Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlagepflicht an den EuGH in Steuerbilanzfragen?

 

Leitsatz (amtlich)

Der I. Senat des BFH legt dem Großen Senat folgende Rechtsfrage wegen grundsätzlicher Bedeutung vor:

Ist der BFH verpflichtet, Fragen nach dem Inhalt von Vorschriften der Vierten Richtlinie des Rates über den Jahresabschluß von Gesellschaften in bestimmter Rechtsform vom 25. Juli 1978 (ABlEG Nr. L 222) dem EuGH vorzulegen?

 

Orientierungssatz

1. Zur einheitlichen Beantwortung der Frage, ob der EuGH in ertragsteuerlichen Rechtsstreitigkeiten gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 GG) sein kann.

2. Hier: Problematik der Passivierung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen (sog. Umweltschutzverpflichtungen).

3. Zur Beantwortung der Frage, ob im Bilanzsteuerrecht eine Vorlagepflicht des BFH besteht, ist nicht der EuGH zuständig. Obgleich Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der Auslegung von Gemeinschaftsrecht dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen sind, scheidet eine Vorlage der Frage, ob eine Pflicht zur Vorlage besteht, aus. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 177 Abs. 2 EGV entscheidet allein das nationale Gericht über die Notwendigkeit der Vorlage.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1; EGVtr Art. 177 (jetzt Art. 234 EG); EStG § 5 Abs. 1; HGB § 238; KStG § 8 Abs. 1; EGVtr Art. 189 (jetzt Art. 249 EG)

 

Verfahrensgang

FG Münster (EFG 1996, 424)

 

Tatbestand

I. 1. Der Streitsache liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, produzierte im Streitjahr 1989 Lacke und Lackfarben. Sie wies erstmals in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1989 eine Rückstellung für rückständige Entsorgung von Wachs, Sondermüll, nicht zu verarbeitende Rohstoffe und Fertigwaren aus. Bereits 1983 hatte sie die Verpflichtung zur Abfallbeseitigung einer Drittfirma übertragen, von der sie auch Abfallbehälter gemietet hatte. Einen konkreten Auftrag zum Abtransport der von der Rückstellung betroffenen Abfälle hatte die Klägerin zum Bilanzstichtag noch nicht erteilt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erkannte die Rückstellung nicht an, weil nach seiner Auffassung eine Verpflichtung zur Entsorgung noch nicht hinreichend konkretisiert sei. Es handle sich um eine steuerlich unzulässige Aufwandsrückstellung.

Die Klage hatte keinen Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1996, 424).

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision Verletzung des § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 249 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) und beantragt, das angefochtene Urteil und den Körperschaftsteuerbescheid 1989 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Körperschaftsteuer 1989 auf 442 507 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

2. Im Laufe des Verfahrens wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, daß beabsichtigt sei, auch zu prüfen, ob in Steuerbilanzfragen aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes (§ 5 Abs. 1 EStG) eine Vorlagepflicht nach Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) i.V.m. Art. 20 der Bilanzrichtlinien (BiRiLi) besteht, bejahendenfalls wie weit diese reicht, ggf. ob die Frage nach dem Vorliegen einer Vorlagepflicht als solche dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vorzulegen ist.

a) Die Klägerin hat sich zur Vorlagefrage nicht geäußert.

b) Das FA ist der Auffassung, daß eine Vorlage an den EuGH schon deswegen nicht in Frage komme, weil es im Streitfall um eine Aufwandsrückstellung gehe. Im übrigen sei die steuerliche Gewinnermittlung "europaunabhängig". Auch im Fall Leur-Bloem (EuGH-Urteil vom 17. Juli 1997 Rs. C-28/95, EuGHE I 1997, 4161, Der Betrieb --DB-- 1997, 1851) habe es der EuGH ausschließlich den nationalen Gerichten überlassen, über die Erforderlichkeit der Vorlage zu entscheiden.

c) Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es hält eine Vorlage an den EuGH ebenfalls nicht für notwendig. Dies gelte auch für die Frage, ob eine Vorlagepflicht bestehe. Der EuGH sei nicht zur Auslegung oder Anwendung nationalen Rechts befugt. Eine Vorlage könne nur geboten sein, wenn eine deutsche Rechtsnorm (hier: § 249 HGB) möglicherweise mit Gemeinschaftsrecht kollidiere. Einer Vorabentscheidung bedürfe es hingegen nicht, wenn und soweit der Inhalt der in Betracht kommenden gemeinschaftsrechtlichen Regelungen offenkundig sei. Auf den Streitfall bezogen ergebe sich daraus, daß die Frage der Rückstellungsbildung für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen sich unmittelbar aus § 249 HGB beantworte und insoweit kein Widerspruch zu Art. 20 BiRiLi bestehe. Eine Vorlage scheitere auch daran, daß über nationales und nicht harmonisiertes Steuerrecht zu entscheiden sei. Die Aussagen des EuGH in der Rechtssache Leur-Bloem (EuGHE I 1997, 4161, DB 1997, 1851) zur mittelbaren Geltung des Gemeinschaftsrechts seien nicht einschlägig. Der deutsche Gesetzgeber habe zwar die Personenunternehmen handelsbilanzrechtlich wie Kapitalgesellschaften behandelt. Er habe aber nicht über § 5 Abs. 1 EStG mittelbar auf Gemeinschaftsrecht verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Vorlage an den Großen Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) stützt sich auf § 11 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Nach Art. 177 EGV entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung u.a. über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft. Wird eine derartige Frage einem letztinstanzlichen Gericht eines Mitgliedsstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlaß seines Urteils für erforderlich, so muß das Gericht diese Frage dem EuGH zur Entscheidung vorlegen.

1. Die Frage, ob der BFH als letztinstanzliches Gericht im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung (§ 4 Abs. 1 EStG) aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes (§ 5 Abs. 1 EStG) bei Auslegungszweifeln eine Vorabentscheidung des EuGH zum Inhalt der BiRiLi einzuholen hat, ist nach Auffassung des I. Senats von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 11 Abs. 4 FGO. Ihre Beantwortung soll der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, insbesondere der einheitlichen Beantwortung der Frage dienen, ob der EuGH in ertragsteuerlichen Rechtsstreitigkeiten gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) sein kann.

a) Der BFH selbst hat in der Vergangenheit verschiedentlich die Frage nach einer Vorlage an den EuGH angesprochen, ohne allerdings klar erkennen zu lassen, ob er im Grundsatz im Rahmen des Steuerbilanzrechts eine Vorlagepflicht im Steuerprozeß bejaht (vgl. BFH-Urteile vom 9. Mai 1995 IX R 116/92, BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632; vom 21. Oktober 1993 IV R 87/92, BFHE 172, 462, BStBl II 1994, 176).

Der I. Senat hat nunmehr mit Urteil vom 15. Juli 1998 I R 24/96 (Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1998, 1461) eine Vorlage in Fragen, die die Bewertung von Aktiva und Passiva betreffen, aufgrund der Vorrangigkeit des Steuerrechts nach § 5 Abs. 6 EStG verneint. Er hält hieran fest. Dieser Problemkreis ist nicht Gegenstand der Vorlage.

b) In der Literatur wird die Frage, ob der BFH als letztinstanzliches Gericht zur Vorlage an den EuGH verpflichtet ist, kontrovers diskutiert (vgl. gegen Vorlagepflicht: z.B. Beisse, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1998, 310, unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Auffassung; ebenso Schulze- Osterloh, DStZ 1997, 281; Meyer-Arndt, Betriebs-Berater --BB-- 1993, 1623; Moxter, BB 1995, 1463; Biener, Steuerberater-Jahrbuch --StbJb-- 1995/1996, 29; Weber-Grellet, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1995, 336; Pezzer, Deutsche steuerjuristische Gesellschaft --DStJG--, Bd. 14, 1991, 3; Walz, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht --ZHR-- 147, 1983, 281; s. auch Moxter, BB 1995, 1463; für Vorlagerecht bzw. -pflicht: z.B. Groh, DStR 1996, 1206; Kropff, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht --ZGR-- 1997, 115; Schüppen, DB 1996, 1481; de Weerth, Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters --RIW/AWD-- 1996, 763; Meilicke, BB 1992, 969; Streck/ Olgemöller, DStR 1993, 417; Dautzenberg, Finanz-Rundschau --FR-- 1997, 690; Schön, Festschrift für Flick, S. 573; Herlinghaus, Internationales Steuerrecht --IStR-- 1997, 529, jeweils m.w.N.).

c) Die Finanzgerichte (FG), für die allerdings nur die Möglichkeit der Vorlage, nicht aber eine Vorlagepflicht besteht, legen Fragen nach der Auslegung der BiRiLi überwiegend nicht dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Eine Ausnahme macht das FG Köln (Vorlagebeschluß vom 16. Juli 1997 13 K 812/97, EFG 1997, 1166), ohne sich allerdings mit den anstehenden europa- oder verfassungsrechtlichen Problemen auseinanderzusetzen.

