Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Das FG hat die beantragte Beiladung vorzunehmen, wenn auch nur die Möglichkeit besteht, daß die rechtlichen Interessen des anderen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden.

 

Normenkette

FGO § 60 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Bfin. hatte in dem Berufungsverfahren beim Finanzgericht (FG) der Frau ... wegen Erstattung der HGA beantragt, sie gemäß § 65 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch Beschluß des Gerichts zum Verfahren beizuladen. Ihre Einflußnahme auf das Verfahren sei notwendig, um zu verhindern, daß ihre Rechtsstellung nachteilig berührt werde. Im Falle des Obsiegens der Klägerin würde ihr die Hälfte des erstatteten Betrages zukommen.

Die Klägerin verzichtete auf eine besondere Stellungnahme zu dem Antrage auf Beiladung, trat ihm jedoch ausdrücklich nicht entgegen. Das Finanzamt (FA) - Beklagter des Berufungsverfahrens - hielt die Voraussetzung des § 60 Abs. 1 FGO zur Beiladung für gegeben.

Der zuständige Senat des FG wies den Antrag auf Beiladung durch Beschluß mit folgender Begründung zurück: Nach § 60 Abs. 1 FGO könne das FG andere beiladen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt würden. Die Antragstellerin habe jedoch lediglich auf Grund eines notariellen Vertrags in Verbindung mit einem anderen notariellen Vertrag einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Klägerin auf Auszahlung der Hälfte des mit der Klage begehrten Erstattungsbetrags. Dieser Anspruch begründe kein steuerliches Interesse.

Die Bfin. legte gegen den ablehnenden Beschluß beim BFH Beschwerde ein und führte aus: Die Klage fuße darauf, daß sie das Schloßgut an die Klägerin im Jahre 1951 verkauft habe und Angehörige der Vereinten Nationen (AVN) sei. Daher sei die HGA nach § 118 LAG zu behandeln. Die Klägerin sei durch die Bank zur Ablösung einer nicht entstandenen HGA-Schuld veranlaßt worden und führe infolgedessen den steuerlichen Erstattungsprozeß. Da nur sie - die Bfin. - die Abgabe schulde und die Käuferin nicht durch den Notariatsvertrag persönliche Abgabepflichtige geworden sei, seien nur die steuerlichen Verhältnisse in bezug auf ihre Eigenschaft als AVN in der Streitsache maßgeblich.

Die Zulässigkeit der Beschwerde ergibt sich aus §§ 128 ff. FGO.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet. Die Bfin. hat in ihrem Antrag auf Beiladung § 65 VwGO angezogen. Das FG hat jedoch zutreffend als Rechtsgrundlage § 60 FGO angenommen; auch die Bfin. hat in der vorliegenden Beschwerde allein § 60 FGO angeführt. Damit hat die wohl irrtümliche Bezugnahme auf die VwGO ihre Erledigung gefunden.

Nach § 60 Abs. 1 FGO kann das FG von Amts wegen oder auf Antrag andere beiladen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden, insbesondere solche, die nach den Steuergesetzen neben dem Steuerpflichtigen haften. Vor der Beiladung ist der Steuerpflichtige zu hören, wenn er am Verfahren beteiligt ist. Die vorgeschriebene Anhörung der Klägerin, die einen steuerrechtlichen Erstattungsanspruch geltend macht, ist erfolgt; desgleichen die des FA. Die Entscheidung über die Beschwerde hängt von der Auslegung des Begriffes "rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen" ab. In der FGO wurde gegenüber der VwGO vom 21. Januar 1960 (BGBl I S. 17) eine Einengung der (nicht notwendigen) Beiladung vorgenommen. Denn nach § 65 Abs. 1 VwGO kann das Gericht "andere, deren rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden", beiladen, wobei die Interessen sowohl öffentlich- wie privat-rechtlicher Art sein können; die rechtlichen Interessen werden dann berührt, wenn der Beizuladende zu einer oder beiden Prozeßparteien oder zu dem Streitgegenstand in einer solchen Beziehung steht, daß das Unterliegen einer Partei seine Rechtslage verbessern, insbesondere einen ihm durch das Obsiegen der anderen Partei drohenden Nachteil abwenden würde (Eyermann-Fröhler, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Auflage, § 65 Anm. 19). Wenn auch demgegenüber nach § 60 FGO in einer einengenden Weise die rechtlichen Interessen des Beizuladenden "nach den Steuergesetzen" berührt sein müssen, so erscheint die Auslegung, die das FG dieser Bestimmung gab, zu eng. Es handelt sich um keine notwendige Beiladung mit ihren natürlich strengeren Voraussetzungen. In der Regel dürften bei Rechtsstreitigkeiten vor dem FG etwaige Interessen für alle Beteiligten, wenn auch vielleicht nicht immer ausschließlich, so doch zum Teil, auf steuerlichem Gebiet liegen. Wenn, wie hier, Kläger und Beklagter des Hauptprozesses mit der beantragten Beiladung einverstanden sind, ist auch nicht einzusehen, weshalb die Beiladung bei einem nicht von der Hand zu weisenden steuerlichen Interesse unterbleiben soll. Hier kann ein steuerliches Interesse der Bfin. nicht in Abrede gestellt werden.

