Leitsatz (amtlich)

Aus der Anfrage eines Mitglieds des FG, ob der Kläger im Hinblick auf eine Entscheidung des BVerfG die Klage zurücknehmen wolle, kann nicht ohne weiteres auf eine Befangenheit des Richters geschlossen werden.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Streit geht in der Hauptsache um die Berücksichtigung von 892,50 DM Kosten für den Druck einer Dissertation als Werbungskosten. Das FA hatte die Berücksichtigung abgelehnt. Der Einspruch blieb erfolglos.

Im Laufe des Klageverfahrens wies der Beklagte (FA) darauf hin, daß nach dem Beschluß des BVerfG 1 BvR 5/69 vom 31. März 1969 (HFR 1969, 513) die Rechtsprechung des BFH hinsichtlich der Nichtabzugsfähigkeit von Promotionskosten verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Finanzgerichtsrat B. als Berichterstatter übersandte dem Kläger und Beschwerdeführer den Schriftsatz des FA mit folgendem Anschreiben vom 14. Januar 1970: "... In dem Rechtsstreit ... erhalten Sie als Anlage den Schriftsatz vom 12. Januar 1970 zur Äußerung bis zum 10. Februar 1970. Die Sache steht nunmehr zur Entscheidung an. Im Hinblick auf die von dem Beklagten zitierte Entscheidung des BVerfG wird angefragt, ob Sie die Klage zurücknehmen wollen. Für den Fall, daß Sie die Klage aufrechterhalten sollten, wird angefragt, ob Sie auf eine mündliche Verhandlung verzichten. Der Beklagte hat bereits mit Schriftsatz vom 14. Februar 1969 auf mündliche Verhandlung verzichtet. ..."

Nunmehr beantragte der Beschwerdeführer, Finanzgerichtsrat B. wegen Besorgnis der Befangenheit von der weiteren Ausübung des Richteramts auszuschließen. Zur Begründung trug er u. a. vor, er gehe auf Grund des Schreibens davon aus, daß der Berichterstatter sich bereits eine feste Meinung über den Ausgang des Prozesses gebildet habe. Er sehe in dem Schreiben nicht nur die Ansicht des Berichterstatters über einen eventuellen Prozeßausgang. Statt dessen beinhalte das Schreiben, ohne daß ihm die Möglichkeit zur vorherigen Stellungnahme gegeben worden sei, die in die Form einer Anfrage gekleidete Empfehlung, die Klage zurückzunehmen. Er besorge daher, daß Finanzgerichtsrat B. befangen sei.

Das FG hat den Ablehnungsantrag abgelehnt. Die objektive Würdigung des als Ablehnungsgrund angegebenen Schreibens vom 14. Januar 1970 begründe kein Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Verfassers. Dabei könne die Frage, ob eine im Rahmen des Verfahrens geäußerte Meinung oder Empfehlung die Besorgnis der Befangenheit begründe, dahingestellt bleiben. Das Schreiben des Berichterstatters offenbare nämlich weder eine feste Meinung über den Prozeßausgang noch enthalte es eine Empfehlung, die Klage zurückzunehmen. Es setze sich nämlich, worauf der Beschwerdeführer selbst hinweise, keineswegs mit dem Prozeßstoff, insbesondere mit dem vom Beklagten zitierten Beschluß des BVerfG, auseinander, sondern überlasse es dem Beschwerdeführer allein, wie er sich weiter einlassen wolle. Dementsprechend würden in dem Schreiben auch Fragen bezüglich der Weiterführung des Rechtsstreits (Verzicht auf mündliche Verhandlung) bis zur Entscheidung gestellt. Daraus gehe hervor, daß das Schreiben lediglich die Ordnung des Verfahrens unter allen denkbaren Aspekten ohne Stellungnahme des Richters zur Sache zum Gegenstand habe.

Die gegen den Beschluß eingelegte Beschwerde begründet der Beschwerdeführer u. a. wie folgt: Nach einhelliger Ansicht (vgl. Stein-Jonas-Schönke-Pohle, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 42, Bemerkung II 1) sei es nicht erforderlich, daß objektive Gründe vorlägen; der Ablehnungsgrund müsse nur vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus objektiv motiviert sein. Es solle nicht nur eine wirklich parteiliche Rechtspflege verhindert, sondern auch schon der nach Lage der Umstände naheliegende oder doch mögliche Eindruck einer solchen vermieden werden. Im Gegensatz zum FG sei er der Auffassung, das Schreiben vom 14. Januar 1970 sei nicht als bloße Anfrage, sondern als Empfehlung zu werten. Durch den Hinweis auf den Beschluß des BVerfG sei der Eindruck entstanden, der Berichterstatter sei der Meinung, auf Grund der verfassungsgerichtlichen Entscheidung allein habe die Klage keine Erfolgsaussicht.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten nach § 51 Abs. 1 FGO die §§ 41 bis 49 ZPO. Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.

Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist unter Befangenheit ein Zustand zu verstehen, der eine gerechte, nur auf die Sache bezogene Einstellung beeinträchtigt. Da es sich hierbei um einen inneren Zustand handelt, ist er für einen Dritten nicht unmittelbar einsichtig und feststellbar und kann deshalb in der Regel auch nicht unmittelbar bewiesen werden. Wenn § 42 Abs. 2 ZPO verlangt, es müsse ein Grund vorhanden sein, der geeignet sei, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen, so kann das demnach nur dahin verstanden werden, daß nach den äußeren Umständen der einen Richter Ablehnende einen vernünftigen Grund für die Annahme haben muß, der Richter werde sich aus einer in seiner Person liegenden individuellen Ursache heraus bei seiner Entscheidung von falschen, d. h. nicht sachgerechten, Rücksichten leiten lassen (Urteil des BFH III B 37/67 vom 21. Juli 1967, - BFH 90, 160 -, BStBl II 1968, 12, unter Hinweis auf Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. 55 S. 57 - RGSt 55, 57 -, 60, 44, 61, 69; Entscheidung des Reichsgerichts - JW 1912, 943 -). Dabei ist es nicht erforderlich, daß der Grund für einen solches Mißtrauen objektiv vorhanden ist. Maßgebend ist vielmehr, ob vom Standpunkt des Ablehnenden aus genügende objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu erregen (Stein-Jonas-Schönke-Pohle, a. a. O., 19. Aufl., § 42 Anm. II 1).

Rechtsbelehrungen und sonstige Hinweise an eine Partei sind nach der herrschenden Meinung im Zivilprozeß keineswegs zu beanstanden, wenn sie sich im Rahmen des § 139 ZPO halten, der die richterliche Aufklärungspflicht beinhaltet. Ihm entspricht die Vorschrift des § 79 FGO. Danach hat der Vorsitzende oder ein von ihm zu bestimmender Richter schon vor der mündlichen Verhandlung alle Anordnungen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer Verhandlung zu erledigen. Er ist berechtigt, die Beteiligten zur Erörterung des Sachund Streitrechtsstandes zu laden. Dieser Erörterung des Sach- und Rechtsstandes kommt im Rahmen des Prozeßablaufs auch im finanzgerichtlichen Verfahren erhebliche Bedeutung zu. Die Erörterung kann je nach dem Gegenstand des Verfahrens der Klärung des Sachverhalts wie auch der Klärung von Rechtsfragen dienen. Nach den Erfahrungen des Senats haben in vielen Fällen die Beteiligten ein Interesse daran, die Einstellung des den Erörterungstermin leitenden Richters zu der für den Ausgang des Prozesses maßgeblichen Rechtsfrage zu erfahren, haben sie doch gerade dann Gelegenheit, ihre eigene Auffassung vorzutragen und den Richter von ihrer Auffassung zu überzeugen (vgl. auch BVerfG-Beschluß 1 BvR 522/53 vom 25. Januar 1955, BVerfGE 4, 144).

Es kann fraglich sein, wieweit der Richter im einzelnen Fall gehen darf, ohne daß hieraus Bedenken hergeleitet werden können. Der Beschwerdeführer räumt selbst ein, daß jedenfalls im Zivilprozeß Anregungen gegeben werden dürfen und daß in besonderen Fällen auch empfohlen werden dürfe, die Klage zurückzunehmen, wenn etwa wegen eines veränderten Sachverhalts die Weiterführung des Prozesses sinnlos geworden sei. Der Ansicht des Beschwerdeführers, im finanzgerichtlichen Verfahren sei diese Frage anders zu beurteilen, vermag sich der Senat jedoch nicht anzuschließen. Die Frage hat mit dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 FGO) nichts zu tun. Durch ihn wird die Dispositionsmöglichkeit des Klägers keineswegs in dem Umfang beschränkt, wie der Beschwerdeführer meint. Insbesondere hat auch im finanzgerichtlichen Verfahren der Kläger die Möglichkeit zur Klagerücknahme (§ 72 Abs. 1 FGO).

Hat der Kläger dieses Recht, so braucht es nicht von vornherein ein Anzeichen für die Befangenheit des Richters zu sein, wenn er den Kläger auf die Möglichkeit hinweist oder eine dahingehende Anfrage an den Kläger richtet. Das wird sich nicht selten im Laufe eines Erörterungstermins nach § 79 FGO ergeben. Es wäre eine unerwünschte Erschwerung des hier vorgesehenen Sachund Rechtsgesprächs, wenn alles, was der Richter zum möglichen Ausgang des Verfahrens sagt, als Parteilichkeit anzusehen wäre. Das gilt auch dann, wenn der Richter in diesem Zusammenhang die Möglichkeit einer Zurücknahme der Klage ins Gespräch bringt. Der für den Zivilprozeß geäußerten Ansicht von Wieczorek (Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, § 42 Anm. B III a 2), es sei immer unzulässig, einer Partei zu raten, eine Klage zurückzunehmen, vermag der Senat nicht zuzustimmen. Wie in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden darf, ist ein Ablehnungsgrund mit Recht selbst dann verneint worden, wenn der Richter in einem anderen Prozeß zuungunsten des Klägers entschieden oder in einem Aufsatz eine dem Kläger ungünstige Auffassung vertreten hat (vgl. BFH-Beschluß VI B 8/66 vom 20. September 1966, BFH 86, 789, BStBl III 1966, 652, und Urteil des BGH 4 StR 261/66 vom 9. September 1966, - NJW 1967, 62 -, sowie die bei Wieczorek, a. a. O., § 42 Anm. B III a 1 erwähnten Urteile).