2. Der I. Senat ist zur Beantwortung der Vorlagefrage nicht ausschließlich zuständig, so daß die Anrufung des Großen Senats des BFH mit Art. 101 Abs. 1 GG im Einklang steht (vgl. BFH-Urteil vom 12. April 1989 II R 37/87, BFHE 156, 244, BStBl II 1989, 524).

Es besteht zwar im Streitfall die Besonderheit, daß die BiRiLi nur die Bilanzierung bei Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung regelt (Art. 1 BiRiLi), für deren Ertragsbesteuerung ausschließlich der I. Senat zuständig ist. Da aber der Gesetzgeber anläßlich der Transformation der BiRiLi im Bilanzrichtlinien-Gesetz (BiRiLiG) vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2355) nicht ausschließlich Bilanzierungsregeln für die Kapitalgesellschaften, sondern auch für Personengesellschaften und Einzelunternehmer normiert hat, betrifft die Vorlagefrage sämtliche Senate des BFH, die für die steuerliche Gewinnermittlung zuständig sind. Auch im Rahmen der Einkünfteermittlung nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG werden herkömmlicherweise Begriffe des Bilanzrechts verwendet (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 7 EStG).

3. Zur Beantwortung der Frage, ob im Bilanzsteuerrecht eine Vorlagepflicht des BFH besteht, ist auch nicht der EuGH zuständig.

Die Frage, ob der BFH als letztinstanzliches Gericht in Bilanzsteuersachen zur Vorlage an den EuGH verpflichtet sein kann, ist zwar, wie bereits dargestellt, umstritten (s.o. unter II. 1.). Obgleich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der Auslegung von Gemeinschaftsrecht (hier: Art. 177 EGV) dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen sind (vgl. z.B. Urteil des EuGH vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 8. April 1987 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223), scheidet eine Vorlage der Frage, ob eine Pflicht zur Vorlage besteht, aus.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 177 Abs. 2 EGV entscheidet allein das nationale Gericht über die Notwendigkeit der Vorlage. Dem entspricht die ständige Rechtsprechung des EuGH (EuGH-Urteile in EuGHE I 1997, 4161, DB 1997, 1851; vom 18. Oktober 1990 Rs. C-297/88, Dzodzi, EuGHE I 1990, 3763). Dieser sieht das in Art. 177 EGV vorgesehene Verfahren als ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten, wobei es allein eine Sache der mit dem Rechtsstreit befaßten nationalen Gerichte sei, die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, im Hinblick auf die Besonderheiten der einzelnen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlaß ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem EuGH von ihnen vorgelegten Fragen zu beurteilen.

Ergibt sich die Möglichkeit der Geltung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften erst aus einer Verweisung, Bezugnahme oder Übernahme von Gemeinschaftsrecht im nationalen Recht, so ist es im Rahmen der in Art. 177 EGV vorgesehenen Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben zwischen den nationalen Gerichten und dem EuGH allein Sache des nationalen Gerichts, die genaue Tragweite dieser Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht zu beurteilen. Für die Berücksichtigung der Grenzen, die der nationale Gesetzgeber der Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf rein innerstaatliche Sachverhalte setzen wollte, gilt nämlich das nationale Recht, so daß hierfür allein die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig sind. Die Zuständigkeit des EuGH beschränkt sich auf die Auslegung des Gemeinschaftsrechts.

Da sich eine mögliche mittelbare Geltung des Gemeinschaftsrechts bei der steuerbilanziellen Gewinnermittlung ausschließlich aus der nationalen Verweisungsnorm auf die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung in § 5 Abs. 1 EStG ergeben kann, kann und ist die Reichweite dieser Verweisung allein von deutschen Gerichten festzustellen (so auch Befürworter einer Vorlage an den EuGH, vgl. z.B. Dautzenberg, FR 1997, 690; Rainer, IStR 1997, 544; Schön, a.a.O., S. 579; s. auch Schuch, Steuer und Wirtschaft International, Wien, 1997, 459).

4. Die dem Großen Senat vorgelegte Rechtsfrage ist im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich, da die Problematik der Passivierung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen (hier: sog. Umweltschutzverpflichtungen) Fragen nach dem Inhalt des Art. 20 Abs. 1 BiRiLi und der Abgrenzung zwischen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 BiRiLi (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 3. Februar 1969 GrS 2/68, BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291) entstehen läßt.

III.

