Leitsatz (amtlich)

1. Stellt das FG durch Beschluß fest, daß eine Klage als Einspruch zu behandeln sei (§ 45 Abs. 1 Satz 2 FGO), so ist dieser Beschluß mit der Beschwerde anfechtbar.

2. Die Zustimmung des FA zur Einlegung einer Klage ohne Vorverfahren (Sprungklage) muß binnen der Monatsfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO dem FG gegenüber erklärt sein.

 

Normenkette

FGO § 45 Abs. 1, § 128

 

Tatbestand

Der Streit geht darum, ob es genügt, daß der Vorsteher des FA die Zustimmung zur Einlegung einer Klage ohne Vorverfahren (Sprungklage) binnen der Monatsfrist des § 45 Abs. 1 FGO erklärt, oder ob die Zustimmungserklärung binnen dieser Frist bei Gericht eingegangen sein muß.

Der Kläger wendete sich unmittelbar gegen einen Gewerbesteuermeßbescheid und einen Gewerbesteuerbescheid mit einer Klage mit der an das FA gerichteten Bitte, der Behandlung als Sprungklage zuzustimmen. Die Klageschrift wurde dem beklagten FA am 11. August 1967 zugestellt. In einem am 12. September 1967 beim FG eingegangenen Schriftsatz erklärte der Vorsteher des FA seine Zustimmung zur Sprungklage. Dieses Schreiben ist auf den 5. September 1967 datiert.

Nachdem das FG beide Beteiligte auf diesen Sachverhalt hingewiesen und die Ansicht geäußert hatte, die Zustimmung sei verspätet erteilt worden, erklärten das FA, es sei der Meinung, die Zustimmung sei rechtzeitig erfolgt, der Kläger, er sei mit der Behandlung als Einspruch einverstanden.

Das FG stellte durch Beschluß fest, daß die Klage als Einspruch zu behandeln sei. Zur Begründung führte es aus, die Zustimmung sei eine empfangsbedürftige und für das Gericht bestimmte prozessuale Erklärung. § 45 FGO habe dem auch sonst herrschenden Streben gedient, die Verfahrensordnungen in allen Gerichtszweigen aufeinander abzustimmen. Abweichungen von diesen sollten nur dort durchgreifen, wo das wegen der Besonderheiten des finanzgerichtlichen Verfahrens notwendig sei. Nach allgemeinen prozeßrechtlichen Grundsätzen seien aber prozeßgestaltende Willenserklärungen, wie u. a. die Einwilligung des Beklagten in die Rücknahme der Klage (§ 271 Abs. 1 ZPO), insbesondere aber auch die der Zustimmung nach § 45 FGO ähnliche Einwilligung eines Prozeßbeteiligten in die Sprungrevision (§§ 566a ZPO, 134 VwGO, 76 ArbGG) gegenüber dem Gericht zu erklären. Eine solche Auslegung entspreche auch dem Bedürfnis, bald klarzustellen, ob der durch die Einlegung einer Klage ohne Vorverfahren entstandene Schwebezustand beendet sei. Nur die Erklärung gegenüber dem Gericht vermeide Zweifel über Wirksamkeit und Zeitpunkt der Zustimmung. Sie diene auch dem Interesse des Klägers; denn sie zwinge das FA, sich binnen eines Monats über die Zustimmung klar zu werden und das Ergebnis dem Gericht mitzuteilen. Der zu § 261 AO a. F. vertretenen anderen Ansicht könne das Gericht nicht zustimmen. Sie sei überholt, da die Vorschriften der AO weniger förmlich gewesen seien.

Gegen diesen Beschluß legte das FA Beschwerde ein, mit der es seine Rechtsansicht, die Zustimmung brauche nicht innerhalb der Frist dem Gericht gegenüber erklärt zu sein, weiter verfolgt. Es führt insbesondere aus, die Sprungklage sei hauptsächlich im Interesse des Steuerpflichtigen geschaffen worden, das aber nicht durch eine geringfügige Verschiebung des Zeitpunktes beeinträchtigt werde, in der der Steuerpflichtige von der Zustimmung Kenntnis erhalte, sondern durch die Zustimmung, die ihm eine schnelle gerichtliche Entscheidung zu erlangen helfe, gefördert werde. Durch die Auslegung des FG würde die ihm, dem FA, zugebilligte Frist verkürzt werden.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

