Leitsatz (amtlich)

Erlangt ein Steuerpflichtiger erst während des Klageverfahrens von seinem inzwischen von ihm geschiedenen Ehegatten den Widerruf eines Antrags auf getrennte Veranlagung, so entspricht es billigem Ermessen im Sinne des § 138 Abs. 1 FGO, ihm die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, wenn er diesen allein veranlaßt hat, um die Zusammenveranlagung zu erreichen.

 

Normenkette

EStG § 26; FGO §§ 137-138

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) und ihr Ehemann, von dem sie später geschieden wurde, wurden für das Jahr 1969 noch gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Die Steuererklärung war nur von der Klägerin unterschrieben. Auf Einspruch und Antrag des Ehemannes führte der Beklagte und Beschwerdeführer (FA) die getrennte Veranlagung durch. Den dagegen eingelegten Einspruch der Klägerin wies das FA zurück, da der Ehemann den Antrag auf getrennte Veranlagung nicht widerrufen hatte.

Mit der Klage legte die Klägerin eine Erklärung ihres geschiedenen Ehemannes vor, wonach er seinen Antrag auf getrennte Veranlagung zurückzog. Das FA berichtigte den Bescheid, indem es erneut die Zusammenveranlagung durchführte, und erklärte übereinstimmend mit der Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das FG erlegte dem FA die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO auf, da das FA dem Antrag der Klägerin durch Berichtigung des angefochtenen Bescheides in vollem Umfange entsprochen habe.

Hiergegen erhob das FA Beschwerde mit der Begründung, nach dem in § 137 FGO enthaltenen allgemeinen Rechtsgrundsatz seien die Kosten der Klägerin aufzuerlegen, da sich das FA in jeder Verfahrensphase richtig verhalten habe. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Beschwerde.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet. Es entspricht billigem Ermessen, der Klägerin nach § 138 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

1. Das FG hat seine Kostenentscheidung zu Unrecht auf § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO gestützt. Zwar hat das FA dem Antrag der Klägerin durch Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts entsprochen, jedoch ist dieser, nämlich die getrennte Veranlagung, infolge des Antrags des geschiedenen Ehemannes offensichtlich nicht rechtswidrig gewesen. Das gleiche gilt auch für die zugehörige Einspruchsentscheidung. Nach der Rechtsprechung des BFH (Beschlüsse vom 7. Juli 1972 III B 49/71, BFHE 106, 416, BStBl II 1972, 955, und vom 3. Februar 1970 VII K 13/68, BFHE 98, 328, BStBl II 1970, 328; vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 138 FGO Tz. 38) ist in einem solchen Fall § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht anwendbar, sondern die Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO zu treffen. Denn der Steuerpflichtige kann im finanzgerichtlichen Verfahren gegen einen Verwaltungsakt nur Klage erheben, wenn er geltend macht, daß dieser rechtswidrig ist (§ 40 Abs. 2 FGO). Das bedeutet, daß dem Antrag des Steuerpflichtigen nur dann im Sinne des § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO stattgegeben wird, wenn durch die Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts dem mit der Klage erhobenen Einwand der Rechtswidrigkeit abgeholfen wird. Daran fehlt es aber im Streitfall.

