Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Aufzeichnungs- oder Dokumentationspflichten für vGA; Ermittlung von Verrechnungspreisen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach deutschem Steuerrecht bestehen für vGA keine speziellen Aufzeichnungs- oder Dokumentationspflichten. Es bestehen allerdings die allgemeinen Auskunftspflichten (§ 93, § 200 AO 1977), die Verpflichtung zur Vorlage von Urkunden (§ 97, § 200 AO 1977) und ggf. auch die erhöhten Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO 1977.

2. Eine Dokumentation dient lediglich dem Nachweis, dass der Steuerpflichtige sich bei der Festsetzung seines Verrechnungspreises von Überlegungen leiten ließ, die auch ein fremder Dritter angestellt hätte. Sie erlaubt nur in Grenzen den Rückschluss auf die Unangemessenheit des tatsächlich angesetzten Preises. In keinem Fall dient sie dem Nachweis des angemessenen Fremdvergleichspreises der Höhe nach.

3. Eine inländische Tochtergesellschaft hat regelmäßig keine Möglichkeit, Kalkulationsunterlagen ihrer ausländischen Muttergesellschaft zu beschaffen. Die Nichtbeschaffung löst deshalb nicht die Rechtsfolge des § 90 Abs. 2 AO 1977 aus.

 

Normenkette

AO 1977 § 90 Abs. 2, §§ 93, 97, 162, 200; KStG 1977 § 8 Abs. 3 S. 2; FGO §§ 10, 69 Abs. 3, § 96 Abs. 1 S. 1, § 118 Abs. 2

 

Tatbestand

I. Die Antragstellerin, Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Antragstellerin) ist eine nach deutschem Recht gegründete GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in Düsseldorf. Gegenstand ihres Unternehmens ist der Vertrieb von Bekleidungsartikeln und modischem Zubehör aller Art in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Gesellschafter der Antragstellerin waren bis zum 30. Mai 1983 die C-SA, Luxemburg, und die M-SpA, Turin/Italien, mit jeweils einem Geschäftsanteil von 30 v.H. und B mit einem solchen von 40 v.H. des Stammkapitals. Ab dem 1. Juni 1983 waren die C-SA und die M-SpA je zur Hälfte Gesellschafter der Antragstellerin. Am 3. Mai 1988 wurde die M-SpA Alleingesellschafterin. Ab dem 1. Januar 1991 bestand zwischen der Antragstellerin und der D-GmbH eine Organschaft mit Ergebnisabführungsvertrag. Die C-SA, die NL-BV und die D-GmbH werden von der M-SpA teils unmittelbar und teils mittelbar beherrscht. Das Stammkapital der Antragstellerin wurden mehrfach erhöht (Stammkapital 1980: 500 TDM; Stammkapital 1981: 1 500 TDM; Stammkapital 1982: 3 000 TDM; Stammkapital 1984: 4 500 TDM). Die M-SpA gewährte der Antragstellerin zusätzliche Zuschüsse (1986: 450 TDM; 1987: 1 100 TDM; 1988: 300 TDM).

Für die Veranlagungszeiträume 1980 bis 1990 erklärte die Antragstellerin folgende Umsätze und Jahresüberschüsse (+) bzw. -fehlbeträge (-):

VZ

Umsätze

Jahresüberschuss/-fehlbetrag

1980

1 864 TDM

-49 TDM

1981

7 713 TDM

-1 536 TDM

1982

16 935 TDM

-2 810 TDM

1983

23 462 TDM

-375 TDM

1984

17 555 TDM

-3 116 TDM

1985

17 855 TDM

-1 275 TDM

1986

28 863 TDM

+679 TDM

1987

31 156 TDM

+1 656 TDM

1988

38 816 TDM

+1 300 TDM

1989

45 981 TDM

+1 824 TDM

1990

42 645 TDM

+753 TDM

Wegen der von 1980 bis 1985 erwirtschafteten Verluste erklärte sich die NL-BV durch Vertrag vom 25. Oktober 1985 zu einem Ausgleich bereit, soweit die Verluste das Stammkapital überstiegen. Im Jahr 1986 wurde das Vertriebsgebiet der Antragstellerin für sog. V-Erzeugnisse ausgeweitet.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 1980 bis 1984 ermittelte die zuständige Finanzbehörde folgende Einkommen der Antragstellerin vor Verlustabzug:

