Leitsatz (amtlich)

1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids bestehen nicht schon deshalb, weil das Grunderwerbsteuerrecht zahlreiche Befreiungsvorschriften enthält, so daß die Befreiung von Grunderwerbsteuer die Regel, die Erhebung von Grunderwerbsteuer die Ausnahme geworden ist.

2. Es ist durch vermögenspolitische, arbeitsmarktpolitische, städtebauliche und wohnungspolitische Gründe hinreichend gerechtfertigt, zwar den Erwerb eines mit einem Einfamilienhaus oder mit einem Zweifamilienhaus bebauten Gründstücks sowie den Erwerb einer Eigentumswohnung von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz auszunehmen, nicht dagegen auch den Erwerb eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2; GrEStG NW § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStEigWoG § 1

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin kaufte am 28. November 1977 ein in Nordrhein-Westfalen gelegenes Mietwohngrundstück für 350 000 DM. Für diesen Vorgang setzte der Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) durch Bescheid vom 6. Januar 1978 die Grunderwerbsteuer auf 24 500 DM fest, den Einspruch wies er zurück. Daraufhin hat die Beschwerdeführerin Klage erhoben und zugleich beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Bescheids auszusetzen. An dessen Rechtmäßigkeit bestünden ernstliche Zweifel. Die Erhebung von Grunderwerbsteuer verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -). Denn da durch die zahlreichen Befreiungsvorschriften bereits über 70 v. H. aller grunderwerbsteuerbaren Vorgänge von der Steuer befreit seien, sei "die Erhebung von Grunderwerbsteuer bei den restlichen davon noch Betroffenen als Akt der Willkür zu bezeichnen". Es seien "keine Differenzierungskriterien erkennbar, die für diese Betroffenen eine Ausnahmeregelung rechtfertigen könnten". Ungerechtfertigt sei es, den "Erwerb eines Grundstücks mit einem Einfamilienhaus, ... mit einem Zweifamilienhaus" sowie den "Erwerb einer Eigentumswohnung" unter bestimmten Voraussetzungen von der Grunderwerbsteuer zu befreien (vgl. § 1 des Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen vom 11. Juli 1977, BGBl I 1977, 1213, BStBl I 1977, 360 - GrEStEigWoG -), den Erwerb eines Mehrfamilienhauses dagegen nicht. Ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung sei "weder in der unterschiedlichen Gestaltung als Mehrfamilienhaus bzw. als Ein-/Zweifamilienhaus oder Eigentumswohnung zu sehen", noch in der kurzzeitigen Eigennutzung.

Das Finanzgericht (FG) hat es durch Beschluß vom 27. September 1978 abgelehnt, die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids auszusetzen. An dessen Rechtmäßigkeit bestünden keine ernstlichen Zweifel. Die Tatsache, "daß es inzwischen eine fast unübersehbare Fülle von Grunderwerbsteuerbefreiungsvorschriften" gebe, mache die Grunderwerbsteuer noch nicht verfassungswidrig. Der Erwerb des bezeichneten Grundstücks habe daher "mangels einer Steuerbefreiungsmöglichkeit ... zur Grunderwerbsteuer herangezogen werden" müssen. Die Vollziehung des Bescheids habe auch nicht etwa für die Klägerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge. Das FG hat die Beschwerde zugelassen, weil es der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt.

Mit ihrer Beschwerde wiederholt die Beschwerdeführerin ihre Ansicht, die Erhebung der Grunderwerbsteuer verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Sie beruft sich für ihre Auffassung auf das "Gutachten der Steuerreformkommission 1971" (Schriftenreihe des Bundesministers der Finanzen - BdF -, Heft 17, S. 803- 808), auf die Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude (Bundesrats-Drucksache 110/77 - Beschluß - vom 1. April 1977 Nr. 3) sowie auf die Antwort des BdF Hans Matthöfer auf "Vorschläge des rheinland-pfälzischen Finanzministers Johann Wilhelm Gaddum ... zur Vereinfachung unseres komplizierten Steuersystems" in der Wochenzeitung "Die Zeit" (Nr. 30 vom 21. Juli 1978, S. 23 Spalten 1 und 2). Sie wiederholt ihren Antrag, die Vollziehung des angefochtenen Bescheids "bis zur Erledigung" ihrer Klage auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das FG hat es mit Recht abgelehnt, die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids auszusetzen. An dessen Rechtmäßigkeit bestehen keine ernstlichen Zweifel in dem Sinne, daß bei seiner überschlägigen Prüfung im Aussetzungsverfahren neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage träten, welche Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirkten (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - in der Auslegung, welche diese Vorschrift durch die an die Beschlüsse vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, und vom 30. Juni 1967 III B 21/66, BFHE 89, 92, BStBl III 1967, 533 anknüpfende ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - gefunden hat; vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 17.Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, 426, BStBl II 1978, 579).

