Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Wahrnehmung der Rechte vor dem BFH und zur Frage einer von den Miteigentumsanteilen abweichenden Verrechnung von Werbungskosten

 

Leitsatz (NV)

1. Seitdem vor dem BFH eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer geboten ist, kann eine Partei, die einen zu ihrer Vertretung befugten und bereiten Prozeßbevollmächtigten nicht findet und deren Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint, beantragen, ihr einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zu ihrer Vertretung vor dem BFH beizuordnen.

2. Zur Begründetheit eines solchen Antrags gehört insbesondere, daß die Partei glaubhaft macht, daß sie zumindest eine gewisse Anzahl von zu ihrer Vertretung befugten Personen vergeblich um die Übernahme des Mandats ersucht habe.

3. Grundsätzliche Bedeutung kann der Rechtsfrage beizumessen sein, ob bei einer Personenmehrheit mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ein Miteigentümer sich abweichend von den Miteigentumsanteilen alle Werbungskosten zurechnen lassen kann, die er getragen hat, jedenfalls aber insoweit, als er das Gebäude selbst genutzt hat.

 

Normenkette

BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; FGO § 155; ZPO §§ 78b, 78c; EStG § 21

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Klägerin zu 1. (Klägerin zu 1.) erbte zusammen mit ihren drei Kindern, den Klägern zu 2. bis 4., von ihrem im Jahre 1971 verstorbenen Ehemann ein Zweifamilienhausgrundstück. Die Klägerin ist Miteigentümerin zu 1/2, ihre drei Kinder sind Miteigentümer zu je 1/6. Die Schwiegereltern der Klägerin zu 1. besitzen ein lebenslängliches dingliches Wohnrecht an einer der beiden Wohnungen im Hause; ob sie es in den Streitjahren 1985 und 1986 ausübten, hat das Finanzgericht (FG) nicht festgestellt. Die Klägerin zu 1. nutzt ihre Wohnung zusammen mit einem oder mehreren ihrer Kinder.

Am 1. Juli 1985 vereinbarten die Kläger zu 1. bis 4., die Einkünfte aus dem Zweifamilienhaus in der Weise zu verteilen, daß der Mietwert nach Miteigentumsanteilen aufgeteilt wird, während die Werbungskosten demjenigen zugerechnet werden, der sie tatsächlich getragen hat. Als Begründung hierfür gaben sie an, daß die Klägerin zu 1. umfangreiche Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten an dem Zweifamilienhaus auf ihre Kosten habe ausführen lassen. Weiter heißt es in der Vereinbarung: ,,Demgemäß erklären hiermit die o. a. Kinder und Miteigentümer gegenüber ihrer Mutter . . . deren Ausgleichsanspruch zufolge der von ihr erbrachten Bauleistungen." Die Klägerin zu 4. war im Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung noch minderjährig.

In ihrer Erklärung zur gesonderten Feststellung der Einkünfte der Hausgemeinschaft aus Vermietung und Verpachtung für die Streitjahre 1985 und 1986 teilten die Kläger den Mietwert nach Miteigentumsanteilen auf, während die Klägerin zu 1. den Abzug sämtlicher Werbungskosten begehrte, weil sie diese getragen habe. Das Finanzamt (FA) verteilte in seinen Feststellungsbescheiden 1985 und 1986 die Einkünfte der Hausgemeinschaft nach Miteigentumsanteilen. Ein Wohnrecht der Schwiegereltern der Klägerin zu 1. berücksichtigte es nicht.

Mit ihrer Klage begehrten die Kläger, die gesamten Werbungskosten des Streitjahres 1985 der Klägerin zu 1. und die Werbungskosten des Jahres 1986 dem Kläger zu 2. mit einem von ihm getragenen Teilbetrag von 3 100 DM und im übrigen der Klägerin zu 1. zuzurechnen.

Das FG wies die Klage ab. Es folgte der Auffassung des FA, daß die Einkünfte der Hausgemeinschaft den Klägern zu 1. bis 4. im Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile zuzurechnen seien.

Hierauf hat die Klägerin zu 1. innerhalb der Beschwerdefrist persönlich Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt (Az. IX B 216/89) und zugleich beantragt, ihr für das Beschwerdeverfahren einen nach Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vertretungsberechtigten Prozeßvertreter zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen. Sie habe sieben, von ihr namentlich benannte, vor dem Bundesfinanzhof (BFH) vertretungsberechtigte Personen vergeblich um die Übernahme des Mandats gebeten. Alle Befragten hätten dies abgelehnt, weil sie mit Arbeit überlastet seien oder ihnen die erforderlichen Spezialkenntnisse fehlten oder der Streitwert zu niedrig sei.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag der Klägerin zu 1. auf Beiordnung eines vor dem BFH vertretungsberechtigten Prozeßvertreters für das Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des FG ist begründet.