1980

-1 899 757 DM

1981

-1 885 260 DM

1982

-2 459 515 DM

1983

+744 085 DM

1984

-2 554 684 DM

Im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 1985 bis 1987 vertrat der Antragsgegner, Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die Auffassung, die von der Antragstellerin an ihr nahestehende Unternehmen gezahlten Lizenzgebühren seien als verdeckte Gewinnausschüttungen zu behandeln, weil die Antragstellerin Aufwendungen im Interesse der M-SpA getragen habe. Das FA erließ Körperschaftsteuer-Änderungsbescheide 1986 und 1987 am 10. März 1992, die die Antragstellerin mit dem Einspruch anfocht.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 1988 bis 1990 stellte das FA folgendes fest: Vor Gründung der Antragstellerin vertrieb die M-SpA die von ihr hergestellten Produkte über selbständige Handelsvertreter und ―soweit Bekleidungsartikel der Marke S betroffen waren― über eine eigene Tochtergesellschaft in Frankfurt. Zu den selbständigen Handelsvertretern gehörte auch B. Nach Gründung der Antragstellerin trat dieselbe zunächst als Handelsvertreterin der M-SpA auf. Ihre Handelsvertreterprovision lag stets bei 10 v.H. Später verkaufte die Antragstellerin Bekleidungsartikel auch im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Sie bezog die Bekleidungsartikel zu 95 bis 99 v.H. von der M-SpA. Die Rohgewinnmarge im Eigenhandel änderte sich mehrfach. Sie betrug für die Jahre 1980 bis 1984 bezogen auf die Verkaufspreise der Antragstellerin 18 v.H., für die Jahre 1985 bis 1987 20 v.H. und für die Jahre 1988 bis 1990 24 v.H. Soweit die Antragstellerin selbst Handelsvertreter beschäftigte, lag deren Provision zwischen 5 und (vereinzelt) 9 v.H. Das FA hielt die Rohgewinnmarge von 24 v.H. für unangemessen niedrig. Es setzte für die Jahre 1980 bis 1985 eine Marge von 28 v.H. und für die Jahre 1986 bis 1990 eine solche von 26 v.H. der Eigenhandelsumsätze an. Die Antragstellerin habe keine Kalkulationsunterlagen vorgelegt.

Das FA hielt die Marge von 28 v.H. bzw. 26 v.H. auch deshalb für angemessen, weil es für vergleichbare Unternehmen Margen im oberen Bereich von deutlich über 30 v.H. (berechnet vom Verkaufspreis) festgestellt habe. Die Antragstellerin habe bis 1984 exorbitant hohe Geschäftsführungs-, Miet- und Zinskosten getragen. Das FA nahm als Folge seiner Rechtsauffassung verdeckte Gewinnausschüttungen der Antragstellerin wegen zu hoher Einkaufspreise für 1986 in Höhe von 1 217 000 DM, für 1988 in Höhe von 389 000 DM, für 1989 in Höhe von 884 000 DM und für 1990 in Höhe von 750 000 DM an. Für die Jahre 1986, 1988 bis 1990 nahm es gleichzeitig sog. andere Ausschüttungen an. Seine Auffassung legte das FA den Einspruchsentscheidungen vom 1. Juni 1993, vom 28. Juli 1993 und vom 13. September 1993 zugrunde.

Die Klage der Antragstellerin hatte teilweisen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Internationales Steuerrecht (IStR) 1999, 311, veröffentlicht. Gegen das Urteil haben die Antragstellerin und das FA nach Zulassung der Revision durch den Bundesfinanzhof (BFH) Revisionen eingelegt. Die Revisionen wurden fristgerecht begründet. Auf die ausgetauschten Schriftsätze wird Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 25. April 2001 hat die Antragstellerin einen "Eilantrag" auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellt, weil das FA den dort gestellten Aussetzungsantrag durch Einspruchsentscheidung vom 19. April 2001 abgelehnt habe. Die Steuern seien zum 30. April 2001 fällig gestellt worden.

Die Antragstellerin beantragt im Einzelnen die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung hinsichtlich folgender Steuern:

Körperschaftsteuer 1986

59 625 DM

Körperschaftsteuer 1988

448 489 DM

Körperschaftsteuer 1989

(zzgl. Nebenleistungen)

390 711 DM

Körperschaftsteuer 1990

(zzgl. Nebenleistungen)

182 718 DM

Den ursprünglich weitergehenden Antrag hat die Antragstellerin später zurückgenommen.

Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.

Es meint, dass die Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Steuern ausgesetzt werden dürfe.