2. Der Senat vermag allerdings auch nicht der Ansicht des FA zu folgen, daß die Kosten nach § 137 FGO von der Klägerin zu tragen sind. Diese Vorschrift stellt es auf das Verschulden eines Beteiligten ab (Tipke/Kruse, a. a. O., § 137 FGO Anm. 1). Daran fehlt es im Streitfall. Man kann nicht sagen, daß die Klägerin die hier entscheidende Tatsache im Sinne des § 137 Satz 1 FGO, den Widerruf des vom geschiedenen Ehemann gestellten Antrags auf getrennte Veranlagung, hätte früher geltend machen können. Sie konnte diese Erklärung nicht selbst abgeben, sondern mußte sie von ihrem geschiedenen Ehemann beschaffen, der in diesem finanzgerichtlichen Prozeß ein nichtbeteiligter Dritter ist. Der Erfolg eines Zivilprozesses im Falle der Weigerung des Ehemannes ist zweifelhaft; der Rechtsstreit hätte wohl auch längere Zeit in Anspruch genommen. Der Gesetzgeber hat die Zusammenveranlagung von der Zustimmung beider Ehegatten abhängig gemacht, dem einzelnen Ehegatten aber keine ausdrückliche rechtliche Möglichkeit zur Erzwingung der Zustimmung des anderen Ehegatten eingeräumt. Zwar hat der Senat im Urteil vom 8. März 1973 VI R 305/68 (BFHE 109, 317, BStBl II 1973, 625) ausgeführt, daß unter bestimmten Voraussetzungen ein Antrag auf getrennte Veranlagung wegen Willkür nicht beachtet zu werden braucht. Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Voraussetzungen im Streitfall vorliegen. Der frühere Ehemann hatte möglicherweise sogar ein berechtigtes Interesse an der Nichtabgabe einer Erklärung auf Wahl der Zusammenveranlagung, etwa weil er auf diese Weise vom FA früher und leichter eine Einkommensteuer-(Lohnsteuer-)Erstattung erhielt. Ein Verschulden der Klägerin im Sinne des § 137 Satz 2 FGO scheidet ebenfalls aus, denn ein Verhalten des geschiedenen Ehegatten kann ihr nicht zugerechnet werden. Aber auch dem FA ist kein Verschulden vorzuwerfen. Nach § 26 Abs. 3 EStG genügte für die Zusammenveranlagung bereits die Unterschrift eines Ehegatten. Auf den folgenden ausdrücklichen Antrag des geschiedenen Ehemannes mußte das FA dem Gesetz entsprechend die getrennte Veranlagung für die Klägerin vornehmen. Nachdem die entsprechenden Erklärungen beider Eheleute vorlagen, hat das FA auch ohne weiteres die günstigere Zusammenveranlagung wieder durchgeführt.

3. Da sich das FA rechtmäßig verhalten hat und auch der Klägerin kein Verschulden vorzuwerfen ist, ist die Kostenentscheidung gemäß § 138 Abs. 1 FGO nach billigem Ermessen zu treffen. Unter Abwägung der Umstände sind die Kosten der Klägerin aufzuerlegen.

Die Klägerin hat den Rechtsstreit gegen einen Steuerbescheid in Gang gesetzt, der nicht rechtswidrig war (vgl. Beschluß des BFH vom 14. April 1967 IV B 23/66, BFHE 88, 195, BStBl III 1967, 321). Zwar enthält die Finanzgerichtsordnung keine dem § 93 der Zivilprozeßordnung entsprechende Vorschrift, nach der dem Kläger die Prozeßkosten zur Last fallen, wenn der Beklagte durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage keine Veranlassung gegeben hat und den Anspruch sofort anerkennt. Eine solche Vorschrift brauchte aber in die Finanzgerichtsordnung deshalb nicht aufgenommen zu werden, weil im Regelfall der erfolgreichen Anfechtungs- oder Untätigkeitsklage die beklagte Behörde Anlaß zur Klageerhebung gegeben haben muß. Dagegen hindert das Fehlen einer solchen Vorschrift in der Finanzgerichtsordnung nicht, ihren Grundgedanken im Rahmen der nach § 138 Abs. 1 FGO nach billigem Ermessen zu treffenden Kostenentscheidung zu berücksichtigen, wenn das Verfahren, zu dessen Einleitung das FA keine Veranlassung gegeben hatte, sich in der Hauptsache dadurch erledigt, daß das FA dem Antrag der Steuerpflichtigen entspricht. Das aber ist im Streitfall geschehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71605

BStBl II 1976, 384

BFHE 1976, 160

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