Was hiernach für den Erörterungstermin nach § 79 FGO gilt, hat auch Berechtigung für das schriftliche Verfahren. Eine auf die Zurücknahme der Klage zielende Anfrage oder Anregung oder Empfehlung legt danach dann die Annahme einer Befangenheit nahe, wenn sie etwa unter Ausübung von Druck erfolgt oder erkennbar erreichen will, daß der Prozeß ohne die Durchführung einer möglicherweise mühevollen, zur weiteren Aufklärung aber unerläßlichen Beweisaufnahme beendet wird. In solchen Fällen läßt sich der Richter von offenbar unsachlichen Erwägungen leiten. Anders ist es jedoch zu beurteilen, wenn der Richter, ohne daß einer der aufgezeigten Tatbestände vorliegt, im Lauf des Verfahrens eine bestimmte Rechtsansicht äußert, und zwar auch dann, wenn er im Zusammenhang hiermit anfragt, ob der Kläger die Klage zurücknehmen wolle, oder wenn er gar eine dahingehende Anregung oder Empfehlung ausspricht. Es ist Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 79 Anm. 12, zwar zuzustimmen, daß eine solche Anregung nur bei zweifelsfreier Sach- und Rechtslage gegeben werden sollte. Geschieht dies auch in Fällen, die nicht so klar sind, so liegt hierin unter Umständen ein Anzeichen für eine ungeschickte Prozeßführung. Auf eine Befangenheit des Richters kann aber nicht schon deswegen geschlossen werden, weil er in einem zweifelhaften Fall eine Rechtsansicht äußert. Denn allein aus einem solchen Verhalten werden noch keine Momente erkennbar, die die Annahme nahelegen, der Richter betrachte den Prozeßstand nicht mehr unter sachlichen Gesichtspunkten, er habe nun keine von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache mehr. Um dies anzunehmen, müßten weitere Gesichtspunkte hinzukommen.

Das vom Beschwerdeführer beanstandete Schreiben des Berichterstatters des FG läßt nicht darauf schließen, daß dem Richter erkennbar an einer Beendigung des Verfahrens um jeden Preis unter Zurückstellung sachlicher Überlegungen gelegen war. Das ergibt sich daraus, daß er mit der die Klagerücknahme betreffenden Anfrage die Bitte um Äußerung zu einem Schriftsatz des FA verband. Daß er einen Fortgang des Verfahrens ebenso ins Auge faßte wie eine Beendigung durch Klagerücknahme, zeigt die Anfrage, ob der Beschwerdeführer auf mündliche Verhandlung verzichten wolle (mag sie auch überflüssig gewesen sein, weil der Beschwerdeführer einen solchen Verzicht schon früher ausgesprochen hatte). Auch folgt hieraus, daß es sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nur um eine die Zurücknahme der Klage betreffende Anfrage, nicht aber zugleich um eine dahingehende Anregung oder Empfehlung handelt. Aus dem beanstandeten Schreiben ist mithin nach Ansicht des Senats nur erkennbar, daß der Berichterstatter eine bestimmte Rechtsauffassung hatte und diese dem Kläger bekanntgab, wobei er anfragte, ob der Kläger, falls er die Rechtsauffassung teile, seine Klage weiterverfolgen werde. Es ist nicht zu verkennen, daß dies besser unterblieben wäre, insbesondere deshalb, weil der angeführte Beschluß des BVerfG eine Entscheidung des Dreier-Ausschusses nach § 93a des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht war, die ohne Einfluß auf das anhängige Verfahren war. Ein Beschluß des BVerfG gleichen Inhalts war übrigens schon unter dem Az. 1 BvR 660/67 vom 8. Januar 1968 (DB 1968, 331, BFH - N Nr. 16 zu § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes) ergangen. Es sind aber keine Gesichtspunkte ersichtlich, aus denen erkennbar wäre, daß den Berichterstatter unsachliche Überlegungen geleitet haben könnten oder leiten würden. Auf eine Befangenheit des Berichterstatters ist hiernach aus dem beanstandeten Schreiben nicht zu schließen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69228

BStBl II 1971, 527

BFHE 1971, 10

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