Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wegen unzureichender Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenzrüge

 

Leitsatz (NV)

1. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die in der Ablaufhemmungsregelung des § 171 Abs. 4 AO 1977 vorgesehene Festsetzungsverjährung zu einem späteren Zeitpunkt, wie er durch die allgemeinen Regeln der Festsetzungsverjährung bestimmt wird, eintreten kann, hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil -- wie sich unmittelbar aus der AO 1977 ergibt --, die Regelung des § 171 Abs. 4 AO 1977 keine Verkürzung der regulären Festsetzungsfristen bewirkt, sondern lediglich das Ende der regulären Festsetzungsfrist hinauszuschieben vermag.

2. Eine Divergenzrüge ist unschlüssig, wenn die möglicherweise divergierende Begründung des FG-Urteils hinweggedacht werden könnte, ohne daß das Urteil wegfiele.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; AO 1977 § 171 Abs. 4

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen die Nichtzulassung der Revision ist als unzulässig zu verwerfen, da ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) entspricht.

1. Die Klägerin macht als Zulassungsgrund zunächst grundsätzliche Bedeutung geltend. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts betrifft. Es muß sich um eine aus rechts systematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605 m. w. N.). Diese grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muß in der Beschwerdeschrift dargelegt werden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Dazu genügt die bloße Behauptung, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung, nicht. Erforderlich ist vielmehr die schlüssige und substantiierte Darlegung der bezeichneten Voraussetzungen für das Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung. Der Beschwerdeführer muß dabei konkret auf die Rechtsfrage und auf ihre Klärungsbedürftigkeit sowie auf ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingehen (vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). An der Zulassungsvoraussetzung der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten läßt (vgl. Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Anm. 9 m. w. N.).

Den genannten Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung genügt die Beschwerdeschrift nicht.

Die Klägerin hat nicht ausgeführt, daß unterschiedliche Auffassungen in Rechtsprechung und/oder Literatur eine höchstrichterliche Klärung der von ihr aufgeworfenen und als bedeutsam bezeichneten Rechtsfrage erforderlich machen.

Die Zulassung der Revision kommt auch deshalb nicht in Betracht, da die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage -- unter welchen Voraussetzungen die in der Ablaufhemmungsregelung des § 171 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) vorgesehene Festsetzungsverjährung zu einem späteren Zeitpunkt, wie er durch die allgemeinen Regeln der Festsetzungsverjährung bestimmt werde, eintreten könne -- sich unmittelbar aus der AO 1977 beantworten läßt.

Die Klägerin verkennt, daß die Regelung des § 171 Abs. 4 AO 1977 keine Verkürzung der regulären Festsetzungsfristen (§§ 169 ff. AO 1977) bewirkt, sondern infolge der die Ablaufhemmung auslösenden Tatumstände lediglich das Ende der regulären Festsetzungsfrist hinauszuschieben vermag. Denn kennzeichnend für alle eine Ablaufhemmung bewirkenden Tatbestände ist, daß sie den Lauf der Festsetzungsfrist dann völlig unberührt lassen, wenn während ihres Bestehens die Festsetzungsfrist ohnehin nicht ablaufen würde (vgl. Kühn/Hofmann, Abgabenordnung, 17. Aufl., § 171 Anm. I a). Dies ergibt sich -- entgegen der Aufassung der Klägerin -- auch unmittelbar aus dem Wortlaut einschließlich der Überschrift des Gesetzes. Denn der von der Klägerin zur Begründung ihrer Beschwerde zitierte § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 läßt die Regelungen über den Beginn der Festsetzungsfrist (§ 170 AO 1977) unberührt und verweist für den Ablauf der Festsetzungsfrist auch auf die in § 169 Abs. 2 AO 1977 genannten regulären Festsetzungsfristen. Dies bedeutet, daß die infolge der in § 171 Abs. 4 AO 1977 genannten Umstände ablaufgehemmte Festsetzungsfrist niemals vor dem Ablauf der regulären Festsetzungsfrist enden kann.

2. Soweit die Klägerin ihre Beschwerde -- unausgesprochen -- auch auf Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) stützt, ist sie ebenfalls nicht ordnungsgemäß erhoben.

Wird als Zulassungsgrund Divergenz geltend gemacht, so muß in der Beschwerdeschrift aus der angefochtenen Entscheidung des FG ein diese tragender abstrakter Rechtssatz herausgestellt werden, der zu einem ebenfalls tragenden abstrakten Rechtssatz in einer genau zu bezeichnenden Entscheidung des BFH in Widerspruch stehen könnte (vgl. Senatsentscheidung vom 17. Oktober 1990 II B 44/90, BFH/NV 1991, 483). Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) muß auf der Abweichung beruhen. Das ist der Fall, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, daß das FG-Urteil bei Zugrundelegung der divergierenden Ansicht des BFH anders ausgefallen wäre, d. h., wenn sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Abweichung und dem Ergebnis der Entscheidung nicht ausschließen läßt (vgl. Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 21). Das ist nicht der Fall, wenn die möglicherweise divergierende Begründung des FG hinweggedacht werden könnte, ohne daß das Urteil wegfiele. Bei kumulativer Begründung des FG-Urteils muß hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden.

An der substantiierten Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Abweichung fehlt es im Streitfall. Denn die Begründung des FG hinsichtlich der Nichtmaßgeblichkeit der Regelung des § 171 Abs. 4 AO 1977 beruht nicht allein auf der Erwägung, daß der Umfang der Rechtswirkung dieser Vorschrift im wesentlichen von der Prüfungsanordnung bestimmt werde, die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1986 aber nicht Gegenstand der Prüfungsanordnung gewesen sei. Vielmehr hat das FG seine Begründung in diesem Punkt in erster Linie darauf gestützt, daß § 171 Abs. 4 AO 1977 die im Streitfall maßgebliche reguläre Festsetzungsfrist nicht abzuändern vermag, da diese Regelung die Festsetzungsverjährung lediglich verzögern, nicht aber verkürzen könne. Die Entscheidung des FG hätte daher auch dann Bestand, wenn die von der Klägerin behauptete divergierende Ansicht des FG wegfallen würde. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der behaupteten Abweichung und dem Ergebnis der Vorentscheidung ist daher nicht denkbar.

Die Divergenzrüge wäre darüber hinaus aber auch unbegründet, da das FG nicht von den genannten Entscheidungen des BFH abweicht. In der von der Klägerin zitierten Entscheidung des BFH vom 15. Dezember 1989 VI R 151/86 (BFHE 159, 296, BStBl II 1990, 526) wird vielmehr -- in Einklang mit der Vorentscheidung -- ausdrücklich ausgeführt, daß die Prüfungsanordnung (§ 196 AO 1977) neben den tatsächlichen Prüfungshandlungen den sachlichen Umfang der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO 1977 bestimmt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420754

BFH/NV 1995, 1044

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