Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Darlegung der Verfassungswidrigkeit der Besteuerung des Vorerben

 

Leitsatz (NV)

Die bloße Behauptung, die Besteuerung des Vorerben als Vollerbe (§ 6 Abs. 1 ErbStG) sei mit der inneren Systematik des Erbschaftsteuerrechts unvereinbar und verstoße damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG, ist ohne Auseinandersetzung mit der bürgerlich-rechtlichen Ausgestaltung der Rechtsstellung des Vorerben als Erbe (§ 2100 BGB) und den besonderen, der Verdoppelung der Erbenstellung bei Anordnung von Vor- und Nacherbfolge Rechnung tragenden Regelungen des ErbStG nicht ausreichend, um eine verfassungswidrige Überschreitung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darzulegen.

 

Normenkette

BGB § 2100; ErbStG § 6 Abs. 1-3, § 20 Abs. 4; FGO § 115 Abs. 3 S. 3; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG München (EFG 2000, 279)

 

Tatbestand

I. Der 1992 verstorbene W bestimmte in einem notariellen Testament vom … seine Ehefrau (E) zu seiner nicht befreiten Vorerbin und die Klägerinnen und Beschwerdeführerinnen (Klägerinnen) zu seinen Nacherbinnen zu 6/10 Anteilen (Klägerin zu 1) bzw. zu je 2/10 Anteilen (Klägerinnen zu 2 und 3). Die Nacherbfolge sollte mit dem Tod der Vorerbin eintreten. W ordnete ferner Testamentsvollstreckung an und bestimmte, dass die Erträge des Nachlasses, soweit E sie nicht zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch nehme, nach Abzug der jährlichen Entschädigung für den Testamentsvollstrecker und nach Erfüllung der Vermächtnisansprüche jeweils an die Nacherben entsprechend ihren Erbanteilen auszuzahlen seien. E verstarb 1993.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) setzte durch einen an den Testamentsvollstrecker gerichteten Bescheid vom … gegen die seinerzeit noch nicht feststehenden Erben der E Erbschaftsteuer in Höhe von … DM fest. Mit dem dagegen von den Klägerinnen als Nacherbinnen eingelegten Einspruch machten diese geltend, angesichts der Testamentsvollstreckung sowie der weiteren Anordnung zur Höhe der der Vorerbin zustehenden Erträge des Nachlasses sei E nicht als Vorerbin anzusehen, sondern nur als Nießbrauchsvermächtnisnehmerin.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gelangte nach Auslegung des Testaments zu der Auffassung, dass W der E nicht nur ein Nießbrauchsvermächtnis habe aussetzen, sondern sie ―wie im Testament ausdrücklich angeordnet― zur Vorerbin habe einsetzen wollen. § 6 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG), wonach der Vorerbe als Erbe gelte und daher wie ein Vollerbe besteuert werde, verstoße nicht gegen Art. 3 oder Art. 14 des Grundgesetzes (GG). Der Vorerbe dürfe nach § 20 Abs. 4 ErbStG die durch die Vorerbschaft veranlasste Steuer aus den Mitteln der Vorerbschaft entrichten; er sei daher durch die Besteuerung des Vorerbfalles wirtschaftlich nicht betroffen. Die Minderung der Bemessungsgrundlage, die sich ergebe, wenn der Vorerbe von der durch § 20 Abs. 4 ErbStG eröffneten Möglichkeit Gebrauch mache, begünstige wiederum den Nacherben als Träger der Steuerlast, weil sich der Wert seines Erwerbs verringere. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2000, 279 veröffentlicht.

Mit der wegen Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, machen die Klägerinnen eine Abweichung der Vorentscheidung von Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Das FG habe bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass der nicht aus Grundbesitz bestehende Nachlass des W nach § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 11 des Bewertungsgesetzes (BewG) mit Gegenwartswerten und damit im Verhältnis zu einheitswertgebundenem Vermögen unter Missachtung des Gleichheitssatzes bewertet worden sei. Die Vorentscheidung weiche damit vom Beschluss des BVerfG vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91 (BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671) ab. Eine Abweichung der Vorentscheidung vom Beschluss des BVerfG vom 5. April 1978 1 BvR 117/73 (BVerfGE 48, 102, BStBl II 1978, 441) ergebe sich daraus, dass das FG die Festsetzung der Erbschaftsteuer gegen E bzw. deren Erben gebilligt habe, obschon E durch den Vorerbfall keinen Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erfahren habe. Dadurch werde gegen das Übermaßverbot verstoßen.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache folge daraus, dass bis heute ungeklärt sei, ob die durch das Gesetz zur Änderung des Erbschaftssteuergesetzes vom 20. Juli 1922 (RGBl I 1922, 610) eingeführte Regelung, wonach der Vorerbe als Erbe gelte (§ 7 Abs. 1 des Erbschaftssteuergesetzes i.d.F. zur Änderung des Erbschaftssteuergesetzes vom 20. Juli 1922, RGBl I 1922, 695), mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Zuvor sei der Vorerbe erbschaftsteuerrechtlich lediglich als Nießbraucher behandelt worden (§§ 23 bis 27 des Erbschaftssteuergesetzes vom 10. September 1919, RGBl I 1919, 1543). Im steuerrechtlichen Schrifttum werde die Auffassung vertreten, dass die geänderte Besteuerung des Vorerbfalles gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße (Seifert, Betriebs-Berater 1965, 200) bzw. mit der inneren Systematik des Erbschaftsteuerrechts unvereinbar sei (Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Hinsicht, Diss. Bielefeld 1978, Herne/Berlin 1979, 103 f.). Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht werde der Vorerbe dem Vollerben gleichgestellt, der zeitlich nur befristet eingesetzte Erbe dem auf Lebenszeit eingesetzten Vorerben und der befreite Vorerbe nicht anders behandelt als der nicht befreite Vorerbe.

