Leitsatz (amtlich)

Wird die Verletzung eines ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsatzes gerügt, so ist die Revision nur dann zulässig begründet, wenn sie nähere Angaben darüber enthält, woraus sich der angebliche Rechtsgrundsatz ergibt und in welcher konkreten Ausprägung der Grundsatz verletzt worden ist.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) stellte am 8. Dezember 1970 den Antrag, ihr Eingangsabgaben im Billigkeitswege nach § 131 AO zu erstatten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) lehnte den Antrag ab. Beschwerde und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG war der Ansicht, die Verwaltung habe die Grenze des ihr nach § 131 AO eingeräumten Ermessens nicht überschritten.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts, und zwar des gemeinschaftsrechtlichen ungeschriebenen Rechtsgrundsatzes, wonach Abgaben unter Berücksichtigung des Einzelfalles im Billigkeitswege erlassen werden könnten. Nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) vom 30. November 1972 Rs. 18/72 (EGHE 1972, 1163) könnten Billigkeitsmaßnahmen nicht mehr auf nationales Recht gestützt werden. Da die Verwaltung die Ablehnung des von ihr gestellten Billigkeitsantrags nur auf § 131 AO gestützt habe, sei sie bei der Ausübung ihres Ermessens von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Die von der Verwaltung getroffene Entscheidung sei also ermessensiehlerhaft. Der Verwaltung müsse deshalb die Gelegenheit gegeben werden, den Billigkeitsantrag nach dem maßgebenden Gemeinschaftsrecht erneut zu prüfen. Sie rege an, eine Vorabentscheidung des EGH über den näheren Inhalt des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsatzes über den Erlaß von Abgaben im Billigkeitswege einzuholen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Nach § 120 Abs. 2 FGO ist im Rahmen der Revisionsbegründung u. a. die verletzte Rechtsnorm zu bezeichnen. Zweck dieser Bestimmung ist es, das Revisionsgericht zu entlasten und den Inhalt des Revisionsangriffs klar herauszustellen. Es ist daher erforderlich, daß auch den sachlich-rechtlichen Revisionsrügen eine sorgfältige, über ihren Umfang und Zweck keinen Zweifel lassende Begründung zuteil wird. Die Revision kann also auf die Verletzung allgemeiner Prinzipien nur dann zulässig gestützt werden, wenn die Existenz dieser Prinzipien dargelegt und zudem diejenige Ausprägung des allgemeinen Gedankens angegeben wird, die verletzt sein soll. Andernfalls wäre die unsubstantiierte Rüge der Fehlerhaftigkeit zulässig, die § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO gerade ausschlioßen will, indem er die Bezeichnung einer bestimmten Rechtsnorm fordert. Je weniger klar die Bezeichnung der Norm den Umfang des Revisionsangriffs erkennen läßt, desto mehr wird die Angabe der Tatsachen erforderlich, in denen die Verletzung einer Norm gesehen wird (vgl. Urteil des BFH vom 5. November 1968 II R 118/67, BFHE 94, 116, BStBl II 1969, 84, mit weiteren Nachweisen). Diesen Erfordernissen genügt die Revisionsbegründung der Klägerin nicht.

Die Klägerin rügt die Verletzung eines allgemeinen Grundsatzes des Rechts der Europäischen Gemeinschaften, wonach Abgaben unter Berücksichtigung des Einzelfalles im Billigkeitswege sollen erlassen oder erstattet werden können. Zur Begründung dafür, daß es einen solchen Rechtsgrundsatz gebe, beruft sich die Klägerin auf die Urteile des EGH vom 13. Februar 1969 Rs. 14/68 (EGHE 1969, 1) und vom 17. Dezember 1970 Rs. 11/70 (EGHE 1970, 1125) sowie auf einen Vorentwurf eines Vorschlages der Kommission über die Erstattung und den Erlaß von Eingangsabgaben. Die genannten Quellen sagen jedoch nichts über das Bestehen des angeblichen Rechtsgrundsatzes. Der genannte Entwurf ist nicht über das Entwurfsstadium hinausgekommen. Im Urteil Rs. 14/68 geht es um die Vermeidung von Doppelsanktionen auf kartellrechtlichem Gebiet. Aus dem Urteil Rs. 11/70 ergibt sich lediglich, daß der EGH das Bestehen allgemeiner, weder im Vertrag noch in den darauf gestützten Normen ausdrücklich festgelegter Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts bejaht, nicht aber, daß es auch den von der Klägerin behaupteten Rechtsgrundsatz gibt. Sonstige Ausführungen der Klägerin zum Entstehungsgrund oder der Rechtsquelle des angeblichen Grundsatzes fehlen völlig. Die Klägerin hat mit der Revision nicht dargelegt oder auch nur behauptet, daß es eine allen Mitgliedstaaten gemeinsame Rechtsüberlieferung auf dem Gebiet des Abgabenerlasses aus Billigkeitsgründen gebe, die die Grundlage für die angebliche ungeschriebene gemeinschaftsrechtliche Billigkeitsregelung darstellen könnte (vgl. das EGH-Urteil Rs. 11/70, in der der EGH die Geltung ungeschriebener allgemeiner Rechtsgrundsätze ausdrücklich davon abhängig gemacht hat, daß sie von der gemeinschaftlichen Rechtsüberlieferung der Mitgliedstaaten getragen werden).

Die Revisionsbegründung läßt aber nicht nur Angaben darüber vermissen, daß es den behaupteten Rechtsgrundsatz gibt. Es fehlen darüber hinaus alle Angaben dazu, welchen konkreten Inhalt dieser Grundsatz haben soll. Um das Ziel des Revisionsangriffs erkennbar zu machen, hätte es aber entsprechender näherer Angaben bedurft, insbesondere dazu, welche besondere Ausprägung des behaupteten gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsatzes durch die Ablehnung der Erstattung im vorliegenden Fall verletzt worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71616

BStBl II 1976, 456

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