Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine mangelnde Vertretung bei nicht eindeutiger Niederlegung des Mandats

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Einschränkung der schriftlich erteilten Prozeßvollmacht kann nur wirksam werden, wenn sie sich aus der Vollmachtsurkunde selbst oder ausdrücklich aus einer anderen schriftlichen Erklärung des Vollmachtgebers ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 24. August 1994 XI R 35/94, BFHE 175, 507, BStBl II 1995, 64).

2. Beantragt der Prozeßvertreter schriftlich für den Fall, daß das FG in der mündlichen Verhandlung einen PKH-Antrag ablehnen werde, die Vertagung der Sache und erklärt er zugleich, "ansonsten" lege er "mit diesem Schreiben das Mandat nieder", so sind die Kläger, wenn das Gericht die Vertagung der mündlichen Verhandlung ablehnt und zur Hauptsache entscheidet, im Verfahren nach den Vorschriften der FGO vertreten.

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 3 S. 4, § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 119 Nr. 4, § 142; ZPO §§ 114, 117

 

Tatbestand

Die Antragsteller haben unter dem 14. Januar 1994 Klage gegen die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1985 bis 1988 erhoben. Als Vertreterin wurde die A-Steuerberatungs GmbH bevollmächtigt; deren Geschäftsführer Steuerberater B ist der Prozeßbevollmächtigte des vorliegenden Verfahrens. In der Klageschrift ist vermerkt, daß eine Vertretung erst nach der Entscheidung des Finanzgerichts (FG) über den -- am 3. März 1994 beim FG eingegangenen -- Antrag auf Prozeßkostenhilfe (PKH) möglich sei; Zustellungen könnten jedoch bereits an den Vertreter erfolgen. Das FG hat den Antrag auf Bewilligung von PKH mit Beschluß vom 26. Oktober 1994 zurückgewiesen. Der Beschluß wurde der "A-Steuerberatungs GmbH vertreten durch den Geschäftsführer Steuerberater B" mittels Postzustellungsurkunde am 8. November 1994 zugestellt. In der Postzustellungsurkunde ist vermerkt, daß das zugestellte Schriftstück dem in der Anschrift namentlich bezeichneten Vertretungsberechtigten persönlich übergeben worden sei.

Das FG hat in der Hauptsache Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 11. Juni 1996 anberaumt. Im Termin erschienen nur die Kläger persönlich, die ein Schreiben des Prozeßbevollmächtigten vom 11. Juni 1996 mit folgendem Inhalt überreichten: Die vorrangig zu erledigende PKH-Sache sei noch nicht entschieden worden. Die Kläger seien daher nicht hinreichend vertreten, solange der Prozeßbevollmächtigte nicht als Vertreter beigeordnet sei. Sie beantragten,

"1. Die Entscheidung der PKH-Sache im anstehenden Termin

2. im Falle der negativen PKH-Entscheidung die Vertagung des Termins zwecks:

1. Entscheidung der Kläger über die Fortführung des Verfahrens auf eigene Kosten oder anderweitige Vertretung oder eigene Verfahresführung

2. Beschwerde gegen die PKH-Entscheidung zum BFH

3. im Falle einer positiven PKH-Entscheidung die Vertagung des Termins zwecks ordentliche Klagebegründung durch uns oder einen anderen Vertreter.

Ansonsten legen wir mit diesem Schreiben das Mandat nieder, da uns eine ordentliche Vertretung der Kläger so nicht möglich ist und wir der Gefahr des Parteiverrats mit dem entsprechenden Schadensersatz unterliegen."

Die Kläger persönlich wurden in der mündlichen Verhandlung darüber informiert, daß über den PKH-Antrag bereits entschieden sei. Sie baten um Vertagung, damit ihnen Gelegenheit gegeben werde, den ablehnenden PKH-Beschluß zur Kenntnis zu nehmen "und hierauf qualifiziert zu reagieren". Das klagabweisende Urteil des FG wurde in der Sitzung vom 11. Juni 1996 verkündet. In den Urteilsgründen wird ausgeführt: Es gebe keinen Anlaß für eine Vertagung der Sache. Der ablehnende Beschluß in der PKH-Sache sei dem Bevollmächtigten rechtswirksam zugestellt worden. Die Kläger selbst hätten seither ausreichend Zeit und Gelegenheit gehabt, diesen Beschluß zur Kenntnis zu nehmen und angemessen zu reagieren.

Mit Schreiben vom 13. Juni 1996 trug die A- Steuerberatungs GmbH, vertreten durch Steuerberater B, vor, durch Schriftsatz vom 11. Juni 1996 sei das Fehlen der PKH-Entscheidung gerügt worden; "diesetwegen" hätten sie das Mandat niedergelegt. Sie bäten um Überlassung der Entscheidung sowie um den Zustellungsnachweis. Hierauf antwortete der Berichterstatter, das Schreiben vom 13. Juni 1996 werde so verstanden, daß zwischenzeitlich das Mandat niedergelegt worden sei; die erbetenen Unterlagen könnten daher nicht ausgehändigt werden. Unter dem 26. Juni 1996 teilten die Kläger persönlich dem FG mit, "daß die A-Steuerberatungs GmbH das Mandat nicht niedergelegt" habe, sondern u. a. die Glaubwürdigkeit der Zustellung der PKH-Entscheidung anzweifele.

Mit der unter dem Az. ... anhängigen, auf §116 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Revision rügen die Antragsteller, sie seien im Verfahren vor dem FG nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen. Sie tragen vor: Sie hätten bereits in der Klageschrift dargelegt, daß sie im Hinblick auf den Umfang und die Schwierigkeit des Prozeßstoffes eine Vertretung für unentbehrlich hielten. Die beim FG gestellten Anträge hätten unmißverständlich aufgezeigt, daß die Vollmacht nur zur Klageerhebung erteilt worden sei und daß sie für das weitere Verfahren eine Beiordnung des Vertreters durch das FG hätten abwarten wollen. Diese Anträge seien nicht beschieden worden. Mit dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Schreiben vom 11. Juni 1996 seien die fehlende Beiordnung und der Mangel der Vertretung gerügt worden; zugleich hätten sie einen Vertagungsantrag gestellt. Sodann habe der Prozeßvertreter das "sowieso nur für die Klageerhebung geltende Mandat niedergelegt", deswegen sei er zu dem Termin nicht erschienen. Es könne durch eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht werden, daß dem Steuerberater B der ablehnende Beschluß nicht ausgehändigt und damit nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Der Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. April 1978 VIII R 215/77 (BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401) sei hier nicht einschlägig, weil der Steuerberater B das Mandat niedergelegt habe; sie, die Antragsteller, seien daher nicht nur nicht ordentlich, sondern überhaupt nicht vertreten gewesen.

Gleichzeitig beantragen sie PKH für das Revisionsverfahren.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf PKH ist abzulehnen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ob die Antragsteller die Kosten der Prozeßführung aufbringen können, ist nicht entscheidungserheblich.

1. Nach §142 FGO i. V. m. §114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dem beim Prozeßgericht zu stellenden Antrag (§117 Abs. 1 Satz 1 ZPO) sind eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen (§117 Abs. 2 ZPO). Hierbei hat der Prozeßbevollmächtigte die dafür eingeführten Vordrucke zu nutzen (§117 Abs. 4 ZPO).

2. Die zulassungsfreie Revision ist nur statthaft, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i. S. von §116 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 FGO schlüssig gerügt werden. Eine schlüssige Rüge setzt voraus, daß die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, den behaupteten Verfahrensmangel ergeben. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Ein Verfahrensmangel i. S. von §116 Abs. 1 Nr. 3, §119 Nr. 4 FGO ist in der Revisionsbegründung nicht schlüssig dargelegt. Die Antragsteller waren im Verfahren vor dem FG nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten.

a) Die Ladung für den Termin zur mündlichen Verhandlung wurde der Prozeßbevollmächtigten der Antragsteller gemäß §62 Abs. 3 Satz 4 FGO ordnungsgemäß zugestellt. Entgegen ihrer Darlegung ermächtigte die unter dem 14. Januar 1994 erteilte Vollmacht nicht lediglich zur Erhebung der Klage. Sie war inhaltlich unbeschränkt erteilt und ermächtigte deswegen zur Vornahme aller das Verfahren betreffenden Prozeßhandlungen sowie zur Entgegennahme von Zustellungen. Eine etwaige Einschränkung der Vollmacht für das erstinstanzliche Verfahren konnte im Außenverhältnis nur wirksam werden, wenn sie sich aus der Vollmachtsurkunde selbst oder ausdrücklich aus einer anderen schriftlichen Erklärung der Vollmachtgeber ergab (vgl. BFH-Urteil vom 24. August 1994 XI R 35/94, BFHE 175, 507, BStBl II 1995, 64). Solches ist hier nicht dargetan. Dem Umstand, daß die Antragsteller beim FG PKH mit dem Ziel beantragt hatten, die A-Steuerberatungs GmbH als Bevollmächtigte beizuordnen, ist weder ausdrücklich noch konkludent eine Einschränkung der Prozeßvollmacht des Inhalts zu entnehmen, daß die erteilte Prozeßvollmacht im Falle der Ablehnung der PKH-Anträge gegenstandslos sein sollte.

Die prozessuale Wirkung der Ladung für und gegen die Antragsteller ging nicht dadurch verloren, daß der Steuerberater B zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist. Die Ablehnung eines Vertagungsantrags führt nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht dazu, daß der Beteiligte nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten wäre (vgl. Beschlüsse in BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401; vom 28. Oktober 1996 VI R 31/96, BFH/NV 1997, 360, m. w. N.). Ein Grund zur Vertagung der mündlichen Verhandlung war insbesondere nicht darin zu sehen, daß nach der Behauptung der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt über die PKH-Anträge noch nicht entschieden worden war. Die Zustellung der ablehnenden Entscheidungen war durch Postzustellungsurkunde belegt; einen Gegenbeweis, der durch eidesstattliche Versicherung nicht geführt werden könnte, haben die Antragsteller nicht angeboten.

b) Die Mandatsniederlegung im Schreiben vom 11. Juni 1996 war insofern prozessual unbeachtlich, als sie nicht unbedingt erklärt worden ist: Die Verknüpfung mit dem Wort "ansonsten" verdeutlicht, daß die Fortführung der Prozeßvertretung von künftigen innerprozessualen Ereignissen abhängen sollte und das Schreiben offenbar nur als Druckmittel gegenüber dem Gericht gedacht war, eine bestimmte Verfahrenssituation herbeizuführen und eine Aufhebung des Termins zu erreichen. Die Antragsteller selbst haben mit Schreiben vom 26. Juni 1996 vorgetragen, daß das Mandat nicht niedergelegt worden sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Umständen eine Mandatsniederlegung rechtsmißbräuchlich sein kann (vgl. hierzu FG Münster, Urteil vom 14. Mai 1992 13 K 8329/88 F, Entscheidungen der Finanzgerichte 1993, 94) oder, da zur Unzeit erfolgt, einen dem Mandanten zurechenbaren Verschuldensvorwurf begründet (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluß vom 24. Januar 1985 I ZR 113/84, Versicherungsrecht 1985, 542). §116 Abs. 1 Nr. 3 FGO setzt voraus, daß der Beteiligte in gesetzwidriger Weise im Verfahren nicht vertreten war, weil das Gericht bei der Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und dadurch dem Beteiligten die Teilnahme unmöglich gemacht hat. Ein Fall fehlender Vertretung läge somit insbesondere vor, wenn die Antragsteller bzw. ihr Prozeßbevollmächtigter nicht ordnungsgemäß geladen worden wären. So lag es hier indes nicht; eine fehlende oder mangelhafte Ladung zum Termin ist nicht gerügt worden. Bei der gegebenen Sachlage stellt es keinen dem Gericht zurechenbaren Verfahrensfehler dar, wenn der Prozeßbevollmächtigte aus einem in seiner Person liegenden Grund -- zumal aus eigenem freiwilligen Entschluß -- der mündlichen Verahndlung fernbleibt (vgl. BFH-Urteil vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948 unter II. 1. b).

 

Fundstellen

Haufe-Index 66622

BFH/NV 1998, 470

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