1. Die Beschwerde ist zulässig. Das FG hat es abgelehnt, auf die Klage einzugehen. Es hat angenommen, eine Zustimmung zur Sprungklage sei nicht erteilt, kraft der ausdrücklichen Vorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 2 FGO sei die "Klage" daher als Einspruch zu behandeln. Es hat einen Beschluß erlassen mit dem Tenor: "Das Verfahren wird eingestellt. Die Klage ist als Einspruch zu behandeln." Es kann dahingestellt bleiben, wie das Gericht im Regelfalle, wenn nämlich unstreitig keine Zustimmungserklärung vorliegt, seiner Ansicht Ausdruck verleiht, wie es die Behandlung der Klage als Einspruch in der Praxis einleitet und ob hierfür der Vorsitzende des Gerichts oder der Beschlußsenat zuständig ist. In der Regel wird eine formlose Abgabe stattfinden (Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 7 zu § 45 FGO; Jörg-Müller, Finanzgerichtsordnung, Randziff. 213 zu § 45; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 2. bis 3. Aufl., Anm. 11 zu § 45 FGO; Ziemer-Haarmann, Einspruch, Beschwerde und Klage in Steuersachen, Bd. I Tz. 1828). Es kann auch dahingestellt bleiben, wie zu verfahren ist, wenn der Kläger auf der Behandlung als Klage bestehenbleibt (während Tipke-Kruse, Anm. 11 zu § 45 FGO für diesen Fall annehmen, die Klage sei als unzulässig abzuweisen, meinen Ziemer-Haarmann, a. a. O., es sei auf jeden Fall eine Einspruchsentscheidung zu fällen). Jedenfalls muß in einem Falle, in dem einer der Beteiligten die Meinung vertritt, die Zustimmung sei wirksam erteilt und deshalb müsse das Gericht den Rechtsbehelf als Klage behandeln, das Gericht in der Beschlußbesetzung und also notwendigerweise in der Form eines Beschlusses (vgl. den Beschluß des erkennenden Senats IV B 33/66 vom 25. September 1967, BFH 90, 103, BStBl III 1967, 788) Stellung nehmen.

Seinem Inhalt nach geht der Beschluß der Vorinstanz dahin, daß eine wirksame Sprungklage nicht vorliege. Daß das FG das in die Form einer Einstellung des Verfahrens kleidete, das - weil keine Klage vorlag - noch nicht in Gang gesetzt war, ist unschädlich.

Ein solcher Beschluß stellt eine mit der Beschwerde anfechtbare Entscheidung im Sinne des § 128 Abs. 1 FGO dar. Keiner der Tatbestände des § 128 Abs. 2 FGO, die eine Beschwerde ausschließen, liegt vor. Diese Vorschrift betrifft nur Fälle, in denen ein Verfahren stattfindet, nicht solche, in denen es vom Gericht abgelehnt wird. Dieser Fall hat zwar Ähnlichkeit mit dem Fall der Verweisung an ein anderes zuständiges Gericht, die nicht angefochten werden kann (§ 276 Abs. 2 ZPO). Der Senat vermag jedoch diese Vorschrift, die ohnehin nur entsprechend anwendbar wäre, trotz der Generalverweisung auf die ZPO in § 155 FGO angesichts der detaillierten gesonderten Regelung der Zulässigkeit der Beschwerde in § 128 FGO nicht heranzuziehen.

Das FA, dem durch den Beschluß die Verpflichtung auferlegt wird, ein Einspruchsverfahren durchzuführen, obschon es sich hierzu nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht für verpflichtet hält, ist auch durch die angefochtene Entscheidung beschwert.

2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Aus dem zu § 261 AO a. F. vom Großen Senat des RFH erstatteten Gutachten Gr. S. D 3/33 vom 30. Oktober 1933 (RStBl 1933, 1155) können keine Folgerungen gezogen werden. Die AO regelte das finanzgerichtliche Verfahren nicht eingehend. Ein tragender, besonders auch von der Rechtsprechung des RFH und des BFH betonter Gesichtspunkt war, daß verfahrensrechtliche Vorschriften möglichst weit auszulegen seien, um eine Sachentscheidung nicht unnötigerweise zu verhindern. Darauf stützt sich gerade auch das Gutachten des RFH in besonderer Weise. Die Rechtslage hat sich nach Inkrafttreten der FGO durch Einführung eines sehr viel förmlicheren und an andere förmliche Verfahrensordnungen angelehnten Verfahrens wesentlich verändert. Es kann daher dahinstehen, ob der Senat den Gedankengängen des RFH auch schon nach der alten Rechtslage hätte folgen können.

Der BFH hat bisher zu der vom FG entschiedenen Streitfrage noch nicht Stellung genommen. Das FG Düsseldorf (EFG 1967, 464) hat sie im gleichen Sinne wie die Vorinstanz entschieden, das Niedersächsische FG (EFG 1967, 465) hat für erforderlich gehalten, daß die Zustimmung innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 FGO dem Gericht oder dem Prozeßgegner gegenüber erklärt werde. In der Literatur hat, soweit ersichtlich, bisher nur Kühn, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., Anm. 3 zu § 45 FGO ausdrücklich Stellung genommen, und zwar im Sinne der Vorinstanz. Entgegengesetzter Ansicht sind aber offenbar Hübschmann-Hepp-Spitaler (Anm. 5 zu § 45 FGO) und Tipke-Kruse (Anm. 8 zu § 45 FGO), die von einer nichtempfangsbedürftigen Willenserklärung sprechen und sich auf das Gutachten des Großen Senats des RFH berufen. Die übrigen Kommentatoren beschränken sich auf die Prüfung der Frage, ob die Zustimmung einer Form bedürfe, sie behandeln dagegen nicht die Frage, ob eine - gegebenenfalls auch formlose oder konkludente - Zustimmung dem Gericht innerhalb der Frist zur Kenntnis gekommen sein muß (vgl. Jörg-Müller, Randziff. 212 zu § 45 FGO; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, Tz. 9 zu § 45; Ziemer-Haarmann, Tz. 1822). Der Senat ist der Ansicht, daß nur die fristgerecht dem Gericht erklärte Zustimmung genügt.