Für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids spricht, daß der Kaufvertrag über ein inländisches (d. h. ein im Lande Nordrhein-Westfalen gelegenes) Grundstück der Grunderwerbsteuer unterliegt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des als Landesrecht fortgeltenden früheren Reichsgesetzes vom 29. März 1940, RGBl I, 585, mit den seitherigen Änderungen - GrEStG -), nicht durch eine besondere Vorschrift von der Besteuerung ausgenommen ist und - nach dem bisher erkennbaren Sachverhalt - die Steuer richtig festgesetzt worden ist (§ 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Nr. 1, § 13 Abs. 1 und 3 GrEStG).

Gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids spricht nicht, daß zahlreiche Erwerbsvorgänge unter bestimmten Voraussetzungen von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz ausgenommen sind, z. B. der Grundstückserwerb zur Schaffung von Wohnungen (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG und § 1 des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau - GrEStWoBauG -), zur Schaffung von öffentlichen Straßen, Plätzen und Grünanlagen (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG), für Zwecke des Naturschutzes und der Denkmalspflege (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG), aus Anlaß der kommunalen Neugliederung (§ 4 Abs. 1 Nr. 9 GrEStG), für wasser- und abfallwirtschaftliche Zwecke (§ 4 Abs. 1 Nr. 8 GrEStG), zu gemeinnützigen, mildtätigen und kirchlichen Zwecken (§ 1 des Gesetzes über Befreiung des Grunderwerbs zu gemeinnützigen, mildtätigen und kirchlichen Zwecken von der Grunderwerbsteuer vom 14. Juli 1964 - GrEStGemG -), zur Vermeidung einer Umlegung oder einer Enteignung (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 7 des Gesetzes über die Befreiung von der Grunderwerbsteuer bei Grunderwerb nach dem Bundesbaugesetz - GrEStBBauG -), zur Verbesserung der Agrarstruktur (§ 1 des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Siedlung - GrEStAgrG -) und der Wirtschaftsstruktur (§ 1 des Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung bei Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur - GrEStStrukturG -) sowie Rechtsvorgänge bei Änderung der Unternehmensform (§ 1 des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung bei Änderung der Unternehmensform - GrEStUFG -), ferner der Grundstückserwerb durch Vertriebene, Sowjetzonenflüchtlinge, Verfolgte und politische Häftlinge (§ 1 des Grunderwerbsteuer-Vertriebenengesetzes - GrEStVertrG -), durch einen Ehegatten bei Begründung der ehelichen Gütergemeinschaft (§ 3 Nr. 4 GrEStG), durch Personen, die mit dem Veräußerer in gerader Linie verwandt sind (§ 3 Nr. 6 GrEStG), der Grundstückserwerb von Todes wegen (§ 3 Nr. 2 GrEStG) und neuerdings der Erwerb eines Grundstücks mit einem Einfamilienhaus, der Erwerb eines Grundstücks mit einem Zweifamilienhaus und der Erwerb einer Eigentumswohnung (§ 1 GrEStEigWoG).

Durch die zahlreichen Ausnahmen von der Besteuerung verletzt der Gesetzgeber den allgemeinen Gleichheitssatz nicht, wenn die daraus folgende unterschiedliche Belastung von Rechtsvorgängen mit Grunderwerbsteuer auf sachgerechten (z. B. auf finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen oder steuertechnischen) Erwägungen beruht. Denn im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Sie endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also kein einleuchtender Grund mehr für die Ungleichbehandlung besteht (vgl. statt vieler Entscheidungen, Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 12. Oktober 1978 2 BvR 154/74, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe B (Eildienst) 1979 S. 27, 31 - DStZ B 1979, 27, 31 -, mit weiteren Nachweisen).