 

Entscheidungsgründe

II. Der Antrag ist überwiegend begründet. Die Vollziehung der angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide war gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 239 000 DM auszusetzen. Der weitergehende Antrag, die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung zu verfügen, war abzulehnen.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Steuerbescheide neben für ihre Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärenden Fragen im summarischen Beschlussverfahren nicht abschließend zu entscheiden. Die Aussetzung der Vollziehung setzt auch nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Mai 1997 VIII B 108/96, BFHE 183, 174, BFH/NV 1997, 462, m.w.N.).

2. Im Streitfall sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide 1986, 1988 bis 1990 zu bejahen. Dazu ist davon auszugehen, dass die Beteiligten über die Höhe von verdeckten Gewinnausschüttungen der Antragstellerin an ihrer ausländische Muttergesellschaft (M-SpA) streiten. Die Annahme der verdeckten Gewinnausschüttungen ist heute zwischen den Beteiligten dem Grunde nach unstreitig, nachdem das FG die Rohgewinnmarge für alle Jahre auf 24 v.H. erhöht und die Antragstellerin insoweit keine Revision eingelegt hat. Das FA hatte die Höhe der von ihm angenommenen verdeckten Gewinnausschüttungen gemäß § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geschätzt. Das FG hat eine eigene Schätzung an die Stelle der Schätzung des FA gesetzt. Die Befugnis dafür ergibt sich aus § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO. Im Kern betrifft der Streit die Frage, ob der Schätzung des FG oder der des FA die größere Wahrscheinlichkeit zukommt.

3. Nach deutschem Steuerrecht bestehen für verdeckte Gewinnausschüttungen keine speziellen Aufzeichnungs- oder Dokumentationspflichten. Es bestehen allerdings die allgemeinen Auskunftspflichten (§ 93, § 200 AO 1977), die Verpflichtung zur Vorlage von Urkunden (§ 97, § 200 AO 1977) und im Streitfall auch die erhöhten Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO 1977. Die sog. objektive Beweis- oder Feststellungslast (vgl. Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 96 Rz. 23) liegt für verdeckte Gewinnausschüttungen beim FA. Dieses hat den Nachteil zu tragen, falls der den angenommenen verdeckten Gewinnausschüttungen zugrunde liegende Sachverhalt nicht mit dem erforderlichen Grad der Gewissheit aufgeklärt werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 16. März 1967 I 261/63, BFHE 89, 208, BStBl III 1967, 626; vom 20. März 1974 I R 197/72, BFHE 112, 153, BStBl II 1974, 430; vom 16. Februar 1977 I R 94/75, BFHE 122, 48, BStBl II 1977, 568; vom 13. Juli 1994 I R 43/94, BFH/NV 1995, 548). Allerdings kann die Sachaufklärungspflicht des FA und des FG reduziert sein, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungs-, Auskunfts- und/oder Urkundenvorlagepflichten verletzt. Dies schlägt auf die Beurteilung ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit angefochtener Bescheide insoweit durch, als diese stets zu bejahen sind, solange der Sachverhalt nicht abschließend aufgeklärt ist, ohne dass die Ursache hierfür in einer Verletzung der Mitwirkungspflichten der Antragstellerin zu sehen ist.

4. Mit diesem Ziel wirft das FA der Antragstellerin vor, sie habe ihre gemäß § 90 Abs. 2 AO 1977 bestehenden Mitwirkungspflichten verletzt, weil sie dem FA nicht dargelegt und nachgewiesen habe, nach welcher Methode sie ihre Verrechnungspreise gebildet und welche Umstände sie hierbei berücksichtigt habe. Sie habe auch keine Prognoserechnung darüber vorgelegt, ab wann sie mit einem Totalgewinn gerechnet habe. Das FA möchte aus der Verletzung der Mitwirkungspflicht der Antragstellerin eine Reduzierung der Sachaufklärungspflicht des FA und des FG mit der Folge ableiten, dass die Regeln über die objektive Beweislast nicht eingreifen und das FA die Antragstellerin nach dem Sachverhalt besteuern darf, für den die größte Wahrscheinlichkeit spricht. Diese Überlegungen sind nicht frei von Rechtsirrtümern.

Festzuhalten ist zunächst, dass die Antragstellerin außerhalb der §§ 140 ff. AO 1977 und der §§ 238 ff. des Handelsgesetzbuches (HGB) nicht verpflichtet war, für die den verdeckten Gewinnausschüttungen zugrunde liegenden Sachverhalte spezielle Bücher und Aufzeichnungen zu führen bzw. Dokumentationen zu erstellen. Die Antragstellerin musste und muss lediglich tatsächlich vorhandene Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden vorlegen (§ 97 Abs. 1, § 200 Abs. 1 AO 1977). Sie musste und muss sich derartige Urkunden in den Grenzen des § 90 Abs. 2 AO 1977 beschaffen. Außerdem musste und muss sie Auskünfte jeder Art erteilen (§ 93, § 200 Abs. 1 AO 1977). Sie musste und muss deshalb jedoch keine Dokumentation erstellen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 90 AO Rz. 2). Soweit der BFH in seiner bisherigen Rechtsprechung die Verpflichtung zur Beweisvorsorge anspricht (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Dezember 1997 VIII B 87/96, BFH/NV 1998, 944), bezieht sich der Begriff erkennbar nur auf existente Beweismittel.

Selbst wenn man dies anders beurteilen wollte, müsste man die logische Abhängigkeit zwischen der (hier: unterstellten) Verletzung des § 90 Abs. 2 AO 1977 und der sich daraus ergebenden Rechtsfolge beachten. Die Dokumentation dient lediglich dem Nachweis, dass der Steuerpflichtige sich bei der Festsetzung seines Verrechnungspreises von Überlegungen leiten ließ, die auch ein fremder Dritter angestellt hätte. Sie zielt mit anderen Worten darauf ab, die Voraussetzungen einer verdeckten Gewinnausschüttung dem Grunde nach zu widerlegen. Sie erlaubt jedoch nur in Grenzen den Rückschluss auf die Unangemessenheit des tatsächlich angesetzten Preises. In keinem Fall dient sie dem Nachweis des angemessenen Fremdvergleichspreises der Höhe nach. Dieser kann auch nicht ohne weiteres gemäß § 162 AO 1977 geschätzt werden, wenn und soweit es um den Nachweis der Voraussetzungen einer verdeckten Gewinnausschüttung i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) geht. Aus dem Fehlen einer Dokumentation bzw. aus der Nichtbeantwortung der diesbezüglichen Fragen durch die Antragstellerin kann allenfalls die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Antragstellerin keine eigenen Überlegungen bezüglich des angemessenen Verrechnungspreises anstellte und sich insoweit möglicherweise dem "Diktat" ihrer Muttergesellschaft (M-SpA) fügte. Ebenso ist die Annahme naheliegend und erlaubt, dass die Muttergesellschaft (M-SpA) Einfluss auf die Festsetzung des Verrechnungspreises nahm. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die angemessene Rohgewinnmarge 26 v.H. statt vom FG angesetzter 24 v.H. betragen haben müsse. Der Ansatz von 24 v.H. oder 26 v.H. ist nur die Folge einer vom Fremdvergleich abweichenden Preisfestsetzung. Sie hat mit dem, was die Antragstellerin dokumentiert hat oder im eigenen Interesse hätte dokumentieren sollen, nichts zu tun. Maßgebend ist insoweit allein, welchen Preis fremde Dritte miteinander vereinbart hätten. Diese Frage ist losgelöst von einer möglichen Verletzung von § 90 Abs. 2 AO 1977 zu beurteilen. Für sie trägt das FA ―vorbehaltlich einer Reduzierung der Sachaufklärungspflicht― ggf. die objektive Beweislast.

5. Das FA wirft der Antragstellerin ferner vor, sie habe keine Kalkulationsunterlagen der ausländischen Produktionsmuttergesellschaft vorgelegt, weshalb im Inland nicht erkennbar sei, welchen Produktionsgewinn die Muttergesellschaft erzielt habe und wie das Verhältnis zum Vertriebsgewinn der Antragstellerin sei. Dieser Vorwurf würde dann durchgreifen, wenn die Antragstellerin i.S. des § 90 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 die rechtliche oder zumindest tatsächliche Möglichkeit gehabt hätte, an die genannten Kalkulationsunterlagen heranzukommen. Davon kann nicht ausgegangen werden. Eine Tochtergesellschaft hat gesellschaftsrechtlich keine Möglichkeit, Kalkulationsunterlagen ihrer Muttergesellschaft zu beschaffen. Dass für die Antragstellerin etwas anderes gelten sollte, hat das FA nicht schlüssig dargelegt. Zwar kann man daran denken, dass die Antragstellerin sich entsprechende Auskünfte ihrer Muttergesellschaft habe vertraglich vorbehalten müssen. Ein solcher Vorbehalt ist jedoch zwischen fremden Dritten nicht nur unüblich, sondern für den Regelfall ausgeschlossen. Unabhängige Vertragspartner sind nicht bereit, ihre wechselseitig erzielten Gewinne dem jeweils anderen Vertragsteil mitzuteilen. Sie tun dies schon deshalb nicht, weil sie zusätzlichen Druck des anderen Geschäftspartners auf die eigenen Preise befürchten. Sie verzichten auch nicht auf das Geschäft, wenn der andere Vertragspartner sich weigert, Auskunft über seine Gewinne zu erteilen. Auch für den Bereich des § 90 Abs. 2 AO 1977 kann deshalb nicht ohne konkrete Anhaltspunkte angenommen werden, dass eine inländische Tochtergesellschaft die rechtliche Möglichkeit habe, von ihrer ausländischen Muttergesellschaft deren Gewinne aus einem bestimmten Produkt zu erfahren. Eine Tochtergesellschaft mag im Einzelfall eine entsprechende tatsächliche Möglichkeit haben. Auch dies muss dann jedoch durch konkrete Umstände festgestellt und belegt werden. Ist eine solche Feststellung ―wie im Streitfall― nicht möglich, kann dem Steuerpflichtigen keine Verletzung seiner Pflichten aus § 90 Abs. 2 AO 1977 vorgeworfen werden.

6. Das FA rügt, dem FG sei ein Verfahrensfehler unterlaufen, weil es den vom FA vorgelegten betriebsexternen Fremdvergleich nicht berücksichtigt und auch keinen Sachverständigen hinzugezogen habe. Im derzeitigen Stand des Verfahrens bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob diese Verfahrensrügen durchgreifen. Bejahendenfalls müsste die Vorentscheidung in dem Revisionsverfahren I R 103/00 aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden. Das FG müsste die unterlassenen Beweisaufnahmen nachholen. Es müsste die zu erhebenden Beweise in eine sich anschließende Sachverhaltswürdigung einbeziehen. Ein (hier: unterstellter) Verfahrensfehler kann jedoch nicht dazu führen, dass der BFH den vom FA vorgelegten betriebsexternen Fremdvergleich seiner Entscheidung ungeprüft zugrunde legt. Ebenso wenig ist es die Sache des BFH, im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO Beweismittel zu würdigen, die zu erheben die Aufgabe nur des FG ist.

7. Das FA bejaht schließlich einen Zwang zur Schätzung gemäß § 162 Abs. 2 AO 1977 als Folge einer groben Verletzung der erhöhten Mitwirkungspflichten durch die Antragstellerin. Es bedarf auch insoweit keiner Entscheidung darüber, ob die vom FG festgestellten und oben bereits erörterten Pflichtverletzungen tatsächlich "grober Natur" sind. Zwischen den Beteiligten ist es dem Grunde nach unstreitig, dass die Antragstellerin Gewinne an ihre Muttergesellschaft verdeckt ausschüttete. Unstreitig ist ferner, dass die insoweit erforderliche Korrektur durch Schätzung zu ermitteln ist. Der Streit bezieht sich ausschließlich auf die Höhe der Schätzung. Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gehört jedoch zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO. Der BFH kann die Schätzung eines FG nur darauf überprüfen, ob sie überhaupt zulässig war (vgl. oben II. 2.) und ob das FG anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze beachtet hat, d.h. ob das Ergebnis der Schätzung schlüssig und plausibel ist (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz. 24). Es ist nicht die Aufgabe des BFH, eine eigene "richtigere" Schätzung an die Stelle der des FG zu setzen. Auch die Wahl der Schätzungsmethode gehört zur Tatsachenfeststellung des FG. Das FG hat immerhin eine Reihe von Begründungen angeführt (Einräumung eines Zahlungsziels von 120 Tagen; höhere Kosten beim Vertrieb fremder Produkte; Angaben in der Betriebsprüfungskartei; Anlaufverluste bis 1982; Gewinn für 1983), die für eine Rohgewinnmarge von nur 24 v.H. sprechen. Sollte der Senat im Revisionsverfahren I R 103/00 dennoch zu der Auffassung kommen, dass die Überlegungen des FG gegen Denkgesetze und/oder Erfahrungssätze verstoßen, so kann er deshalb nicht eine eigene Schätzung an die Stelle der des FG setzen. Ein (hier: unterstellter) Fehler kann nur zu einer Aufhebung der Vorentscheidung und zu einer Zurückverweisung der Sache an das FG führen. Dieses wird dann erneut schätzen müssen. Bei seiner erneuten Schätzung wird es Verstöße gegen die Denkgesetze und/oder Erfahrungssätze vermeiden müssen. Der BFH muss umgekehrt eine fehlerfreie Schätzung des FG hinnehmen, selbst wenn nach seiner eigenen Überzeugung eine höhere Schätzung sachgerechter sein sollte.

8. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des aus dem Veranlagungszeitraum 1983 verrechneten Verlustvortrags bestehen auch insoweit, als das FA eine verdeckte Gewinnausschüttung wegen des Entzuges von Vertriebsrechten geltend macht. Insoweit ist der Sachverhalt nicht näher festgestellt, weshalb vieles dafür spricht, dass die Vorentscheidung schon aus diesem Grunde keinen vollumfänglichen Bestand haben kann. Jedoch müssen auch insoweit die fehlenden Feststellungen vom FG nachgeholt werden.

9. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Körperschaftsteuerbescheides 1986 sind auch insoweit zu bejahen, als die Antragstellerin Revision eingelegt hat. Es ist nicht auszuschließen, dass der Senat die Frage nach dem maßgebenden Lebenssachverhalt anders als das FG beurteilt und eine Divergenz zwischen der in der Vorentscheidung vertretenen Rechtsauffassung und dem BFH-Urteil vom 28. Juli 1993 II R 50/90 (BFH/NV 1993, 712) annimmt, die zumindest zu einer Anfrage gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO führt. Der Ausgang dieses Verfahrens ist ungewiss.

10. Die danach gebotene Aussetzung der Vollziehung erstreckt sich nur auf die Körperschaftsteuerbescheide 1986, 1988, 1989 und 1990. Sie erfasst alle in der Revisionsinstanz noch streitigen Teilbeträge. Sie erfasst dagegen nicht die Teilbeträge, über die das FG klageabweisend entschieden hat, soweit die Antragstellerin die Entscheidung mit ihrer Revision nicht angefochten hat. Dem FA wird aufgegeben, die nach dieser Entscheidung ausgesetzten Beträge zu errechnen und der Antragstellerin mitzuteilen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

11. Die Aussetzung der Vollziehung kann allerdings nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden. Eine Sicherheitsleistung ist schon deshalb geboten, weil die Antragstellerin selbst geltend macht, zum 30. März 2001 nur noch über ein Eigenkapital von 239 239,28 DM zu verfügen. Außerdem plant sie die Schließung ihres Geschäftsbetriebes. Die Anforderung einer Sicherheitsleistung ist insbesondere dann geboten, wenn wegen der wirtschaftlichen Situation des Steuerpflichtigen nicht damit zu rechnen ist, dass die Steuerschuld nach ihrer endgültigen gerichtlichen Feststellung auch tatsächlich an das FA abgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

12. Der Höhe nach war die Sicherheitsleistung allerdings auf 239 000 DM zu begrenzen. Die Anforderung einer Sicherheitsleistung darf nicht dazu führen, dass die Antragstellerin wegen einer noch nicht endgültig festgestellten Schuld, der sie ohnehin nicht nachkommen kann, vorzeitig das Insolvenzverfahren einleiten muss. In diesem Sinne sind bei der Festsetzung der Sicherheitsleistung der Höhe nach die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Es erscheint angemessen, die Sicherheitsleistung in Höhe des noch vorhandenen Eigenkapitals festzusetzen. Der Senat hätte nicht anders entschieden, wenn ein höherer Steuerbetrag streitig wäre.

13. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Maßgebend für die Kostenteilungsquote war die Höhe der vom FA geforderten und der letztlich festgesetzten Sicherheitsleistung.

14. Der Senat entscheidet gemäß § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO durch seinen Vorsitzenden. Es liegt ein dringender Fall im Sinne der Vorschrift vor. Das FA hat die Vollziehung für die Zeit nach dem 30. April 2001 angedroht. Die Antragstellerin hat um eine Entscheidung durch den Vorsitzenden gebeten. Der Senat wäre wegen Urlaubsabwesenheit des geschäftsplanmäßigen Berichterstatters nicht in der Lage, über den Antrag in der gemäß § 10 Abs. 3 FGO vorgesehenen Besetzung innerhalb der nächsten vier Wochen zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 581540

BFH/NV 2001, 957

BFHE 194, 360

BFHE 2002, 360

BB 2001, 1184

DB 2001, 1180

DStR 2001, 985

DStRE 2001, 710

HFR 2001, 838

StE 2001, 325

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