Der I. Senat ist der Auffassung, daß im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens Fragen nach dem Inhalt der BiRiLi nicht vorab dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen sind.

1. Ausgangspunkt für eine mögliche mittelbare Geltung der BiRiLi bei der steuerlichen Gewinnermittlung und damit Rechtsgrundlage für eine Zuständigkeit des EuGH im Ertragssteuerrecht ist in Fällen der vorliegenden Art § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG (ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG--), wonach bei Gewerbetreibenden, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen oder die ohne eine solche Verpflichtung Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, für den Schluß des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen (§ 4 Abs. 1 EStG) ist, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung auszuweisen ist. Diese Verweisung begründet nach Auffassung der Befürworter einer mittelbaren Auswirkung der BiRiLi auf die Steuerbilanz die Zuständigkeit des EuGH im Steuerprozeß (s.o. unter II. 1. b). Der Gesetzgeber habe eine strikte Bindung der steuerlichen Gewinnermittlung von Bücher führenden Gewerbetreibenden an die Vorgaben des Handelsrechts und damit --seit Inkrafttreten des BiRiLiG-- an die §§ 238 ff. HGB angeordnet. Diese Anbindung habe nicht nur argumentative Bedeutung, sondern stelle eine unbedingte Verweisung und keine modellhafte Nachformung im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (EuGH-Urteil vom 28. März 1995 Rs. C-346/93, EuGHE I 1995, 615, Kleinwart Benson Ltd.) dar. Ziel sei eine einheitliche Interpretation des handelsrechtlichen Normenbestandes (vgl. z.B. Herlinghaus, IStR 1997, 529, 538; Schön, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht --JbFSt-- 1996/97, 61, 81).

2. Die Annahme, der Gesetzgeber habe mit der Verweisung auf die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zugleich einen Bezug zu den gemeinschaftsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften hergestellt, steht nach Auffassung des vorlegenden Senats weder mit der Gesetzesgeschichte des Maßgeblichkeitsgrundsatzes noch der Systematik des Dritten Buches des HGB noch den Gesetzesmaterialien zum Erlaß des BiRiLiG in Einklang:

a) Der Maßgeblichkeitsgrundsatz hat in der jetzigen Fassung bereits 1934 Eingang in das EStG gefunden, stammt also aus einer Zeit, in der durch nationales Recht noch kein Bezug zum Gemeinschaftsrecht hergestellt werden konnte.

b) Durch das BiRiLiG sollte ein solcher Zusammenhang auch nicht für Veranlagungszeiträume ab 1986 hergestellt werden. Dabei kommt der Tatsache wesentliche Bedeutung zu, daß seinerzeit das Dritte Buch des HGB (§§ 238 bis 339 HGB) nicht in der Fassung des Regierungsentwurfs (BTDrucks 9/1878; 10/317), sondern in der Fassung des Rechtsausschusses des Bundestages (BTDrucks 10/4268) Gesetz geworden ist.

aa) Der Rechtsausschuß des Bundestages hat die Vorschriften des Regierungsentwurfes umgruppiert (vgl. Krieger, Festschrift für Döllerer, S. 327) und dabei das Dritte Buch des HGB grundlegend anders aufgebaut, nämlich in

"- einen Ersten Abschnitt, in den alle Vorschriften aufgenommen werden,

die für Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften abschließend

und darüber hinaus für alle Kaufleute gelten,

- einen Zweiten Abschnitt, in den alle Vorschriften eingestellt werden, die

aufgrund der 4. und 7. Richtlinie Kapitalgesellschaften vorgeschrieben

werden müssen "

- und einen Dritten, hier nicht näher interessierenden Abschnitt für

Genossenschaften (BTDrucks 10/4268 S. 2, 88).

Mit diesem Gesetzesaufbau sollte --wie im Bericht des Rechtsausschusses wiederholt und wörtlich ausgeführt wird-- der Gefahr begegnet werden, daß die für Kapitalgesellschaften einzuführenden Regelungen auch auf Personenhandelsgesellschaften und Kaufleute übertragen werden. Ausweislich des Berichts sollte damit verhindert werden, daß eine ähnliche Entwicklung wie nach der Verabschiedung des Aktiengesetzes im Jahre 1965 zu einer pauschalen Übertragung der für Kapitalgesellschaften vorgeschriebenen Regelungen auf andere Rechtsformen führt (BTDrucks 10/4268 S. 88, 89). Der nationale Gesetzgeber hat somit die Übernahme der ausschließlich für Kapitalgesellschaften geltenden Vorschriften der BiRiLi im Ersten Abschnitt des Dritten Buches des HGB (§§ 238 bis 263) systematisch abgelehnt (vgl. auch Hennrichs, ZGR 1997, 666). Eine Transformation des Gemeinschaftsrechts sollte nur im Rahmen des Zweiten Abschnittes des Dritten Buches des HGB (§§ 264 ff.) stattfinden (BTDrucks 10/4268 S. 89).

