Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Anordnung

 

Leitsatz (NV)

Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Grundes für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung müssen schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Eine einstweilige Anordnung kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist.

 

Normenkette

FGO § 114 Abs. 1 S. 2

 

Tatbestand

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) betreibt gegen den Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) die Zwangsvollstreckung u. a. wegen rückständiger Einkommensteuer- Vorauszahlungen II und III/1980, Einkommensteuer 1980 sowie darauf entfallender Säumniszuschläge. In den Jahren 1982 bis 1989 führte das FA zahlreiche Vollstrekungsmaßnahmen gegen den Antragsteller durch. Nach Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung durch den Antragsteller, die er im April 1989 auch wegen der genannten Rückstände abgab, unternahm das FA zunächst keine weiteren Vollstreckungsversuche. Erst als eine aktuelle Kontenverbindung des vom Antragsteller neu gegründeten Handwerksbetriebs bekannt wurde, pfändete das FA mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom ... März 1994 alle auf dem Konto bestehenden und zukünftig entstehenden Überschüsse.

Der Antragsteller beantragte, die Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheides 1980 festzustellen, weil dieser ihm nicht bekanntgegeben worden sei. Dies lehnte das FA mit Verwaltungsakt vom ... ab. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Über die Klage ist noch nicht entschieden worden. Außerdem begehrte der Antragsteller im Wege eines Verfahrens auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorläufigen Rechtsschutz. Die Anordnung sei erforderlich, um ihn, den Antragsteller, der sich gerade eine neue berufliche Existenz aufbaue, vor erheblichen Nachteilen zu bewahren. Das FA vollstrecke aus einer angeblichen Steuerschuld, deren Festsetzung nicht nachgewiesen werden könne; das FA könne nicht einmal einen Steuerbescheid vorlegen.

Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag auf einstweilige Anordnung insoweit ab, als er sich auf die Säumniszuschläge aus Einkommensteuer 1980 und aus Einkommensteuer-Vorauszahlungen II und III/1980 bezog. Im übrigen stellte es die Vollstreckung der Einkommensteuer 1980 in Höhe von rd. 55 000 DM und der Einkommensteuer-Vorauszahlungsbeträge II und III/1980 in Höhe von insgesamt rd. 5 000 DM bis auf die nicht entrichteten Vorauszahlungsbeträge einstweilen ein. Im übrigen wurde der Antrag als unbegründet abgelehnt.

Den Gründen des vom FA angefochtenen Beschlusses ist zu entnehmen, daß das FG den Antrag des Antragstellers auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nur bezüglich der Vollstreckung wegen Einkommensteuer 1980 stattgegeben, ihn aber wegen der Säumniszuschläge als unzulässig und wegen der noch nicht geleisteten Vorauszahlungen II und III/1980 als unbegründet zurückgewiesen hat.

Soweit das FG dem Antrag stattgab, führte es im einzelnen u. a. aus: Der Antragsteller habe hinsichtlich der begehrten Regelungsanordnung einen Anordnungsanspruch dargelegt und glaubhaft gemacht; es liege auch ein Anordnungsgrund vor. Der Anordnungsanspruch ergebe sich daraus, daß gegen den Antragsteller Vollstreckungsmaßnahmen aus einem nicht wirksamen Steuerbescheid durchgeführt worden seien und weiterhin drohten. Der Anordnungsgrund liege vor, weil wegen der Höhe und des Alters der Rückstände und der Unwirksamkeit des der Vollstreckung zugrundeliegenden Bescheides dem Antragsteller nicht zuzumuten sei, die Vollstreckung hinzunehmen und den Aufbau seines Betriebes in Frage stellen zu lassen. Die Vollstreckung bringe für den Antragsteller Nachteile mit sich, die einer Existenzvernichtung gleichkämen.

 

Entscheidungsgründe

Die vom FG zugelassene Beschwerde des FA hat Erfolg. Soweit das FG dem Antrag des Antragstellers auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO) stattgegeben hat, ist der Beschluß bereits deswegen aufzuheben, weil der Antragsteller einen Grund für den Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung weder schlüssig dargelegt noch glaubhaft gemacht hat. Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob ein Anordnungsanspruch gegeben ist, kommt es deshalb nicht an, so daß der Senat sich damit nicht zu befassen braucht.

Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, daß der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund schlüssig dargelegt und die tatsächlichen Voraussetzungen dafür glaubhaft gemacht hat (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Fehlt es an einer der beiden Voraussetzungen, kann die einstweilige Anordnung nicht ergehen. Im Streitfall hat der Antragsteller den Anordnungsgrund nicht ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.

Die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ausdrücklich genannten Gründe ("wesentliche Nachteile" und "drohende Gewalt") setzen Maßstäbe für die Beurteilung der Frage, ob ein "anderer" Anordnungsgrund vorliegt. Er müßte so schwerwiegend sein, daß er die einstweilige Anordnung unabweisbar macht. Danach kommt eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist. Die den Anordnungsgrund rechtfertigenden Umstände müssen über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei der Vollstreckung zu erwarten sind. Deshalb sind Umstände, wie die Bezahlung von Steuern, auch wenn sie möglicherweise nach einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren zu erstatten wären, eine zur Bezahlung von Steuern notwendige Kreditaufnahme, ein Zurückstellen betrieblicher Investitionen oder eine Einschränkung des gewohnten Lebensstandards für sich allein keine Anordnungsgründe (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, vgl. Beschluß vom 10. August 1993 VII B 262/92, BFH/NV 1994, 719, m. w. N.). Existenzbedrohende, wesentliche Gründe, die den danach erforderlichen Anforderungen entsprechen, hat der Antragsteller im Streitfall nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht.

Allein die Höhe und das Alter der in der Vollstreckung befindlichen Rückstände rechtfertigen es nicht, das Vorliegen existenzbedrohender, wesentlicher Nachteile anzunehmen. Die geltend gemachte Unwirksamkeit des Einkommensteuerbescheides 1980 ist in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen, sie kann nur in bezug auf den Anordnungsanspruch von Bedeutung sein. Der Antragsteller hat im übrigen nichts Substantielles dazu vorgetragen, geschweige denn präsente Beweismittel dazu vorgelegt, ob, in welcher Weise und in welchem Umfang seine Existenzgrundlage bei Vollstreckung der Einkommensteuerrückstände 1980 beeinträchtigt würde. Die allgemeine Annahme des FG, daß die Durchführung der Vollstreckung in Höhe des in Rede stehenden Betrages von rd. 55 000 DM höchstwahrscheinlich den Versuch des Antragstellers, erneut persönlich und wirtschaftlich Fuß zu fassen, vereiteln würde, ersetzt die notwendige schlüssige Darlegung und die erforderliche Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes durch den Antragsteller nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422123

BFH/NV 1997, 428

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