Leitsatz (amtlich)

Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Festsetzung des Streitwerts ist jedenfalls dann gegeben, wenn sich die Höhe des Streitwerts nicht unmittelbar aus dem Klageantrag ermitteln läßt.

 

Normenkette

FGO § 146 Abs. 1 S. 2

 

Tatbestand

Das FA stellte für das Grundstück, das der Kläger und seine Ehefrau durch notariellen Vertrag vom Mai 1962 an ihren Sohn übertragen hatten, durch Fortschreibungsbescheid vom Januar 1966 fest, daß es zum 1. Januar 1962 zur Gruppe der Einfamilienhäuser gehöre. Es hatte das Grundstück bereits vorher durch Fortschreibungsbescheid vom September 1964 zum 1. Januar 1963 dem Sohn des Klägers zugerechnet und der Art nach als Einfamilienhaus bewertet. Vor 1962 war die Liegenschaft als gemischtgenutztes Grundstück angesehen worden. Der hierfür festgestellte Einheitswert belief sich zuletzt auf 11 200 DM.

Der gegen den Fortschreibungsbescheid vom Januar 1966 eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Die Klage erledigte sich dadurch, daß das FA antragsgemäß den angefochtenen Bescheid über die Artfortschreibung zum 1. Januar 1962 gemäß § 94 AO ersatzlos aufhob. Das FG sah auf Grund dieses Abhilfebescheids und der übereinstimmenden Erklärungen der Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt an und legte durch Beschluß dem FA gemäß § 138 Abs. 2 FGO die Kosten des Verfahrens auf und erklärte die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig.

Der Kläger hatte in seiner Erledigungserklärung gleichzeitig die Festsetzung des Streitwerts durch das Gericht beantragt. Das FG forderte die Parteien auf, zur Höhe des Streitwerts Stellung zu nehmen. Das FA vertrat die Auffassung, daß als Streitwert ein Schätzwert in Betracht komme. Der Kläger gab keine Stellungnahme ab.

Das FG wies den Antrag des Klägers auf Festsetzung des Streitwerts als unzulässig zurück. Zur Begründung führte es aus: Der Kläger habe nicht dargelegt, welches Rechtsschutzinteresse er an der Festsetzung des Streitwerts durch das Gericht habe. Für das Gericht sei eine Beschwer nicht feststellbar. Wegen des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses sei der Antrag nach § 146 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht zulässig.

Gegen diesen Beschluß hat der Kläger Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat. Er macht geltend: Er habe über den Prozeßvortrag hinaus zur Höhe des Streitwerts keine Angaben machen können. Damit er die ihm zu erstattenden außergerichtlichen Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren beantragen könne, sei eine vorherige Streitwertfestsetzung durch das Gericht erforderlich. Als Beschwerdewert seien die gesamten Rechtsbehelfskosten anzusehen, die sich ziffernmäßig auf 738,50 DM beliefen. Er begründet diese Summe damit, sein Sohn habe infolge der Aufhebung des Fortschreibungsbescheids zum 1. Januar 1962 für den Veranlagungszeitraum 1962 insgesamt 11 664,40 DM weniger Einkommensteuer und Kirchensteuer zu entrichten gehabt.

Er beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses seinem Antrag auf Festsetzung des Streitwerts stattzugeben.

Das FA beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Es trägt vor, bei strittigen Artfortschreibungen fehle es an einem bezifferten Antrag, so daß für die Festsetzung des Streitwerts durch das Gericht ein Rechtsschutzbedürfnis vorliege. Mit Sicherheit würde auch der mit der Kostenfestsetzung befaßte Urkundsbeamte der Geschäftsstelle von sich aus eine Entscheidung durch das Gericht anregen. Das finanzielle Interesse des Sohnes des Klägers an dem Ausgang des Rechtsstreits sei für die Frage der Streitwertbemessung unbeachtlich.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist zulässig.

Der Senat konnte dahingestellt sein lassen, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes 50 DM übersteigt. Die Beschränkung der Beschwerdemöglichkeit nach § 128 Abs. 3 FGO ist nicht anwendbar; denn der Streit über die Festsetzung eines Streitwerts durch das Gericht stellt keine Streitigkeit über Kosten, Gebühren und Auslagen dar (Beschluß des BFH III B 56/67 vom 6. Oktober 1967, BFH 90, 284, BStBl II 1968, 65). Ob der Senat mit Rücksicht auf den Beschluß des IV. Senats IV B 81/67 vom 22. Mai 1970 (BFH 99, 443, BStBl II 1970, 724) der Auffassung des I. Senats zu der Frage weiterhin folgen wird, daß Streitigkeiten über die Höhe des Streitwerts dann unter die Regelung des § 128 Abs. 3 FGO fallen, wenn der Streitwert im Rahmen eines Kostenansatzes (§ 147 FGO) oder einer Kostenfestsetzung (§ 149 FGO) festgesetzt worden ist (Beschluß I B 11/66 vom 25. Januar 1967, BFH 88, 19, BStBl III 1967, 253), brauchte im Streitfall nicht entschieden zu werden, da die Ablehnung einer richterlichen Streitwertfestsetzung angefochten ist, die das FG auch begründet hat.

Die Beschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung.

Die verfahrensrechtliche Regelung über die Festsetzung des Streitwerts durch das Gericht enthält die Vorschrift des § 146 FGO. Obwohl sich die Hauptsache durch Abhilfebescheid erledigt hat, ist das FG für eine Streitwertfestsetzung zuständig geblieben, weil bei ihm die Erledigung nach Erhebung der Klage eingetreten ist. Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 2 FGO wird der Streitwert durch Beschluß des Gerichts festgesetzt, wenn ein Beteiligter dies beantragt oder das Gericht es für angemessen erachtet. Die Rechtsprechung des BFH verlangt für die Zulässigkeit eines solchen Antrags das Vorliegen einer Beschwer (Beschluß I R 101/66 vom 4. Februar 1970, BFH 97, 487, BStBl II 1970, 222). Der Antrag des Klägers auf Festsetzung des Streitwerts ist deshalb nur zulässig, wenn für ihn ein Rechtsschutzbedürfnis an einer solchen Entscheidung besteht. Der Beschluß des I. Senats (a. a. O.) ist nicht dahin zu verstehen, daß grundsätzlich kein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf gerichtliche Streitwertfestsetzung besteht, weil auch der Urkundsbeamte des Gerichts im Rahmen der Kostenfestsetzung (§ 149 FGO) den Streitwert festsetzen kann. Die Auslegung nach dem Wortlaut, aber auch nach dem Sinn und Zweck des § 146 FGO über die Streitwertfestsetzung und der §§ 147, 149 FGO über die Kostenfestsetzung verbietet eine solche Annahme; denn der Rechtsmittelzug für Einwendungen gegen den Kostenansatz oder die Festsetzung der zu erstattenden Aufwendungen ist ein anderer (§ 148 FGO), auch wenn diese sich gegen den vom Kosten- bzw. Urkundsbeamten festgesetzten Streitwert richten, als der für die Anfechtung einer richterlichen Streitwertfestsetzung (§ 146 Abs. 3 FGO).

Im Streitfall ergibt es sich aus der Sache, daß für den Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis für seinen Antrag gegeben ist. Die Höhe des Streitwerts läßt sich bei der Anfechtung eines Artfortschreibungsbescheids nicht durch einfachen Rechenvorgang aus dem Klageantrag ermitteln, da es an einem ziffernmäßigen Antrag fehlt. Eine Beschwer für den Antrag auf gerichtliche Feststellung des Streitwerts könnte nur verneint werden, wenn für alle Beteiligten des Rechtsstreits ohne eine ins Gewicht fallende Schwierigkeit der für die Kostenberechnung zugrunde zu legende Streitwert unmittelbar aus dem Klageantrag festgestellt werden könnte. Ein derartiger Fall liegt nicht vor, weil die Höhe des Streitwerts nur mit Hilfe von durch die Rechtsprechung entwickelter Grundsätze bestimmt werden kann. Aus diesem Grunde kann das Bejahen einer Beschwer nicht davon abhängig gemacht werden, daß der Kläger besondere Gründe darlegt. Die gesetzliche Regelung in § 146 Abs. 1 Satz 2 FGO legt nahe, daß in Zweifelsfällen das Gericht die Streitwertfestsetzung beschließt, da es auf Grund seiner Aktenkenntnis die für die Höhe des Streitwerts maßgeblichen Bemessungsfaktoren am ehesten übersieht (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 3. Aufl., § 146 FGO Anm. 3).

Da die Vorentscheidung von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, ist der Beschluß des FG aufzuheben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Die Möglichkeit der Zurückverweisung ist auch im Beschwerdeverfahren gegeben, um den Beteiligten keine Instanz zu nehmen (Beschluß IV B 18/66 vom 15. Februar 1967, BFH 87, 502, BStBl III 1967, 181).

 

Fundstellen

Haufe-Index 69646

BStBl II 1972, 492

BFHE 1972, 89

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