bb) Neben diese systematisch bedeutsame Umgruppierung der Vorschriften trat im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine inhaltliche Neugestaltung des seinerzeit bereits geltenden nationalen Rechts, die zur zusätzlichen Übernahme der §§ 38 ff. HGB in der damals geltenden Fassung führte. Hierzu heißt es im Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages:

"Rechtssystematisch enthält der Erste Abschnitt des Dritten Buches jetzt eine Anreicherung der §§ 38 ff. HGB, die immer für alle Kaufleute galten ... und auf deren Basis sich z.B. das weitere Recht der Jahresabschlüsse entwickelt hat. Angereichert werden die §§ 38 ff. HGB durch Regelungsinhalte der 4. Richtlinie, die heute schon nach allgemeiner Auffassung für alle Kaufleute gelten und wegen der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die steuerliche Gewinnermittlung nicht nur für Kapitalgesellschaften gelten können... Dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches bleiben dementsprechend die Regelungsinhalte der 4. und 7. Richtlinie vorbehalten, die nicht für alle Kaufleute, sondern speziell für Kapitalgesellschaften gelten sollen" (BTDrucks 10/4268 S. 89).

Damit wird nochmals deutlich, daß das BiRiLiG im Ersten Abschnitt des Dritten Buches des HGB vorrangig auf schon bisher geltende nationale Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung Rückgriff nimmt und erst im Zweiten Abschnitt die eigentliche Transformation der BiRiLi stattfindet. Dies führte zwangsläufig dazu, daß im Zweiten Abschnitt des Dritten Buches des HGB (§§ 264 ff. HGB) Ausnahmen von den §§ 238 ff. HGB gemacht werden mußten (vgl. § 279 HGB). Die Vorstellung, der Gesetzgeber habe das für alle Kaufleute geltende Bilanzrecht (s. Überschrift zum Ersten Abschnitt des Dritten Buches) nach dem Vorbild der Gemeinschaftsrichtlinie gestaltet (so z.B. Groh, DStR 1998, 813, 817) oder die auf der Richtlinie beruhenden Regelungen auch auf andere Fälle ausgedehnt (so z.B. Herlinghaus, IStR 1997, 529, 537), findet somit weder in der Gesetzessystematik noch in den Gesetzesmaterialien eine Stütze.

cc) Besonders deutlich wird dies zusätzlich durch die systematische Einarbeitung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes des true and fair view (Art. 2 Abs. 3 BiRiLi). Das true-and-fair-view-Gebot findet sich erst im Zweiten Abschnitt des Dritten Buches des HGB (§ 264 Abs. 2 HGB) wieder und gilt folglich nur für Kapitalgesellschaften, nicht im Rahmen der §§ 238 bis 263 HGB. Da es aber als overriding principle die gesamte Auslegung der BiRiLi prägt (vgl. Kempermann, DStZ 1996, 570; Urteil des EuGH vom 27. Juni 1996 Rs. C-234/94, DStZ 1996, 569), liegt die Annahme fern, daß im Rahmen der §§ 238 bis 263 HGB ein Bezug zum Gemeinschaftsrecht hergestellt und damit eine Zuständigkeit des EuGH begründet werden sollte (Beisse, DStZ 1998, 310).

dd) Das gesamte Gesetzgebungsverfahren zum BiRiLiG durchzog ferner der Gedanke der Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung für die steuerliche Gewinnermittlung u n d der steuerneutralen Anpassung des deutschen Rechts (vgl. BTDrucks 9/1878 S. 66; 10/4268 S. 90). Steuerneutral konnte die Transformation aber nur sein, wenn das Steuerrecht von ihr unberührt blieb. Dem entspricht die derzeit (noch) im Prinzip fehlende ertragsteuerliche Harmonisierung innerhalb der EU (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 28. April 1998 Rs. C-118/96, Safir, EuGHE I 1998, 1897, DB 1998, 1065).