Das LAG mit den Vorschriften über die HGA stellt die Grundlage für den Rechtsstreit über die Erstattung der von der Erwerberin abgelösten HGA dar. Nach § 118 LAG unterliegt bei einem Grundstück, das am 21. Juni 1948 einem AVN gehörte, und das in der Zeit zwischen 21. Juni 1948 und dem Inkrafttreten des LAG (1. September 1952) veräußert wurde, der Erwerber nicht der Abgabepflicht, sondern der Schuldner der umgestellten RM- Verbindlichkeit (also der AVN am 21. Juni 1948). Das FG leitet nun ein alleiniges "schuldrechtliches" Interesse unter Ablehnung eines "steuerrechtlichen" Interesses wohl daraus her, daß auch bei vertraglicher übernahme der Abgabeschuld in einem solchen Falle der Veräußerer die Abgabe schuldet und der Käufer selbst dann nicht Schuldner der persönlichen Abgabe würde, wenn er die Belastung des Grundstücks mit Lastenausgleichsabgaben im Kaufvertrag übernahm (vgl. hierzu Harmening, Kommentar zum Lastenausgleich, § 118 Anm. 4, 10 und 11). Trotzdem ist aber im vorliegenden Falle nach dem Akteninhalt eine rechtliche und tatsächliche Verknüpfung zwischen der seinerzeitigen übernahme der Umstellungsgrundschuld in den notariellen Verträgen, der Ablösung der HGA durch die Erwerberin (Klägerin), der AVN-Eigenschaft der Bfin., der dadurch bedingten Anwendung des § 118 Abs. 1 LAG (kein Ruhen der HGA als öffentliche Lasten auf dem Grundstück) und der persönlichen Abgabeverpflichtung der Bfin. nach § 118 Abs. 3 LAG gegeben oder zumindest möglich. Das FG konnte daher in dem ablehnenden Beschluß nicht lediglich durch einen kurzen Hinweis auf einen schuldrechtlichen Anspruch jedes steuerrechtliche Interesse der Bfin. verneinen. Es ist u. a. durchaus möglich, daß durch die strittige Ablösung und die eventuelle Erstattung oder Nichterstattung die persönliche Abgabeverpflichtung der Bfin. und deren Erfüllung berührt werden. Zudem steht im Berufungsverfahren zur Erörterung, ob die Ablösung der HGA durch die Klägerin eine Zahlung der persönlichen Abgabeschuld der Bfin. darstellte. Es werden somit bei der Bfin. rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen berührt. Das FG hat eine beantragte Beiladung vorzunehmen, wenn auch nur die Möglichkeit besteht, daß des anderen rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden. Strengere Voraussetzungen (Wahrscheinlichkeit oder Gewißheit) darf das FG nicht setzen, da der anhängige Rechtsstreit, zu dem die Beiladung begehrt wird, vielfach erst durch seine Entscheidung die endgültige Klarheit über die Berührung der steuerlichen Interessen des anderen bringen wird.

Der angefochtene Beschluß war daher aufzuheben. Das FG hat die Bfin. antragsgemäß beizuladen (hierzu Hinweis auf die Entscheidung des BFH III 371/60 U vom 18. Dezember 1964 zu I, Sammlung der Entscheidungen des BFH Bd. 81 S. 417, BStBl 1965 III 149).

 

Fundstellen

Haufe-Index 412149

BStBl III 1966, 466

BFHE 1966, 327

BFHE 86, 327

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