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß infolge der zahlreichen Befreiungsvorschriften inzwischen schätzungsweise 85 v. H. aller von den Grunderwerbsteuerstellen der FÄ zu bearbeitenden Steuerfälle steuerfrei sind und schätzungsweise 75 bis 85 v. H. des Aufkommens, das bei der Besteuerung aller unter das Grunderwerbsteuergesetz fallenden Erwerbsvorgänge erzielt werden würde, ausfallen. Denn das verbleibende Aufkommen aus der Grunderwerbsteuer ist noch so hoch (für 1977 auf 1 568 Mio DM, für 1978 auf 1 740 Mio DM, für 1979 auf 1 910 Mio DM geschätzt), daß es der Gesetzgeber für geboten halten konnte, diese Steuerquelle auszuschöpfen, zumal der damit verbundene Personalaufwand noch in einem vertretbaren Verhältnis zum Aufkommen aus der Grunderwerbsteuer steht (3,6 v. H. des 1977 erzielten Aufkommens). Auch das BVerfG ist in seinen zur Grunderwerbsteuer ergangenen Entscheidungen, z. B. im Beschluß vom 10. Juni 1963 1 BvR 345/61 (BVerfGE 16, 203, BStBl I 1963, 620) und in unveröffentlichten, im Vorprüfungsverfahren ergangenen Entscheidungen stillschweigend davon ausgegangen, daß die Erhebung von Grunderwerbsteuer nicht schon deshalb gegen den Gleichheitssatz verstößt und nichtig ist, weil die Erhebung von Grunderwerbsteuer zur Ausnahme, die Befreiung von ihr zur Regel geworden ist.

Die Frage, ob es rechts politisch vertretbar ist, den derzeit auf dem Gebiete des Grunderwerbsteuerrechts bestehenden Rechtszustand (gekennzeichnet durch starke Rechtszersplitterung und durch zahlreiche, von Land zu Land wesentlich voneinander abweichende Befreiungsvorschriften) aufrechtzuerhalten, und wie künftig die Besteuerung von Grundstücksumsätzen gestaltet werden sollte, hat der beschließende Senat nicht zu beantworten (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG). Dies ist Sache der politisch verantwortlichen Gremien. Diese haben entsprechende Überlegungen zur Reform des Rechts der Grunderwerbsteuer angestellt. Das zeigen der Grunderwerbsteuerbericht der Bundesregierung vom 8. Februar 1979 (Bundestags-Drucksache 8/2555), dessen Abschnitt 3.2. die oben angegebenen Zahlen entnommen sind, und die ihm vorausgegangenen Arbeiten der Steuerreformkommission.

Die Beschwerdeführerin meint in diesem Zusammenhang, § 1 GrEStEigWoG sei insoweit wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nichtig, als er zwar den Erwerb eines Grundstücks mit einem Einfamilienhaus, den Erwerb eines Grundstücks mit einem Zweifamilienhaus und den Erwerb einer Eigentumswohnung steuerfrei lasse, nicht aber den Erwerb eines Grundstücks mit einem Mehrfamilienhaus. Diese Ansicht teilt der beschließende Senat nicht. Die unterschiedliche grunderwerbsteuerrechtliche Behandlung beider Erwerbsvorgänge ist sachlich hinreichend gerechtfertigt durch die vermögenspolitischen, arbeitsmarktpolitischen, städtebaulichen und wohnungspolitischen Zielsetzungen, die näher dargelegt sind in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude (Bundestags-Drucksache 8/286 vom 14. April 1977 S. 11), ferner durch das Bestreben, die Grunderwerbsteuerbefreiungen beim Erwerb von Wohnraum zu vereinheitlichen (vgl. die erwähnte Bundestags-Drucksache 8/286 S. 17).

 

Fundstellen

Haufe-Index 72900

BStBl II 1979, 344

BFHE 1979, 235

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