Entscheidungsstichwort (Thema)

Verlustrücktrag bei Änderung der Wahl zur Zusammenveranlagung -- Abweichungsanfrage

 

Leitsatz (NV)

Für den Fall, daß das Urteil des III. Senats vom 25. Juni 1993 III R 32/91 (BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824) dahin zu verstehen ist, daß das Veranlagungswahlrecht im Zusammenhang mit der Änderung eines bestandskräftigen Bescheids unabhängig davon erneut ausgeübt werden kann, inwieweit dessen Bestandskraft durchbrochen wird, beabsichtigt der XI. Senat, von dem Urteil abzuweichen.

Er fragt an, ob der III. Senat der Abweichung zustimmt.

 

Normenkette

EStG §§ 10d, 26b; AO 1977 §§ 172, 177

 

Tatbestand

Sachverhalt und Vorentscheidung

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), die 1985 keine eigenen Einkünfte erzielt hatte, war mit Bescheid vom 7. Dezember 1987 zusammen mit ihrem damaligen Ehemann zur Einkommensteuer für 1985 veranlagt worden. Sie begann 1987 mit dem Aufbau einer ärztlichen Praxis, die sie 1988 eröffnete. Ihr entstanden im Veranlagungszeitraum 1987 Betriebsausgaben, die -- bei getrennter Veranlagung -- 1987 zu einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte von 6 465 DM führten.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) änderte den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1985 und berücksichtigte einen Verlustrücktrag in Höhe von 6 465 DM. Die bisher festgesetzte Einkommensteuer von 12 734 DM ermäßigte sich auf 10 514 DM.

Gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid 1985 vom 16. November 1990 legte die Klägerin Einspruch ein und begehrte, eine getrennte Veranlagung durchzuführen.

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage trug die Klägerin vor, die Verluste, die sie aufgrund des Aufbaus der ärztlichen Praxis erlitten habe, sollten ihr allein zugute kommen. Ihr Mann habe sich geweigert, die Steuererstattung 1985 an sie auszukehren. Im Falle der getrennten Veranlagung sei für sie im Streitjahr 1985 eine Steuerschuld von 0 DM zugrunde zu legen. Der bisher durchgeführte Verlustrücktrag stehe ihr in vollem Umfang als Verlustvortrag für das Jahr 1990 zu und führe dort zu einer Steuerermäßigung von 3 434 DM.

Das Finanzgericht (FG) hat den geänderten Einkommensteuerbescheid 1985 und die Einspruchsentscheidung aufgehoben und das FA verpflichtet, eine Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1985 im Wege der getrennten Veranlagung für die Klägerin durchzuführen. Es führt im wesentlichen aus, die von der Klägerin getroffene Wahl, eine getrennte Veranlagung durchzuführen, sei nicht willkürlich. Die Möglichkeit, sich nichtverbrauchte Verluste unter dem Gesichtspunkt des Verlustvortrags aufrechtzuerhalten, sei eine sachgerechte Ausübung des Wahlrechts auf getrennte Veranlagung. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (Urteil vom 27. September 1988 VIII R 432/83, BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225) sei in einem gemäß §10 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) von Amts wegen vorzunehmenden Verlustrücktrag eine abstrakte -- also nicht unbedingt zu einer konkreten Berücksichtigung zumindest eines Minimalbetrages führende -- Durchbrechung der Bestandskraft zu sehen. Für den 1987 entstandenen Verlust sei für 1985 eine Veranlagung vorhanden, die auf Besteuerungsgrundlagen beruhe, welche zur Aufnahme dieses Verlustes bereitständen. Das FA sei zu einer Änderung des diesbezüglichen Einkommensteuerbescheids verpflichtet gewesen. Der Konflikt zwischen diesem Offizialprinzip und dem Prinzip der Neueröffnung der Wahlmöglichkeit gemäß §26 EStG sei nach der neueren Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 25. Juni 1993 III R 32/91, BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824) i. S. des Vorrangs der Wahlmöglichkeit zu lösen. Nach der genannten Entscheidung treffe §351 der Abgabenordnung (AO 1977) keine das Wahlrecht einschränkende Regelung. Das Antragsrecht der Klägerin sei mithin nicht limitiert. Das FA sei verpflichtet, den Steuerfall der Klägerin erneut zu überprüfen und dabei die Wahl der Klägerin unter Zugrundelegung der unbestrittenen Besteuerungsgrundlagen zu respektieren.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung der §§10 d, 26 EStG, §§172 Abs. 1 Nr. 2 d und 177 AO 1977. Es macht im wesentlichen geltend, die Entscheidung des III. Senats des BFH in BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824 sei zu §165 AO 1977 ergangen und nicht auf Änderungen nach §10 d EStG anwendbar. Die erneute Ausübung des Wahlrechts nach §26 EStG sei bei einer Änderung nach §10 d EStG an einen Änderungsrahmen gebunden.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie trägt im wesentlichen vor, das angeführte Urteil des III. Senats des BFH sei auch auf den vorliegenden Fall anwendbar. Ehegatten solle auch bei Durchführung eines Verlustrücktrags die wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung verbleiben, ob sie unter den neuen steuerlichen Voraussetzungen in späteren Jahren bei der ursprünglich gewählten Veranlagungsart bleiben wollen oder ob die Veranlagungsart geändert werden soll, um den größtmöglichen Steuervorteil hierdurch auszuschöpfen.