Bei der Zustimmung handelt es sich um eine Prozeßvoraussetzung (so schon der RFH in dem genannten Gutachten; ferner Ziemer-Birkholz, Tz. 8 zu § 45). Die Erteilung der Zustimmung stellt eine prozessuale Willenserklärung dar (Hübschmann-Hepp-Spitaler, Anm. 3 zu § 45 FGO; Jörg-Müller, § 45, Randziff. 210; Tipke-Kruse, Anm. 7 zu § 45 FGO; Ziemer-Birkholz, Tz. 8 zu § 45; Ziemer-Haarmann, Tz. 1819).

Zu den bedeutsamsten Prozeßerklärungen gehören solche, die ein Rechtsbehelfsverfahren einleiten und die seine Zulässigkeit und seinen Fortgang oder seine Beendigung bestimmen. Für diese versteht es sich von selbst, daß sie zur Kenntnis des Gerichts gelangen, also an dieses gerichtet sein müssen. Denn das Gericht hat gegegebenenfalls über ihre Gültigkeit zu befinden und die entsprechenden verfahrensrechtlichen Konsequenzen daraus zu ziehen. Zum Teil hat der Gesetzgeber das auch noch ausdrücklich bestimmt, so z. B. für die Rücknahme der Klage (§ 271 Abs. 2 ZPO, der Berufung § 515 Abs. 2 ZPO), des Einspruchs (§ 346 ZPO), der Revision (§ 566 ZPO). Auch die Einwilligung in die Rücknahme der Klage bedarf der Erklärung gegenüber dem Gericht (§ 271 Abs. 2 ZPO). Dasselbe ist, obschon es hier nicht ausdrücklich im Gesetz gesagt ist, für die Fälle der Einwilligung in die Rücknahme von Rechtsmitteln anzunehmen (vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßodnung, 29. Aufl., § 515, Anm. 2 Ab in Verbindung mit § 271 Abs. 2). Auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind solche Erklärungen, obschon in den §§ 92, 126 VwGO (ebenso wie in den §§ 72, 125 FGO) keine ausdrückliche Regelung getroffen ist, dem Gericht gegenüber abzugeben (Bundesverwaltungsgericht, HFR 1967 S. 615). Daß in den Fällen, in denen eine Instanz übersprungen werden soll, also in den dem § 45 Abs. 1 FGO entsprechenden Fällen, die Zustimmung des Gegners dem Gericht gegenüber zu erklären ist, ergibt sich wiederum unmittelbar aus dem Gesetz, weil die Zustimmungserklärung der Rechtsmittelschrift beizufügen ist (§§ 566a Abs. 2 ZPO, 134 Abs. 2 VwGO, 76 Abs. 2 ArbGG, 161 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes).

Ist aber somit anzunehmen, daß die Zustimmungserklärung des FA für das Gericht, das über die Zulässigkeitsvoraussetzungen befinden muß, bestimmt ist, so kann es für diese Beurteilung keine Bedeutung haben, ob die Zulassung der Sprungklage im Interesse des Steuerpflichtigen erfolgt ist und ob die Zustimmung des FA, worauf der RFH hinweist, nach der Entstehungsgeschichte des § 261 AO a. F. deshalb erfordert wurde, weil von den Gerichten allzu zahlreiche Sprungklagen (damals Sprungberufungen) ferngehalten werden sollten.

Ist die Erklärung für das Gericht bestimmt und knüpft das Gesetz ihre Wirksamkeit an eine Frist, binnen deren sie erklärt sein muß, so kann damit nur gemeint sein, daß sie innerhalb der Frist gegenüber dem richtigen Adressaten erklärt werden muß. Fristen dieser Art sind zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung in das Gesetz aufgenommen. Sie besagen lediglich, daß die Erklärung zeitgerecht erfolgen muß; sie können dagegen ihrem Sinn nach keine Aussage dazu erbringen, wem gegenüber die - fristgerechte - Erklärung erfolgen muß. Das ergibt sich aus anderen Erwägungen, die oben dargestellt sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67750

BStBl II 1968, 661

BFHE 1968, 41

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