großen Senats (§ 11 Abs. 3 FGO). Denn vor der Zahlung war die Antragstellerin nochmals ausdrücklich "zur Vermeidung von Zuschlägen" zur Zahlung aufgefordert, also angemahnt worden, so daß auch in der Sicht der vorerwähnten Beschlüsse des I. Senats eine "freiwillige Zahlung" ausscheidet und auch nach dessen Auffassung eine Anordnung gemäß § 69 Abs. 3 FGO ergehen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69648

BStBl II 1972, 494

BFHE 1972, 100

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