Nach § 78 b der Zivilprozeßordnung (ZPO) hat das Prozeßgericht einer Partei auf ihren Antrag für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, soweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, die Partei einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Diese Vorschrift ist vor dem BFH seit Einführung des Vertretungszwanges durch das BFHEntlG gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sinngemäß anzuwenden (BFH-Beschluß vom 18. November 1977 III S 6/77, BFHE 123, 433, BStBl II 1978, 57). Zur Begründetheit eines Antrags nach § 78 b ZPO gehört insbesondere, daß die Partei glaubhaft macht, daß sie zumindest eine gewisse Anzahl von zur Vertretung vor dem jeweiligen Gericht befugten Personen vergeblich um die Übernahme des Mandats ersucht hat (BFH-Beschlüsse vom 27. Januar 1988 VIII S 12/87, BFH/NV 1988, 383, und vom 9. Dezember 1988 VI S 10/88, BFH/NV 1989, 381). Die vorstehenden Voraussetzungen für die Beiordnung eines vertretungsbefugten Prozeßvertreters sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Die Klägerin zu 1. hat glaubhaft vorgetragen, daß sie sieben, von ihr namentlich benannte Personen, die zur Vertretung vor dem BFH befugt sind, um die Übernahme des Mandats gebeten hat, daß diese aber ihre Bitte wegen Arbeitsüberlastung oder mangels einschlägiger Kenntnisse oder wegen des niedrigen Streitwerts abgelehnt haben.

Die von der Klägerin zu 1. angestrebte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision kann aufgrund des vorliegenden Sach- und Streitstandes nicht als aussichtslos beurteilt werden. Zwar ist die von ihr persönlich eingelegte Beschwerde mangels Postulationsfähigkeit nach Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG wirkungslos. Dennoch kommt eine Nachholung der Beschwerde und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist durch den beizuordnenden Prozeßvertreter in Betracht. Denn die Versäumung der Beschwerdefrist durch die Klägerin zu 1. kann unverschuldet sein. Sie hat innerhalb der Beschwerdefrist alles ihr Zumutbare getan, um das Hindernis zu beseitigen, das in der fehlenden Bereitschaft eines postulationsfähigen Prozeßvertreters zu ihrer Vertretung vor dem BFH besteht. Sie hat auch innerhalb der Beschwerdefrist die Beiordnung eines Prozeßvertreters nach § 78 b ZPO beantragt und vorgetragen, daß sie sich vergeblich um die Übernahme des Mandats durch eine vor dem BFH vertretungsberechtigte Person bemüht habe. Es kann von ihr nicht erwartet werden, daß sie außerdem auch noch einen Grund für die Zulassung der Revision im Sinne von § 115 Abs. 2 FGO darlegt. Dies muß ihrem Prozeßvertreter im Sinne von § 78 b ZPO vorbehalten bleiben, der aufgrund seiner Zulassung als Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater vor dem BFH vertretungsberechtigt ist.

Daß ein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO gegeben sein könnte, läßt sich aufgrund des gegenwärtigen Sach- und Streitstandes nicht ausschließen. Denkbar ist eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Als Rechtsfrage, die einer Klärung im Allgemeininteresse bedürfen kann, bietet sich die Frage an, ob bei einer Personenmehrheit mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ein Miteigentümer sich abweichend von den Miteigentumsanteilen alle Werbungskosten zurechnen lassen kann, die er getragen hat, jedenfalls aber insoweit, als er das Gebäude selbst genutzt hat (vgl. BFH-Urteil vom 5. Februar 1965 VI 234/63 U, BFHE 82, 25, BStBl III 1965, 256, und zum gegenwärtigen Meinungsstand Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, § 21 EStG Rdnr. 445 ff.). Eine Selbstnutzung durch die Klägerin im Sinne von § 21 Abs. 2 Alternative 1 des Einkommensteuergesetzes kommt insoweit in Betracht, als sie das Zweifamilienhaus mit einem oder mehreren unterhaltsberechtigten Kindern bewohnte (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 1988 IX R 86/84, BFHE 154, 108, BStBl II 1988, 938).

Der der Klägerin zu 1. nach § 78 b ZPO beizuordnende Prozeßvertreter wird durch den Vorsitzenden des erkennenden Senats ausgewählt werden (§ 155 FGO i. V. m. § 78 c ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416787

BFH/NV 1990, 503

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