Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfolgreiche NZB wegen Verstoßes gegen den Inhalt der Akten

 

Leitsatz (NV)

  1. Ein Verfahrensmangel (Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und damit gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) liegt vor, wenn das FG die Klage wegen Versäumung der Einspruchsfrist ohne Sachprüfung als unbegründet abweist, dabei aber einen in den vorgelegten Steuerakten enthaltenen Wiedereinsetzungsantrag übergeht.
  2. In derartigen Fällen ist es angezeigt, das angefochtene Urteil gemäß § 116 Abs. 6 FGO bereits im Beschwerdeverfahren aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6

 

Gründe

Die Beschwerde ist begründet.

1. Es liegt ein vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung des Finanzgerichts (FG) beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Das FG hat unter Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO den sich aus den Akten ergebenden Wiedereinsetzungsantrag des Klägers vom 23. Juni 2000 unberücksichtigt gelassen.

Zum Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 9. Oktober 1985 I R 163/82, BFH/NV 1986, 288). Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und damit ein Verstoß gegen § 96 FGO ist dann gegeben, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die angefochtene Entscheidung darauf beruht (BFH-Beschlüsse vom 12. September 1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246; vom 17. Juni 1997 X B 193/96, BFH/NV 1997, 794; vom 20. August 1997 I B 128/96, BFH/NV 1998, 353; vom 18. Mai 2000 VII B 36/99, BFH/NV 2000, 1355; vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947).

Die Tatsache, dass der Kläger einen am 23. Juni 2000 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) eingegangenen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat, war aus den dem FG vorliegenden Einkommensteuerakten klar ersichtlich. Das angefochtene Urteil kann auch auf diesem Übergehen des Wiedereinsetzungsantrags beruhen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass das FG zu dem Ergebnis kommen wird, dass dem Kläger Wiedereinsetzung zu gewähren ist.

Der Kläger hat diesen Verstoß auch in einer noch den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Weise dargelegt. Hiernach kann dahingestellt bleiben, ob die angefochtene Entscheidung teilweise nicht mit Gründen versehen ist.

2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Für das weitere Verfahren weist der Senat ―ohne die Bindungswirkung des § 126 Abs. 5 FGO― auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschlüsse vom 1. August 1996 1 BvR 121/95, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 759; vom 21. Juni 2001 1 BvR 436/01, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2001, 1395, s. ferner BFH-Urteil vom 15. Oktober 1996 IX R 81-82/94, BFHE 182, 348, BStBl II 1997, 496) hin, wonach bei der Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag Leitungsstörungen zur Sphäre des Telefaxempfängers zählen. Ferner weist der Senat darauf hin, dass sich aus der bei den Gerichtsakten des FG befindlichen Fax-Eingangsliste des FA für den 9. Februar um 15.28 Uhr ein von der Fax-Nummer des Prozessbevollmächtigten des Klägers stammender Eingang ergibt, was im bisherigen Verfahren noch von keiner Seite gewürdigt worden ist.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 873233

BFH/NV 2003, 337

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