ee) Dem gesamten Gesetzgebungsverfahren läßt sich ferner entnehmen, daß der Gesetzgeber am Maßgeblichkeitsgrundsatz auch in Zukunft festhalten wollte. Diesem Ziel würde eine mittelbare steuerliche Zuständigkeitskompetenz des EuGH widersprechen, so daß auch die Befürworter einer Vorlage an den EuGH den Fortbestand des Maßgeblichkeitsgrundsatzes in Frage gestellt sehen (vgl. z.B. Herzig, DB 1996, 1401) oder mit weiteren Durchbrechungen rechnen (vgl. z.B. Dautzenberg, FR 1997, 690, 691; Schön, a.a.O., S. 573, 581; Groh, DStR 1996, 1206). Derartige Konsequenzen waren vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt.

c) Wird nach dem Gesagten --jedenfalls-- für Personengesellschaften und Einzelunternehmer weder handels- noch steuerrechtlich ein Bezug zum Gemeinschaftsrecht hergestellt, was in Anbetracht des begrenzten Adressatenkreises der BiRiLi zulässig ist, so besteht ein solcher Bezug auch nicht für die steuerliche Gewinnermittlung bei Kapitalgesellschaften, wie der Klägerin.

aa) Unterschiedliche Gewinnermittlungsgrundsätze je nach Rechtsform eines gewerblichen Unternehmens sind dem deutschen Steuerrecht fremd und würden dem steuerlichen Prinzip der gleichmäßigen steuerlichen Belastung zuwiderlaufen. Nach der Gesetzessystematik sollte --wie bereits anhand der Materialien belegt-- dementsprechend der Erste Abschnitt des Dritten Buches des HGB nicht nur für Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften gelten, sondern "darüber hinaus für alle anderen Kaufleute", d.h. auch für Kapitalgesellschaften. In diesem Sinne wird in der BTDrucks 9/1878 ausgeführt, daß die Rechnungslegung in dem bisherigen Umfang einheitlich bleiben solle, weil der steuerlichen Gewinnermittlung wegen des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nur solche handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zugrunde gelegt werden können, die rechtsform- und größenunabhängig auf alle buchführungspflichtigen Gewerbetreibenden angewendet werden können. Daran hat der Bericht des Rechtsausschusses nichts geändert. Mangels Steuerharmonisierung bestehen hiergegen auch keine europarechtlichen Bedenken.

Sollte danach die steuerliche Gewinnermittlung rechtsformunabhängig sein und besteht für Steuerpflichtige, die nicht Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind, weder handels- noch steuerrechtlich ein Bezug zum Gemeinschaftsrecht, so können im Steuerprozeß Auslegungsfragen bei Anwendung der §§ 238 bis 263 HGB auch dann nicht dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt werden, wenn der Steuerpflichtige zum Adressatenkreis der BiRiLi gehört.

bb) Eine Verknüpfung des Steuerrechts mit den gemeinschaftsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätzen widerspräche im übrigen auch bei Kapitalgesellschaften Art. 189 Abs. 3 EGV, wonach Richtlinien hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind. Das Ziel der BiRiLi, so wie es ausdrücklich in der Präambel seinen Niederschlag gefunden hat, besteht darin, die Jahresabschlüsse solcher Gesellschaften, die über das nationale Hoheitsgebiet hinaus tätig sind, vergleichbar zu machen. Ein derartiges Ziel ist bei der rein nationalen Besteuerung von Kapitalgesellschaften sachfremd.

d) Der I. Senat verkennt nicht, daß die vorstehende Gesetzesinterpretation im Grundsatz die Aufstellung abweichender Bilanzierungsregeln für die Handelsbilanz und die Steuerbilanz von Kapitalgesellschaften ermöglicht. Er hält aber --entsprechend den Vorstellungen des Gesetzgebers-- den Grundsatz, daß unabhängig von der Rechtsform für die steuerliche Gewinnermittlung gleiche Bilanzierungsgrundsätze gelten müssen, von Verfassungs wegen (Art. 3 GG) für vorrangig.

 

Fundstellen

Haufe-Index 156704

BFH/NV 1999, 545

BStBl II 1999, 129

BFHE 187, 215

BFHE 1999, 215

BB 1999, 197

BB 1999, 197 (Leitsatz)

BB 1999, 415

DB 1999, 259

DB 1999, 259-261 (Leitsatz und Gründe)

DStR 1999, 151

DStR 1999, 151-154 (Leitsatz und Gründe)

DStRE 1999, 85

DStRE 1999, 85 (Leitsatz)

HFR 1999, 260

StE 1999, 75

StE 1999, 75 (Leitsatz)

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