Entscheidungsstichwort (Thema)

PKH für Nichtzulassungsbeschwerden; schlüssige Darlegung der Verletzung des rechtlichen Gehörs; erheblicher Grund i.S. von § 227 ZPO

 

Leitsatz (NV)

  1. Nach § 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn für seinen Eintritt bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht.
  2. Die schlüssige Darlegung eines Verfahrensmangels (hier: Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Ablehnung der Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung) erfordert eine genaue Bezeichnung der Tatsachen, die ‐ ihr Vorliegen unterstellt ‐ den Verfahrensmangel ergeben.
  3. Nach § 227 ZPO i.V.m. § 155 FGO kann das Gericht aus erheblichen Gründen auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen sowie ‐ nach Beginn der mündlichen Verhandlung ‐ eine Verhandlung vertagen. Liegen erhebliche Gründe für eine Terminänderung vor, so verdichtet sich die in dieser Vorschrift grundsätzlich eingeräumte Ermessensfreiheit des Gerichts zu einer Rechtspflicht. Der Termin muss in diesem Fall grundsätzlich zur Gewährung rechtlichen Gehörs aufgehoben, verlegt oder die Verhandlung vertagt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Terminänderung verzögert würde.
  4. Ein erheblicher Grund in diesem Sinne liegt grundsätzlich vor, wenn kurz vor der mündlichen Verhandlung in einer Sache, die in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht nicht einfach ist, der bisherige Prozessbevollmächtigte des Klägers sein Mandat niederlegt, ohne dass den Kläger daran ein Verschulden trifft.
 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 3 S. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 3, §§ 142, 155; ZPO §§ 114, 227 Abs. 1

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Antragsteller gegen die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1992 bis 1996 zum überwiegenden Teil abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen.

Gegen das FG-Urteil haben die Antragsteller Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und gleichzeitig Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf PKH ist unbegründet.

1. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn für seinen Eintritt bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (vgl. z.B. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordung, 5. Aufl., § 142 Rz. 11, m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ―BFH―).

2. Nach diesen Maßstäben kann den Antragstellern PKH nicht bewilligt werden, weil die von ihnen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde bei der gebotenen summarischen Prüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Denn die Antragsteller haben die von ihnen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vorgebrachten Revisionszulassungsgründe nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) ―im Folgenden: FGO n.F.― (BGBl I 2000, 1757) gebotenen Weise dargelegt.

a) Die von den Antragstellern erhobene (Verfahrens-)Rüge, das FG habe durch die (stillschweigende) Ablehnung der von ihnen begehrten Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung ihr rechtliches Gehör verletzt, entspricht bei kursorischer Prüfung nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO n.F. Danach muss der gerügte Verfahrensmangel in der Beschwerdebegründung schlüssig dargelegt werden. Dies erfordert eine genaue Bezeichnung der Tatsachen, die ―ihr Vorliegen unterstellt― den Verfahrensmangel ergeben (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 48, m.w.N.).

aa) Nach § 227 ZPO i.V.m. § 155 FGO kann das Gericht aus erheblichen Gründen auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen sowie ―nach Beginn der mündlichen Verhandlung― eine Verhandlung vertagen. Liegen erhebliche Gründe für eine Terminänderung vor, so verdichtet sich die in dieser Vorschrift grundsätzlich eingeräumte Ermessensfreiheit des Gerichts zu einer Rechtspflicht. Der Termin muss in diesem Fall grundsätzlich zur Gewährung rechtlichen Gehörs aufgehoben, verlegt oder die Verhandlung vertagt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Terminänderung verzögert würde (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 8. April 1998 VIII R 32/95, BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676, unter C. I. 1. der Gründe, m.w.N., und vom 7. Dezember 1990 III B 102/90, BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240, 241, rechte Spalte).

Welche Gründe i.S. von § 227 Abs. 1 ZPO als erheblich anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Dabei sind sowohl der Prozessstoff und die persönlichen Verhältnisse der betroffenen Beteiligten und ihrer Prozessbevollmächtigen als auch die Gesichtspunkte zu berücksichtigen, dass im finanzgerichtlichen Verfahren nur eine Tatsacheninstanz besteht und die Beteiligten ein Recht darauf haben, ihre Sache in mündlicher Verhandlung vorzutragen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676, unter C. I. 2., und in BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240, 241, rechte Spalte).

