Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage an den EuGH zur Frage des Vorsteuerabzugs bei teilweise zu eigenen Wohnzwecken genutzten Betriebsgebäuden

 

Leitsatz (amtlich)

Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Darf ein Mitgliedstaat die nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichgestellte Verwendung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken in einem insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Betriebsgebäude als steuerfrei (gemäß Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG, aber ohne Möglichkeit, auf die Steuerbefreiung zu verzichten) behandeln mit der Folge, dass der Abzug der im Zusammenhang mit der Herstellung des Gebäudes angefallenen Mehrwertsteuer als Vorsteuer insoweit gemäß Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ausgeschlossen ist?

 

Normenkette

UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 Buchst. b, § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a, §§ 9, 15 Abs. 2 Nr. 1; EWGRL 388/77 Art. 6 Abs. 2 Buchst. a, Art. 13 Teil B Buchst. b, Art. 13 Teil C S. 1 Buchst. a, Art. 17 Abs. 2 Buchst. a

 

Verfahrensgang

FG München (UVR 1999, 297)

 

Nachgehend

EuGH (Urteil vom 08.05.2003; Aktenzeichen C-269/00)

 

Tatbestand

I. Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Inhaber eines Baumpflege- und Gartenbaubetriebes, der der Regelbesteuerung unterliegt. Er errichtete 1995 (Streitjahr) ein Gebäude, das er (insgesamt) seinem Unternehmen zuordnete und seit Fertigstellung teilweise unternehmerisch und teilweise für eigene Wohnzwecke nutzt.

In seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger auf das gesamte Gebäude entfallende Vorsteuerbeträge in unstreitiger Höhe geltend. Im Hinblick auf die private Verwendung des Gebäudes erklärte er steuerpflichtigen Eigenverbrauch.

Dagegen beurteilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die private Nutzung des Gebäudes als steuerfreien Eigenverbrauch und versagte dem Kläger insoweit den Vorsteuerabzug.

Das Finanzgericht (FG) folgte der Auffassung des FA und wies die Klage ab. Das Urteil ist in Umsatzsteuer- und Verkehrsteuerrecht (UVR) 1999, 297 abgedruckt.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er ist der Auffassung, aus dem Gemeinschaftsrecht ergebe sich, dass die Nutzung der Wohnung für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen steuerbar und steuerpflichtig sei und deshalb der Abzug der auf den als Wohnung genutzten Teil des Gebäudes entfallenden Vorsteuerbeträge nicht ausgeschlossen sei.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und nach seinem Klageantrag zu erkennen. Er regt hilfsweise an, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zu der im Streitfall entscheidungserheblichen Rechtsfrage einzuholen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Der Senat legt dem EuGH die im Tenor bezeichnete Frage zur Auslegung der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus.

1. Zur Rechtslage nach deutschem Recht

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) in der im Streitjahr 1995 geltenden Fassung liegt steuerbarer Eigenverbrauch vor, wenn ein Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens sonstige Leistungen der in § 3 Abs. 9 UStG bezeichneten Art ―das sind Leistungen, die keine Lieferungen sind― für Zwecke ausführt, die außerhalb des Unternehmens liegen. Nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG 1993 in der im Streitjahr geltenden Fassung war von den "unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3" UStG fallenden Umsätzen steuerfrei die Vermietung und die Verpachtung von Grundstücken. Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993 die Steuer für die Lieferungen von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats ist die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Grundstücks für unternehmensfremde Zwecke dann steuerfrei und schließt gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG den Vorsteuerabzug insoweit aus, wenn im Falle entgeltlicher Überlassung an einen Dritten eine Grundstücksvermietung i.S. des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG gegeben wäre (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 16. Oktober 1980 V R 51/76, BFHE 132, 119, BStBl II 1981, 228; vom 18. Dezember 1986 V R 176/75, BFHE 149, 78, BStBl II 1987, 350; vom 10. Februar 1994 V R 33/92, BFHE 174, 258, BStBl II 1994, 668). Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung gemäß § 9 UStG ist beim Eigenverbrauch deshalb nicht zulässig, weil die Vorschrift einen Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen voraussetzt (vgl. BFH-Urteil vom 29. Oktober 1987 V R 155/78, BFHE 151, 243, BStBl II 1988, 90). Bei einer Grundstücksvermietung an Dritte ist der Verzicht (in bestimmten Fällen) möglich.

2. Zur Rechtslage nach der Richtlinie 77/388/EWG

Nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG wird einer ―gemäß Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG der Mehrwertsteuer unterliegenden― Dienstleistung gegen Entgelt die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke gleichgestellt, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat. Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen abzuziehen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden. Gemäß Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken grundsätzlich von der Steuer, können aber ihren Steuerpflichtigen gemäß Art. 13 Teil C Satz 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG das Recht einräumen, für eine Besteuerung zu optieren.

3. Zur Anrufung des EuGH

Nach der Rechtsprechung des EuGH bezweckt Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG, die Gleichbehandlung zwischen Steuerpflichtigem und Endverbraucher sicherzustellen. Die Bestimmung soll verhindern, dass ein zu privaten Zwecken verwendeter Betriebsgegenstand nicht besteuert wird (vgl. EuGH-Urteile vom 27. Juni 1989 Rs. 50/88 ―Kühne―, Slg. 1989, 1925, Rdnr. 8; vom 25. Mai 1993 Rs. C-193/91 ―Mohsche―, Slg. 1993, I-2615, Rdnr. 8; vom 16. Oktober 1997 Rs. C-258/95 ―Fillibeck―, Slg. 1997, I-5577, Rdnr. 25).

Fraglich ist aber, wie weit diese Gleichstellung reicht, ob insbesondere die (teilweise) Verwendung des dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen wie eine steuerfreie "Vermietung und Verpachtung von Grundstücken" i.S. von Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG angesehen werden kann.

Diese Frage erscheint dem Senat auch durch das EuGH-Urteil vom 4. Oktober 1995 Rs. C-291/92 ―Armbrecht― (Slg. 1995, I-2775, BStBl II 1996, 392) noch nicht abschließend geklärt (vgl. BFH-Beschluss vom 13. September 1999 V B 60/99, BFH/NV 2000, 246; Widmann, Der Betrieb ―DB― 1995, 2341, 2343; Klenk, UVR 1996, 193; Birkenfeld, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 1997, 241, 246; Dziadkowski, UR 1999, 445). Zwar hatte Generalanwalt Jacobs in dieser Rechtssache u.a. ausgeführt, die deutsche Regelung, die einen Steuerpflichtigen, der ein dem Unternehmen zugeordnetes Grundstück privat nutze, dem Mieter im Rahmen eines von der Steuer befreiten Mietverhältnisses gleichstelle, beruhe auf einem Verständnis des Begriffs der Steuerneutralität, das im Gegensatz zur Rechtsprechung des EuGH stehe (vgl. Begründung der Schlussanträge vom 6. April 1995, Rdnrn. 22 ff., 47; vgl. auch Farmer/Lyal, EC Tax Law, 1994, S. 105). Der EuGH hat diese Ausführungen in seinem anschließenden Urteil in dieser Rechtssache aber nicht aufgegriffen.

Insbesondere erscheint fraglich, wie weit der Spielraum des jeweiligen Mitgliedstaates in diesem Bereich reicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach dem Wortlaut des Art. 13 Teil B Buchst. b und Teil C der Richtlinie 77/388/EWG den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Steuerbefreiung oder der Besteuerung von Vermietungsumsätzen ein weites Ermessen eingeräumt ist (vgl. EuGH-Urteil vom 3. Februar 2000 Rs. C-12/98 ―Amengual Far―, UR 2000, 123, Rdnr. 13). Hierzu ist zu bemerken, dass der österreichische Gesetzgeber sich ―auch nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Armbrecht― für befugt gehalten hat, durch eine Änderung des § 6 Abs. 1 Ziff. 16 seines UStG im Abgabenänderungsgesetz 1997 (Österreichisches Bundesgesetzblatt I 1998, 9) die Steuerfreiheit des Eigenverbrauchs ausdrücklich vorzuschreiben (vgl. Novacek, UVR 1998, 106; Dziadkowski, UR 1999, 445, 447). Darauf hat das FG in der Vorentscheidung zutreffend hingewiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425669

BFH/NV 2000, 1175

BFHE 191, 450

BFHE 2001, 450

BB 2000, 1509

DB 2000, 1694

DStR 2000, 1224

DStRE 2000, 819

HFR 2000, 746

StE 2000, 447

UR 2000, 325

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Gold. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge