Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozeßvollmacht für Sozietät

 

Leitsatz (NV)

1 Soll mit einer Zustellung eine Ausschlußfrist zur Vorlage einer Prozeßvollmacht in Lauf gesetzt werden, so wird ein Zustellungsmangel nicht dadurch geheilt, daß der Adressat das Schriftstück nachweislich erhalten hat.

2. Eine Prozeßvollmacht kann auch auf eine Sozietät lauten; es sind dann alle in der Sozietät zusammengeschlossenen Vertretungsberechtigten bevollmächtigt (Anschluß an BGH, Urteile vom 6. Juli 1971 VI ZR 94/69, BGHZ 56, 355, und vom 24. Januar 1978 VI ZR 264/76, BGHZ 70, 247). Bis zur Vorlage einer Prozeßvollmacht, aus der sich eine Einschränkung der Bevollmächtigung auf bestimmte, einzelne Mitglieder der Sozietät ergeben kann, kann das Finanzgericht davon ausgehen, daß die Sozietät berechtigt ist, für den Beteiligten aufzutreten.

3. Ist eine Sozietät unter einem bestimmten (Gesamt-)Namen gegenüber dem Gericht aufgetreten, können unter diesem Namen Zustellungen an sie gerichtet werden, auch wenn der Name, den die Mitglieder der Sozietät als ihre Kurzbezeichnung verwendet haben, sich lediglich in der Anschriftenzeile des Kopfes ihrer Schriftsätze befindet.

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3; ZPO § 183 Abs. 2; VGFGEntlG Art. 3 § 1

 

Tatbestand

Im Klageverfahren wegen Umsatzsteuerhaftung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) wurde ... Juli ... gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) gegenüber den als Vertreter des Klägers schriftsätzlich Aufgetretenen die Vorlage der schriftlichen Vollmacht richterlich angeordnet. Die Anordnung war adressiert an A & B Treuhand, Z-Straße, X-Stadt. Die Bezeichnung A & B Treuhand findet sich in der Anschriftenzeile der namens des Klägers eingereichten Schriftsätze, deren Kopf neben vier Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern einen Rechtsanwalt aufweist.

Der Postbote übergab das Schriftstück im Geschäftslokal der Sozietät zu Zwecken der Zustellung am ... Juli ... an Frau M. Mit Schreiben vom August ... übersandte der Rechtsanwalt dem Gericht irrtümlich eine Vollmachtsurkunde des ehemaligen Mitgesellschafters des Klägers. Die Vorlage der Vollmacht des Klägers erfolgte erst im Dezember ...; sie ist auf die Namen der fünf im Kopf der Schriftsätze aufgeführten Personen ausgestellt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab, weil die Vollmacht nicht innerhalb der wirksam gesetzten Ausschlußfrist vorgelegt worden sei.

Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Er trägt vor, mit der Adressierung an A & B Treuhand sei die Anordnung nicht wirksam geworden, da die Zustellung an die Prozeßbevollmächtigten hätte bewirkt werden müssen; die A & B Treuhand seien nicht der oder die Prozeßbevollmächtigten, sondern ein postalisches Kürzel. Prozeßbevollmächtigte können nur natürliche oder besonders zugelassene juristische Personen sein, nicht aber die Sozietät als solche.

Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Rechts der BGB-Gesellschaft und im Interesse einer einheitlichen Theorie der Personengesellschaft. Das FG-Urteil werfe die Frage auf, ob eine Sozietät als BGB-Gesellschaft in ihrer Eigenschaft als nichtrechtsfähige Personenvereinigung Prozeßbevollmächtigte sein könne. Das Urteil lege nahe, daß die Vereinigung von Angehörigen steuerberatender Berufe wie eine Person zugelassen werden solle. Dies wäre eine Weiterentwicklung auf dem Wege zur Verselbständigung der Personengesellschaft, sei es in Richtung auf die juristische Person, sei es auf eine dritte Rechtsfigur neben natürlicher und juristischer Person. Dem stünde die herrschende Auffassung zur BGB-Gesellschaft entgegen. Nach der Rechtsprechung seien die Namen eines jeden Mitglieds einer Steuerberatungssozietät einzeln auf dem Briefkopf und den sonstigen Geschäftspapieren aufzuführen. Könnte sich die Sozietät als solche im Rechtsverkehr bewegen, wäre dies überflüssig.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ordnungsgemäß dargelegt hat. Denn jedenfalls ist die Beschwerde nicht begründet. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer für die Beurteilung des Streitfalles maßgebenden Rechtsfrage nur zu, wenn sie das (abstrakte) Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Sie setzt daher nach ständiger Rechtsprechung u.a. Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage voraus. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten läßt, wenn an ihre Beantwortung keine Zweifel bestehen können oder auf den Sachverhalt nach der Rechtsprechung geklärte Rechtsgrundsätze angewendet werden können (vgl. nur Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Rdnr. 9 m.w.N.).

1. Die in der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage ist im Streitfall nicht klärungsfähig. Würde nämlich die Revision zugelassen, ginge es nur um die Frage, ob den im Klageverfahren aufgetretenen Vertretern des Klägers die Ausschlußfrist zur Vorlage einer Prozeßvollmacht durch Zugang der Anordnung vom ... Juli ... wirksam gesetzt worden ist. Diese Frage ist zwar nicht bereits dadurch beantwortet, daß nach dem Vortrag des Rechtsanwalts des Klägers (in der Nichtzulassungsbeschwerde) die Anordnung jedenfalls ihm, einem Mitglied der Sozietät, tatsächlich zugegangen ist. Soll nämlich mit einer Zustellung eine Ausschlußfrist zur Vorlage einer Prozeßvollmacht in Lauf gesetzt werden, so wird ein Zustellungsmangel nicht dadurch geheilt, daß der Adressat das Schriftstück nachweislich erhalten hat (so ausdrücklich zu Art. 3 § 1 VGFGEntlG Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. April 1982 IV R 52/81, BFHE 136, 179, BStBl II 1982, 715).

Aus den Feststellungen des FG ergibt sich aber, daß der Sozietät, der der Rechtsanwalt angehört, das Schriftstück, das die Anordnung vom ... Juli ... enthält, unter der Bezeichnung A & B Treuhand im Wege der Ersatzzustellung nach § 53 Abs. 2 FGO, § 3 Abs. 1 und 3 des Verwaltungszustellunsgesetzes (VwZG), § 183 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zugestellt worden ist. Denn Frau M, die als Auszubildende im Büro der Sozietät beschäftigt war und die damit als Gehilfe i.S. des § 183 Abs. 2 ZPO anzusehen ist (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 19. September 1961 VIII B 59/61, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1962, 70), wurde das Schriftstück vom Postboten übergeben. Die weiteren Modalitäten einer formgerechten Zustellung sind nicht in Zweifel gezogen worden. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist demgemäß ausschlaggebend, ob mit der Zustellung an die Sozietät die Anordnung (Setzen einer Ausschlußfrist zur Vorlage der Vollmacht) wirksam geworden ist. Auf die Frage, ob eine Sozietät als solche Prozeßbevollmächtigte sein kann, kommt es deshalb in dem vorliegenden Rechtsstreit nicht an. Sie stellt sich immer erst, nachdem eine auf eine Sozietät lautende Vollmacht beim Gericht eingegangen ist (§ 62 Abs. 3 Satz 3 FGO; vgl. zur Bezeichnung des Prozeßbevollmächtigten BFH-Urteil vom 9. April 1991 IX R 57/90, BFH/NV 1992, 51).

2. Die mit der Nichtzulassungsbeschwerde implizit aufgeworfene Rechtsfrage, ob einer Sozietät ein Schriftstück allein unter ihrer Kurzbezeichnung (nicht unter dem Namen der Mitglieder der Sozietät oder dem Namen eines einzelnen Mitglieds) zugestellt werden kann, ist nicht klärungsbedürftig. Die Antwort ergibt sich aus dem Gesetz und den in der Rechtsprechung geklärten Rechtsgrundsätzen.

Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 FGO können sich die Beteiligten durch Bevollmächtigte vertreten lassen. Die Vollmacht kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) auch auf eine Sozietät lauten; es sind dann alle in der Sozietät zusammengeschlossenen Vertretungsberechtigten bevollmächtigt (vgl. Urteile des BGH vom 6. Juli 1971 VI ZR 94/69, BGHZ 56, 355, 357ff., 360, und vom 24. Januar 1978 VI ZR 264/76, BGHZ 70, 247, 248f.; ferner die BGH-Beschlüsse vom 24. November 1972 IV ZB 37/72, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1973, 308, und vom 12. Oktober 1976 III ZB 12/76, Versicherungsrecht 1977, 81f.). Wenn daher einem Gericht die Schriftsätze eines Beteiligten unter dem Briefkopf einer Sozietät zugehen, kann das Gericht bis zur Vorlage einer Prozeßvollmacht, aus der sich eine Einschränkung der Bevollmächtigung auf bestimmte, einzelne Mitglieder der Sozietät ergeben kann, davon ausgehen, daß die Sozietät berechtigt ist, für den Beteiligten aufzutreten. Jedenfalls kann die Aufforderung zur Vorlage einer Prozeßvollmacht des Beteiligten in diesem Fall an die Sozietät gerichtet werden. Ist aber die Sozietät unter einem bestimmten (Gesamt-)Namen gegenüber dem Gericht aufgetreten, können unter diesem Namen auch Zustellungen an sie gerichtet werden. Insofern besteht kein Unterschied zu der Adressierung eines Steuerbescheids an eine (steuerrechtsfähige) Gesellschaft bürgerlichen Rechts (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 11. Februar 1987 II R 103/84, BFHE 149, 12, BStBl II 1987, 325). Denn auch die Sozietät, deren Rechtsverhältnis nach außen entsprechend den Vorschriften über die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft zu bestimmen ist (BGHZ 56, 355, 357), hat zwar keine Firma, sie kann sich aber einen (Gesamt-)Namen zulegen, unter dem sie sich am Rechtsverkehr beteiligt. Daß im Streitfall der Name, den die später tatsächlich bevollmächtigten Mitglieder der Sozietät als ihre Kurzbezeichnung verwendet haben, sich lediglich in der Anschriftenzeile des Kopfes ihrer Schriftsätze befunden hat, ändert nichts daran, daß sie unter diesem Namen aufgetreten sind; es zeigt jedenfalls, daß sie unter dieser spezifischen Bezeichnung postalisch erreicht werden wollten. Daran müssen sie sich festhalten lassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419377

BFH/NV 1994, 650

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