Ein erheblicher Grund in diesem Sinne liegt grundsätzlich vor, wenn kurz vor der mündlichen Verhandlung in einer Sache, die in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht nicht einfach ist, der bisherige Prozessbevollmächtigte des Klägers sein Mandat niederlegt, ohne dass den Kläger daran ein Verschulden trifft (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. März 1992 XI B 38/91, BFH/NV 1992, 679, 680; vom 14. Juni 1995 VIII B 126-127/94, BFH/NV 1996, 144, unter 2. c cc).

bb) Bei Anlegung dieser Maßstäbe haben die Antragsteller in ihrer Beschwerdebegründung keine ausreichenden Tatsachen dargelegt, bei deren Vorliegen ein erheblicher Grund für eine Aufhebung oder Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 19. November 2002 bestanden hätte. Es fehlen insbesondere jegliche Angaben darüber, aus welchen Gründen ihre Prozessbevollmächtigten ―wie es auch schon ihr vorheriger Prozessbevollmächtigter getan hatte― das Mandat niedergelegt haben. Infolgedessen kann der beschließende Senat nicht beurteilen, ob die Antragsteller an dieser Mandatsniederlegung ein Verschulden trifft (zu einem ähnlich gelagerten Fall vgl. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 1992, 679, 680).

b) Auch die von den Antragstellern unter 2. ihrer Beschwerdebegründung mit der Überschrift "Rechtliche Beanstandungen" erhobenen Einwendungen gegen die Vorentscheidung enthalten nach summarischer Prüfung keine schlüssigen Rügen von Revisionszulassungsgründen i.S. von § 115 Abs. 2 FGO n.F.

aa) Soweit die Antragsteller dort ausführen, das FG habe sich bei seiner Urteilsfindung auf Feststellungen des Finanzamts (FA) für Fahndung und Strafsachen gestützt, deren Ergebnisse ihnen nicht bekannt gewesen seien, fehlt es für die Schlüssigkeit der darin konkludent liegenden Gehörsrüge (vgl. z.B. Gräber/von Groll, a.a.O., § 96 Rz. 27) voraussichtlich schon daran, dass die Antragsteller nicht vorgetragen haben, den Mangel der Kenntnis des Fahndungsberichts ―was nach § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO geboten gewesen wäre― bereits vor dem FG gerügt zu haben (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 12, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).

Abgesehen davon verliert der Beschwerdeführer sein entsprechendes Rügerecht, selbst wenn die Voraussetzungen i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO nicht vorliegen, auch dadurch, dass er nicht alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. So stellt sich die Lage nach summarischer Prüfung im Streitfall dar. Selbst wenn es entgegen der Behauptung des FA zugetroffen haben sollte, dass den Antragstellern die von der Steuerfahndung getroffenen Feststellungen nicht (im Detail) bekannt waren, so hätten sie sich die entsprechenden Kenntnisse im FG-Verfahren unschwer durch Akteneinsicht (vgl. § 78 Abs. 1 FGO) beschaffen können.

Schließlich scheitert voraussichtlich eine schlüssige Rüge des Rechts auf Gehör im vorliegenden Zusammenhang, da sich der behauptete Gehörsverstoß nicht auf den Gesamtinhalt des Verfahrens, sondern nur auf einzelne Feststellungen bezieht, auch an dem gebotenen substantiierten Vortrag darüber, was die Antragsteller bei (genauer) Kenntnis vom Inhalt des Fahndungsberichts noch vorgetragen hätten sowie dass und inwieweit dies die Entscheidung des FG ―auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung― hätte beeinflussen können (vgl. dazu z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 14 und 11, m.w.N.).

bb) Soweit die Antragsteller ferner rügen, dass das FG "die von einer Frau X, …, gefertigte Gewinnaufstellung für 1993" nicht berücksichtigt habe, entspricht dies nach kursorischer Prüfung nicht den Anforderungen an eine schlüssige Rüge des Verstoßes gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO. Hierzu wäre u.a. erforderlich gewesen, substantiiert darzulegen, welche Schlussfolgerungen sich dem FG aufgrund dieser (angeblich nicht berücksichtigten) Tatsachen hätten aufdrängen müssen (Gräber/ Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 50 i.V.m. § 120 Rz. 72, m.w.N.). Daran fehlt es.

cc) Schwerpunktmäßig richten sich die Ausführungen der Antragsteller unter 2. ihrer Beschwerdebegründungsschrift ―nach Art einer Revisionsbegründung― gegen die vom FG vorgenommene rechtliche und tatsächliche Würdigung des Streitfalls. Mit diesem Vorbringen können sie im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde indes nicht gehört werden. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 15. Juni 1999 X B 16/99, BFH/NV 2000, 29, m.w.N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 24, m.w.N., und § 116 Rz. 34, m.w.N.). Dem materiellen Recht sind im Sinne des Revisionsrechts in aller Regel auch die Grundsätze der Beweiswürdigung und der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zuzuordnen (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 81 bis 83, m.w.N., und § 118 Rz. 30 und 31, m.w.N.). Demgemäß eröffnet die Rüge, die Beweiswürdigung und/oder Schätzung des FG seien fehlerhaft, grundsätzlich und auch hier nicht die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO n.F. (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 82).

3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Der erfolglose Antrag auf PKH löst keine Gerichtsgebühren aus (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 142 Rz. 34, m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1067327

BFH/NV 2004, 66

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Gold. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge