Leitsatz (amtlich)

1. Durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten wird der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, unabhängig davon, ob tatsächlich eine Erledigung der Hauptsache stattgefunden hat.

2. Der Senat tritt dem BFH-Beschluß VI B 69/67 vom 28. September 1967 (BStBl II 1968, 35) bei, wonach der Kläger durch Widerruf der Erledigungserklärung zum ursprünglichen Klageantrag zurückkehren kann.

2. Das beklagte FA kann bei übereinstimmender Erledigungserklärung nicht widerrufen.

 

Normenkette

FGO §§ 95, 138 Abs. 1

 

Tatbestand

In der Vorinstanz waren die Umsatzsteuersachen 1956 bis 1963 anhängig. Nach der berichtigten Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 1967 erklärten beide Beteiligten die Klage in der Hauptsache für erledigt. Das FG entschied daraufhin durch den angefochtenen Beschluß, daß die Kosten des Verfahrens dem Beklagten (FA) zur Last fallen.

Gegen den Beschluß wendet sich das FA. Zur Begründung trägt es vor, daß die Umsatzsteuersache 1963 nach § 94 AO nicht erledigt worden sei und auch nicht erledigt werde. Der Sitzungsvertreter des FA habe sich insofern in einem Irrtum befunden, als er dem Vertreter des Klägers die Bereitschaft des FA erklärt habe, auch die Umsatzsteuersache 1963 nach § 94 AO zu erledigen.

Im übrigen sei durch die bloße Erledigungserklärung die Hauptsache nicht erledigt worden. Das FG sei insoweit von zivilprozeßrechtlichen Grundsätzen ausgegangen, die nicht ohne weiteres auf das finanzgerichtliche Verfahren übertragen werden könnten. Die ungeprüfte Hinnahme der Erledigungserklärung könne nur in einem Verfahren mit reinem Parteibetrieb zulässig sein. Die Kostenentscheidung nach § 138 FGO habe zur Voraussetzung, daß die Sache tatsächlich außergerichtlich erledigt sei und beide Beteiligten die Sache für erledigt erklärten.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Nach § 138 Abs. 1 FGO hat das Gericht, wenn der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, über die Kosten zu entscheiden. Die Vorschrift klärt, ebenso wie § 161 VwGO, lediglich die Kostenfrage einer erledigten Hauptsache, nicht aber, wann eine Hauptsache erledigt ist.

Über die Frage, wann die Hauptsache erledigt ist, gibt für den Zivilprozeß § 91a ZPO Aufschluß. Danach erledigt sich die Hauptsache bei übereinstimmender Erledigungserklärung der Parteien. In sinngemäßer Anwendung dieser Vorschrift wird auch im Verwaltungsgerichtsprozeß bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien der Rechtsstreit in der Hauptsache als beendet angesehen (Beschluß des BVerwG VII ER 412/63 vom 13. März 1964, Deutsches Verwaltungsblatt 1964 S. 874 - DVBl 1964, 874 -; vgl. auch Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, § 161, Rdnr. 6; Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, § 107, Anm. D 2 a; Koehler, Verwaltungsgerichtsordnung, § 161, Anm. B III 3; Redekerv. Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, § 107, Anm. 1; Schunck-De Clerck, Verwaltungsgerichtsordnung, § 161, Anm. 2). Darauf, daß die Hauptsache tatsächlich erledigt ist, kommt es bei übereinstimmender Erklärung der Erledigung nicht an (Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, § 161, Anm. B 2 a; Schunck-De Clerck, Verwaltungsgerichtsordnung, § 161, Anm. 2 b). Auf Grund der von beiden Parteien übereinstimmend abgegebenen Erklärung, daß die Hauptsache erledigt ist, hat das Gericht von der Erledigung der Hauptsache auszugehen und nicht nachzuprüfen, ob tatsächlich eine Erledigung der Hauptsache stattgefunden hat (BVerwG-Beschluß VII C 150/60 vom 27. Oktober 1961, NJW 1962, 1076).

Im Hinblick darauf, daß zwischen dem verwaltungs- und dem finanzgerichtlichen Verfahren insoweit ein erkennbarer Unterschied nicht besteht, darüber hinaus § 155 FGO die sinngemäße Anwendung der Vorschriften der ZPO, also auch des § 91a vorschreibt, ist auch für das finanzgerichtliche Verfahren davon auszugehen, daß der Rechtsstreit bei übereinstimmender Erledigungserklärung der Beteiligten beendet ist (vgl. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 138, Tz. 3; v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Finanzgerichtsordnung, § 95, Anmerkung 42).

Dem steht nicht - wie das FA meint - entgegen, daß das finanzgerichtliche Verfahren vom Amtsbetrieb beherrscht werde und deshalb die ungeprüfte Übernahme der Erledigungserklärung im Gegensatz zu dem vom Parteibetrieb beherrschten Zivilprozeß nicht möglich sei. Das FA berücksichtigt bei seiner Auffassung nicht, daß für das finanzgerichtliche Verfahren auch die Dispositionsmaxime gilt, wonach es den Parteien überlassen ist, das Verfahren in Gang zu setzen, sein Ausmaß zu bestimmen und es auch zu beendigen.

2. Das FA bestreitet nicht, daß sein Sitzungsvertreter in der mündlichen Verhandlung am 12. Juni 1967 eine Erledigungserklärung auch für den Veranlagungszeitraum 1963 abgegeben hat. Damit ist der Rechtsstreit hinsichtlich dieses Veranlagungszeitraums erledigt. Darauf, ob im Zeitpunkt der Abgabe der Erledigungserklärung oder später die Hauptsache durch Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1963 tatsächlich erledigt war, kommt es entgegen der Auffassung des FA nicht an. Denn die bloße Erledigungserklärung beendet, wenn sie in Übereinstimmung mit dem Gegner abgegeben wird, die Rechtshängigkeit der Hauptsache wie ein unanfechtbares Urteil.

Die Auffassung des FA, die Erledigung trete erst mit der dem Antrag des Steuerpflichtigen entsprechenden Änderung des Bescheides ein, hat der früheren Auffassung entsprochen. An dieser kann aber mit Rücksicht darauf, daß das finanzgerichtliche Verfahren an die VwGO angeglichen worden ist und die sinngemäße Anwendung der ZPO vorschreibt (§ 155 FGO), nicht mehr festgehalten werden.

3. Mit der Behauptung, der Sitzungsvertreter habe sich bei Abgabe der Erledigungserklärung hinsichtlich des Veranlagungszeitraums 1963 in einem Irrtum befunden, will das FA offenbar die Erledigungserklärung infolge Irrtums anfechten. Eine prozessuale Erklärung ist aber wegen Irrtums nicht anfechtbar (herrschende Meinung, vgl. Rosenberg, Zivilprozeßordnung, 9. Aufl. S. 288).

In der Beschwerde gegen die Kostenentscheidung kann aber auch ein Widerruf der Erledigungserklärung durch das beklagte FA gesehen werden. Aber auch ein Widerruf der Erledigungserklärung durch das FA ist nicht möglich.

4. Mit dieser Auffassung scheint der Senat im Ergebnis von dem Beschluß des BFH VI B 69/67 vom 28. September 1967 (BStBl II 1968, 35) abzuweichen. Nach dem Leitsatz dieser Entscheidung wird ein beim BFH anhängiger Rechtsstreit, wenn das FA dem Steuerpflichtigen zusagt, dem Klagebegehren gemäß § 94 Abs. 3 AO zu entsprechen, nicht schon durch diese Zusage in der Hauptsache erledigt, sondern erst dadurch, daß das FA dem FG gemäß § 77 Abs. 3 FGO die tatsächliche Änderung des angefochtenen Bescheids mitteilt. Bis diese Mitteilung eingeht, kann das FG nach Auffassung des VI. Senats die Hauptsache nicht für erledigt erklären und eine isolierte Kostenentscheidung treffen.

Für die Entscheidung darüber, ob der erkennende Senat in einer Rechtsfrage tatsächlich von dem VI. Senat abweicht (§ 11 Abs. 3 FGO), kommt es jedoch nicht auf den Leitsatz der Entscheidung, von der abgewichen werden soll, sondern auf die der Entscheidung zugrunde liegenden tragenden Gründe an. Insoweit ist maßgebend, ob die Rechtsfrage der früheren Entscheidung und der jetzt zu treffenden Entscheidung gleich und für beide Entscheidungen in dem Sinne erheblich ist, daß bei der jetzt beabsichtigten Auslegung die frühere Entscheidung nicht so hätte ergehen können, wie sie ergangen ist, und umgekehrt, die beabsichtigte Entscheidung nicht so ergehen kann (Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bd. 7 S. 314 - BGHSt 7, 314 -).

Nach dem dem Beschluß des VI. Senats zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der klagende Steuerpflichtige sich gegen den isolierten Kostenfestsetzungsbeschluß des FG gewandt, weil das FA seine Zusage, den Lohnsteuererstattungsbetrag festzusetzen, nicht eingehalten hatte. Der VI. Senat ist bei seiner Entscheidung offenbar davon ausgegangen, daß der klagende Steuerpflichtige seine Erledigungserklärung mit der Beschwerde widerrufen hatte, mit dem Ziel, die Fortsetzung des ursprünglich anhängigen Klageverfahrens zu erreichen. Die vom VI. Senat entschiedene Rechtsfrage war demnach die Zulässigkeit des Widerrufs einer Erledigungserklärung durch den klagenden Steuerpflichtigen.

Für den Zivilprozeß wird ein Widerruf der Erledigungserklärung durch den Kläger, obwohl diese durch ihre die Rechtshängigkeit beendigende Wirkung für den Beklagten eine günstige Prozeßsituation herbeigeführt hatte, für zulässig gehalten. Der Grund dafür wird darin gesehen, daß der Kläger aus dem gleichen Sachverhalt erneut klagen könnte, da sich die nach Erledigterklärung zu erlassende Entscheidung über die Kosten nicht auf den Streitgegenstand erstreckt hätte (Göppinger, Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, Stuttgart 1958, 98). Gegen die Anwendung dieser Grundsätze auf die finanzgerichtliche Anfechtungsklage spricht allerdings, daß hier in der Regel wegen Ablaufs der Klagefrist (§ 47 FGO) eine erneute Anfechtungsklage nicht mehr möglich ist. Jedoch könnte der Steuerpflichtige, der ein Anfechtungsverfahren mit Rücksicht auf die Zusage des FA, einen dem Klagebegehren entsprechenden Bescheid zu erlassen, für erledigt erklärt hat, im Fall der späteren Verweigerung dieses Bescheids eine Verpflichtungsklage erheben.

5. Ob diese prozeßrechtliche Lage, die der im Zivilprozeß zur Erneuerung der Klage (nach Erledigung der Hauptsache) gegebenen Möglichkeit gleicht, und deshalb die Zulassung des Widerrufs der vom Kläger abgegebenen Erledigungserklärung insbesondere aus prozeßökonomischen Gründen rechtfertigt, kann für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Denn im Streitfall handelt es sich jedenfalls - im Gegensatz zu dem vom VI. Senat entschiedenen Falle - um den Widerruf der Erledigterklärung durch das beklagte FA.

Für den Zivilprozeß wird ein Widerruf durch den Beklagten mit der Begründung verneint, daß der Beklagte die Rechtshängigkeit des Klageanspruchs nicht wieder herbeiführen könne (Göppinger, a. a. O., 98). Dieser Auffassung ist im Ergebnis auch für das finanzgerichtliche Verfahren zuzustimmen. Denn das beklagte FA hat keine Möglichkeit, etwa mit Hilfe einer negativen Feststellungsklage im Ergebnis das zu erreichen, was es mit seinem ursprünglichen Sachantrag (Abweisung der Anfechtungsklage) erstrebt hatte. Das FA kann demnach seine in der mündlichen Verhandlung abgegebene Erledigungserklärung nicht widerrufen.

Der Senat weicht unter diesen Umständen, da der vom VI. Senat entschiedene Sachverhalt in einem wesentlichen Punkte anders gelagert ist, nicht von der Entscheidung des VI. Senats ab, so daß eine Anrufung des Großen Senats nicht geboten ist (§ 11 Abs. 3 FGO).

Hat demnach die Erledigungserklärung des FA Bestand, so ist der Rechtsstreit im Hinblick auf die übereinstimmenden Erklärungen der beiden Beteiligten auch für den Veranlagungszeitraum 1963 erledigt. Die Kostenentscheidung des FG ist daher insoweit nicht zu beanstanden. Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67706

BStBl II 1968, 413

BFHE 1968, 514

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