 

Entscheidungsgründe

Rechtliche Würdigung durch den XI. Senat

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Der Klägerin steht im Rahmen des für den Veranlagungszeitraum 1985 vorzunehmenden Verlustrücktrags das Recht, die Veranlagungsart erneut zu wählen, nicht zu.

Nach der im Streitfall anzuwendenden Vorschrift des §10 d EStG 1987 sind Verluste im zweiten Veranlagungszeitraum, falls dies nicht möglich ist, im ersten Veranlagungszeitraum vor dem Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen. Sind für die vorangegangenen Veranlagungszeiträume bereits Steuerbescheide erlassen worden, so sind diese insoweit zu ändern als der Verlustabzug zu gewähren oder zu berichtigen ist. Dies gilt nach §10 d Satz 3 EStG auch dann, wenn die Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.

Nach ständiger Rechtsprechung enthält §10 d Sätze 2 und 3 EStG eine gegenüber den Vorschriften der AO 1977 eigenständige Korrekturvorschrift, aufgrund derer die Bestandskraft des für das Rücktragsjahr ergangenen Steuerbescheides insoweit durchbrochen wird, als ausgehend von der bisherigen Steuerfestsetzung und den dafür ermittelten Grundlagen die Steuerschuld durch die Berücksichtigung des Verlustabzugs gemindert würde (vgl. BFH-Urteil in BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225, und Senatsurteil vom 9. Juli 1992 XI R 29/91, BFHE 168, 558, BStBl II 1993, 29).

Im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten im Verlustrücktragsjahr ist nach §26 b EStG der Verlust vom Gesamtbetrag der Einkünfte beider Ehegatten abzuziehen (vgl. BFH-Urteil vom 13. November 1979 VIII R 193/77, BFHE 129, 262, BStBl II 1980, 188). Dies gilt unabhängig davon, ob derjenige Ehegatte, bei dem der Verlust entstanden ist, im Rücktragsjahr eigene Einkünfte hatte oder nicht. Allerdings können Ehegatten die Veranlagungsart gemäß §26 EStG bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheides wählen und die einmal getroffene Wahl innerhalb dieser Frist -- vorbehaltlich rechtsmißbräuchlichen oder willkürlichen Verhaltens (vgl. BFH-Urteil vom 10. Januar 1992 III R 103/87, BFHE 166, 295, BStBl II 1992, 297, m. w. N.) -- frei widerrufen.

Im Falle des Verlustrücktrags sind die Ehegatten zum Widerruf der getroffenen Wahl befugt, wenn dadurch der durch den Verlustabzug eröffnete Korrekturspielraum bei beiden weder über- noch unterschritten wird (BFH-Urteil vom 27. September 1988 VIII R 98/87, BFHE 155, 91, BStBl II 1989, 229). Einer höheren Steuerfestsetzung infolge des Widerrufs der getroffenen Wahl steht die materielle Bestandskraft der bisherigen Steuerfestsetzung entgegen. Die Bestandskraft darf allein durch den steuermindernden Verlustabzug durchbrochen werden, nicht aber durch die erneute Ausübung des Veranlagungswahlrechts.

Bei Anwendung der vorgenannten Grundsätze hat das FG zu Unrecht dem Begehren der Klägerin auf getrennte Veranlagung stattgegeben. Mit dem FG ist zwar davon auszugehen, daß der Antrag der Klägerin, nunmehr getrennt veranlagt zu werden, nicht willkürlich ist, obgleich sie im Streitjahr keine eigenen Einkünfte bezogen hatte; ihr Interesse, den von ihr erwirtschafteten Verlust in spätere Jahre vorzutragen, um dadurch ihre Einkommensteuer zu mindern, ist als Grund für die erneute Ausübung des Wahlrechts anzuerkennen. Ihr Antrag ist aber nicht wirksam, weil die Einkommensteuer, die bei getrennter Veranlagung für den beigeladenen Ehemann festzusetzen wäre, die im bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid vom 7. Dezember 1987 festgesetzte Einkommensteuer bei weitem übersteigen würde.

Abweichung

Nach dem Urteil des III. Senats in BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824 findet die Anfechtungsbeschränkung des §351 Abs. 1 AO 1977 keine Anwendung auf die Ausübung des Wahlrechts nach §26 Abs. 1 Satz 1 EStG. Die im Zusammenhang mit der Änderung eines Steuerbescheids erneut ausgeübte Wahl der Veranlagungsart durch die Ehegatten löse nur die Rechtsfolgen der §§26 a bis 26 c EStG aus, lasse im übrigen aber die Besteuerungsgrundlagen unberührt. Nur letzteres solle durch die Vorschrift des §351 AO 1977 sichergestellt werden. Der III. Senat hatte über die erneute Ausübung des Veranlagungswahlrechts aufgrund der Änderung einer nach §165 Abs. 1 AO 1977 vorläufigen Steuerfestsetzung zu entscheiden. Nach dem Sachverhalt war die im Wege der getrennten Veranlagung endgültig festgesetzte Einkommensteuer höher als die Steuer, bis zu deren Höhe durch die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung die materielle Bestandskraft des ursprünglichen Bescheids offengehalten werden sollte.

Sollte die Entscheidung des III. Senats dahin zu verstehen sein, daß das Veranlagungswahlrecht im Zusammenhang mit der Änderung eines bestandskräftigen Bescheids unabhängig davon erneut ausgeübt werden kann, inwieweit dessen Bestandskraft durchbrochen ist, so weicht die vom erkennenden Senat beabsichtigte Entscheidung davon ab.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66803

BFH/NV 1998, 309

DStRE 1998, 163

HFR 1998, 275

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