Die Klägerinnen beantragen, die Revision gegen das Urteil des FG München vom 24. November 1999 4 K 72/97 zuzulassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Eine Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist nur dann schlüssig gerügt, wenn einem tragenden abstrakten Rechtssatz einer genau bezeichneten Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) oder des BVerfG ein ebenfalls abstrakter tragender Rechtssatz aus der Vorentscheidung gegenübergestellt und daraus eine Abweichung erkennbar wird (BFH-Beschlüsse vom 20. September 1993 V B 80/93, BFH/NV 1995, 512, sowie vom 31. August 1994 II B 58/94, BFH/NV 1995, 240). Diesem Erfordernis genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerinnen haben weder einen abstrakten tragenden Rechtssatz aus den von ihnen zitierten Entscheidungen des BVerfG noch einen solchen Satz aus der Vorentscheidung des FG wiedergegeben und beide gegenübergestellt. Sie rügen vielmehr nur, das FG habe die in den Entscheidungen des BVerfG in BVerfGE 48, 102, BStBl II 1978, 441; vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) und in BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671 zugunsten der Steuerpflichtigen aufgestellten Grundsätze nicht beachtet und damit zu ihrem Nachteil fehlerhaft entschieden. Eine lediglich fehlerhafte Rechtsanwendung begründet indes keine Divergenz.

2. Zur ordnungsgemäßen Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung sind substantiierte und konkrete Angaben darüber erforderlich, aus welchen Gründen die erstrebte Revisionsentscheidung der Rechtsklarheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung dienen kann. Das bedeutet, dass der Beschwerdeführer konkret darauf eingehen muss, inwieweit die Rechtsfrage im Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig ist und gegebenenfalls in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist (vgl. BFH-Beschluss vom 11. Dezember 1986 V B 61/86, BFH/NV 1987, 309, m.w.N.).

Dies gilt auch, wenn die grundsätzliche Bedeutung auf einen Verstoß gegen das Grundgesetz gestützt wird; die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift reicht dafür nicht aus (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. Dezember 1987 V B 77/87, BFH/NV 1989, 27, und vom 27. März 1992 III B 547/90, BFHE 168, 17, BStBl II 1992, 842). Rügt der Beschwerdeführer ―wie im Streitfall die Klägerinnen― einen Verstoß der einfachrechtlichen Bestimmung gegen den Gleichheitssatz, so bedarf es eingehender Darlegungen dazu, dass der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht eingehalten hat (BFH-Beschlüsse vom 29. Mai 1991 V B 14/91, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Umsatzsteuergesetz 1980, § 4 Nr. 16, Rechtsspruch 1; vom 28. Oktober 1993 V B 86/93, BFH/NV 1994, 425, und vom 20. Oktober 1997 XI B 11/97, BFH/NV 1998, 594).

Derartige Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerinnen machen lediglich unter Hinweis auf kritische Äußerungen zu § 6 Abs. 1 ErbStG im steuerrechtlichen Schrifttum geltend, dass die durch das Gesetz zur Änderung des Erbschaftssteuergesetzes vom 20. Juli 1922 eingeführte Besteuerung des Vorerben als Vollerben mit der inneren Systematik des Erbschaftsteuerrechts unvereinbar sei und damit zugleich gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Sie setzen sich nicht damit auseinander, dass der Vorerbe, auch wenn er weitreichenden Beschränkungen unterworfen ist, bürgerlich-rechtlich Erbe ist (§ 2100 des Bürgerlichen Gesetzbuchs; vgl. auch BFH-Urteil vom 17. September 1997 II R 8/96, BFH/NV 1998, 587). Da das Erbschaftsteuerrecht bürgerlich-rechtlich geprägt ist (BFH-Urteil vom 26. November 1986 II R 190/81, BFHE 148, 324, BStBl II 1987, 175), kann die Anknüpfung in § 6 Abs. 1 ErbStG an die Rechtsstellung des Vorerben im bürgerlichen Recht jedenfalls nicht von vornherein als unsystematisch bezeichnet werden (vgl. Gebel in Troll, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 6 Tz. 2; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 12. Aufl., § 6 Rz. 25). Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber der Verdoppelung der Erbenstellung bei der Anordnung von Vor- und Nacherbfolge durch weitere Regelungen wie z.B. § 6 Abs. 2 und 3 und § 20 Abs. 4 ErbStG Rechnung getragen hat (vgl. auch Weinmann in Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuer, § 6 ErbStG Rz. 7). Auf diese Gesichtspunkte sind die Klägerinnen nicht eingegangen. Sie behaupten vielmehr die Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Regelung zur Besteuerung des Vorerben, indem sie ohne Auseinandersetzung mit dem Gesamtkonzept des Gesetzgebers die von ihnen befürwortete frühere Regelung im Erbschaftssteuergesetz vom 10. September 1919 als allein mit dem Gleichheitssatz vereinbar darstellen. Ein Verstoß gegen die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist damit nicht in einer den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt.

Angesichts der Unzulässigkeit der Beschwerde war auf die Frage der Klagebefugnis der Nacherbinnen nicht weiter einzugehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 550772

BFH/NV 2001, 798

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Gold. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge