Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlange Verfahrensdauer; falsche Anzeige vor Sitzungssaal nach Ausschluß der Öffentlichkeit

 

Leitsatz (NV)

1. Die überlange Verfahrensdauer führt grundsätzlich nicht zur Verfassungs- und Rechtswidrigkeit des angefochtenen Steuerbescheides, so daß auch eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung oder Verfahrensmangels ausscheidet.

2. Wird lediglich gerügt, daß die elektrische Anzeige vor dem Sitzungssaal trotz des Beschlusses über den Ausschluß der Öffentlichkeit nicht auf "Nicht öffentliche Sitzung" umgeschaltet war, liegt weder ein Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 noch ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO vor.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 116 Abs. 1 Nr. 4, § 119 Nr. 5

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) nicht entsprechend den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt und den Verfahrensmangel, auf dem das angefochtene Urteil beruhen soll (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), nicht ordnungsgemäß (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO) bezeichnet.

1. Grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Nach der Senatsentscheidung vom 13. September 1991 IV B 105/90 (BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148) führt die überlange Verfahrensdauer grundsätzlich nicht zur Verfassungs- und Rechtswidrigkeit der angefochtenen Steuerbescheide, mit der Folge, daß auch die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht in Betracht kommt (vgl. auch Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 20. Mai 1994 XI B 63/93, BFH/NV 1994, 605). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im übrigen die gegen diesen Beschluß des erkennenden Senates gerichtete Verfassungsbeschwerde, auf die sich die Kläger berufen, nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluß vom 25. Februar 1994 2 BvR 74--75/92). Im übrigen haben die Kläger nicht dargelegt, weshalb in ihrem Fall die überlange Verfahrensdauer die Verwirkung des Steueranspruchs zur Folge haben könnte. Auch fehlen jegliche substantiierte Ausführungen dazu, weshalb ein allgemeines Interesse an einer weiteren Entscheidung des BFH vorliegen könnte (BFH-Beschluß vom 26. November 1992 V B 128/92, BFH/NV 1994, 132).

2. Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

Die Kläger haben auch nicht schlüssig dafür vorgetragen, daß das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) auf einem Verfahrensmangel beruhen könnte. Da bereits im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 14. Juni 1994 die gegen den o. a. Beschluß des erkennenden Senates in BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148) eingelegte Verassungsbeschwerde durch das BVerfG nicht angenommen worden war, ist auch nicht ersichtlich, daß das angefochtene FG- Urteil wegen der nicht gewährten Aussetzung des Verfahrens auf einer Verfahrensverletzung beruhen könnte.

Die Kläger haben ferner mit ihrem Vortrag, die elektrische Anzeige vor dem Sitzungssaal sei trotz des Beschlusses über den Ausschluß der Öffentlichkeit vom Vorsitzenden Richter nicht auf "Nicht öffentliche Sitzung" umgeschaltet worden, einen Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht schlüssig gerügt. Abgesehen davon, daß die Verletzung der Öffentlichkeit einen absoluten Revisionsgrund (§ 119 Nr. 5 FGO) darstellt, der auch als wesent licher Verfahrensmangel die zulassungsfreie Revision statthaft macht (§ 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO), ist ein solcher absoluter Revisionsgrund hier nicht gegeben. Denn der eigentliche Grund für die Annahme eines absoluten Revisionsgrundes ist, daß sich die Rechtsprechung unter den Augen der Öffentlichkeit abspielen soll, nicht da gegen, daß private Interessen durch eine nichtöffentliche Sitzung geschützt werden sollen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Anm. 22; Tipke/Kruse, Abgabenordnung, 15. Aufl., § 116 FGO, Tz. 19), so daß auch nicht erörtert zu werden braucht, ob hier nach dem Vortrag der Kläger eine Beeinträchtigung der Öffentlichkeit auf den Willen oder die mangelnde Sorgfalt des Gerichts zurückzuführen wäre (BFH-Beschlüsse vom 22. März 1993 XI R 23, 24/92, BFHE 170, 308, BStBl II 1993, 514, und vom 21. März 1985 IV S 21/84, BFHE 143, 487, BStBl II 1985, 551 sowie Urteil vom 27. November 1991 X R 98--100/90, BFHE 166, 524, BStBl II 1992, 411). Denn die für die Annahme eines absoluten Revisionsgrundes vorausgesetzte Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens liegt nicht vor, so daß die Kläger hätten vortragen müssen, daß das angefochtene Urteil auf dem angeblichen Mangel auch beruhen könne. Das heißt, daß sie auch dafür hätten vortragen müssen, daß mindestens die Möglichkeit besteht, daß das Urteil bei "richtigem Verhalten" anders ausgefallen wäre (Gräber/Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 34; Tipke/Kruse, a. a. O., § 115 Tz. 68). Das haben die Kläger indessen unterlassen.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420492

BFH/NV 1995, 803

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