Leitsatz (amtlich)

1. Der Widerruf einer Stundung ist ein vollziehbarer Verwaltungsakt.

2. Auch die Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde in einem vorangegangenen Verfahrensabschnitt eröffnet gemäß Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFG-EntlG den Weg zum FG.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3; VGFG-EntlG Art. 3 § 7 Abs. 1; AO 1977 § 131 Abs. 2, § 222

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist freiberuflich tätig und außerdem an mehreren Abschreibungsgesellschaften beteiligt (geltend gemachte Verluste 1980 ca. 201 000 DM). Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) stundete im Hinblick auf diese Verluste unter Widerrufsvorbehalt die Einkommensteuer-Vorauszahlung IV/1980 in Höhe von ... DM. Nachdem das FA aufgrund von Anfragen bei den Betriebs-FÄ zu der Auffassung gelangt war, daß die Verluste allenfalls 52 900 DM betragen haben könnten, widerrief es die Stundung (Verfügung vom 9. April 1981). Der Antragsteller legte Beschwerde ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung der Widerrufsverfügung. Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde zurück. Hiergegen hat der Antragsteller am 12. August 1981 Klage erhoben, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat. Schon vor Klageerhebung hatte das FA dem Antragsteller am 12. Mai 1981 mitgeteilt, daß es dem Vollziehungsaussetzungsantrag nicht entsprechen könne.

Zugleich mit der Erhebung der Klage beantragte der Antragsteller bei dem FG, die Vollziehung der Widerrufsverfügung auszusetzen. Das FG wies den Antrag als unzulässig ab: Es fehle an einer vorherigen Ablehnung des Antrags nach Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFG-EntlG). Die Mitteilung des FA vom 12. Mai 1981 sei vor Erlaß der Beschwerdeentscheidung ergangen. Eine Ablehnung wirke aber nur jeweils für den Verfahrensabschnitt, für den die Aussetzung der Vollziehung durch das Gericht beantragt werde.

 

Entscheidungsgründe

Die vom FG zugelassene Beschwerde des Antragstellers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Das FG ist stillschweigend zu Recht davon ausgegangen, daß der Widerruf einer Stundung ein vollziehbarer Verwaltungsakt i. S. des § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist (vgl. auch Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Juli 1968 VII B 41/67, BFHE 93, 215, BStBl II 1968, 743, betreffend Widerruf eines Zahlungsaufschubs, und vom 21. Februar 1979 VII B 28/78, BFHE 127, 275, BStBl II 1979, 392, betreffend den Widerruf einer Zulassung von Lagerstätten zur Mineralölgewinnung). Die Stundung ist ein begünstigender Verwaltungsakt, durch den die Fälligkeit einer festgesetzten Steuerschuld ganz oder teilweise hinausgeschoben wird (§ 222 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Sie kann nach Maßgabe des § 131 Abs. 2 AO 1977 widerrufen werden bzw. nach Maßgabe des § 130 Abs. 2 und 3 AO 1977 zurückgenommen werden. In beiden Fällen wird die Rechtsposition des Stundungsbegünstigten beeinträchtigt. Eine Aussetzung der Vollziehung der Widerrufs- oder Rücknahmeverfügung hindert den Eintritt dieser Wirkung. Der Stundungsbegünstigte kann sich vorläufig auf das Weitergelten der Stundung verlassen. Der Widerruf bzw. die Rücknahme einer Stundung kann nicht dem Fall gleichgestellt werden, daß die Stundung von vornherein versagt wird; eine solche Versagung ist allerdings - ebenso wie andere ablehnende Verwaltungsakte (BFH-Beschluß vom 25. März 1971 II B 47/69, BFHE 101, 346, BStBl II 1971, 334, mit Nachweisen) - nicht einer Vollziehung fähig. Es ist jedoch etwas anderes, ob dem Steuerpflichtigen eine günstige Rechtsposition genommen oder von vornherein versagt wird.

2. Das FG mußte sachlich über den Vollziehungsaussetzungsantrag befinden. Der Zulässigkeit des Antrags stand nicht Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFG-EntlG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist ein Antrag an das FG nach § 69 Abs. 3 FGO nur zulässig, wenn die Finanzbehörde einen Antrag nach § 69 Abs. 2 FGO ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Eine solche Ablehnung enthält das Schreiben des FA vom 12. Mai 1981. Unerheblich ist, daß diese Äußerung aus der Zeit vor Anhängigkeit des Klageverfahrens in der Hauptsache stammt. Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFG-EntlG ist nicht zu entnehmen, daß für jeden Verfahrensabschnitt in der Hauptsache (außergerichtliches Vorverfahren, Klageverfahren, Revisionsverfahren) eine gesonderte Stellungnahme des FA eingeholt werden müßte (so bereits BFH-Beschlüsse vom 22. Oktober 1980 I S 1/80, BFHE 131, 455, BStBl II 1981, 99; vom 5. Mai 1981 VIII B 26/80, BFHE 133, 285, BStBl II 1981, 574; ferner Beermann, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1981, 28, 31; anderer Auffassung Niedersächsisches FG, Beschluß vom 19. Dezember 1978 VII 468/78 A, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1979, 193; FG Düsseldorf - Senate in Köln -, Beschluß vom 3. Dezember 1979 VIII 338/79 A, EFG 1980, 138; Gräber, DStR 1981, 369; Ziemer/Haarmann/Lohse, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 12 733). Eine derartige Einschränkung kann nicht der Erwähnung des § 69 Abs. 2 FGO in Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFG-EntlG entnommen werden. Auch vor Klageerhebung in der Hauptsache - also nicht nur in den Fällen des § 69 Abs. 2 FGO, sondern auch in denen des § 361 AO 1977 - ist im Interesse eines effektiven vorläufigen Rechtsschutzes § 69 Abs. 3 FGO weiterhin anwendbar, dies dann allerdings nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 3 § 7 Abs. 1 VGFG-EntlG (BFH-Beschluß vom 13. März 1981 VI B 94/79, BFHE 132, 516, BStBl II 1981, 440). Zwar mag sich der Erkenntnisstand mit fortschreitendem Instanzenzug erhöhen, so daß die Finanzbehörde im Klage- oder Revisionsverfahren oft eher geneigt sein wird, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Verwaltungsakts zu bejahen. Jedoch kann der Ablehnung eines Vollziehungsaussetzungsantrags durch die Finanzbehörde im Anfangsstadium des Verfahrens genau so oft eine endgültige Meinungsbildung zugrunde liegen. Es ist nicht angängig, Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFG-EntlG, der den Zugang der Steuerpflichtigen zum Gericht einschränkt, ohne eine klare Äußerung des Gesetzgebers einengend auszulegen.

Die Forderung, der Steuerpflichtige müsse sich in jedem Verfahrensabschnitt erneut an das FA wenden, würde außerdem zu einer Unabgestimmtheit mit Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 VGFG-EntlG führen. Danach bedarf es keiner Ablehnung, wenn die Finanzbehörde zu erkennen gegeben hat, daß sie die Vollziehung nicht aussetzen werde (Nr. 1), nicht in angemessener Frist entscheidet (Nr. 2), eine Vollstreckung droht (Nr. 3) oder dem Steuerpflichtigen ein vorheriger Antrag an die Finanzbehörde nicht zuzumuten ist (Nr. 4). Diese Sachverhalte lassen sich regelmäßig nicht für jeden Verfahrensabschnitt neu beurteilen, sondern stellen im allgemeinen auf das Verhalten der Finanzbehörde während des gesamten Rechtsbehelfsverfahrens ab. Es wäre aber kaum zu rechtfertigen, die Sonderfälle des Satzes 2 anders zu behandeln als den Regelfall des Satzes 1.

Die Sache geht an das FG zurück, das nunmehr sachlich über den Vollziehungsaussetzungsantrag zu befinden hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74086

BStBl II 1982, 608

BFHE 1983, 67

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