Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Bedarf die Rücknahme der Klage zu ihrer Wirksamkeit der Einwilligung des Beklagten (§ 72 Abs. 1 Satz 2 FGO), so ist der Beklagte nicht verpflichtet, eine Erklärung darüber abzugeben, ob er einwillige oder es ablehne, dies zu tun.

Der Vorsitzende oder das Gericht sind nicht verpflichtet, eine ausdrückliche Erklärung des Beklagten herbeizuführen, wenn er auf die Nachricht von der Rücknahmeerklärung schweigt. Es genügt, wenn der Beklagte über die Rücknahmeerklärung unterrichtet und ihm Gelegenheit gegeben wurde, die Einwilligung zu erklären.

Wird gleichzeitig die Rücknahme der Klage und der Revision erklärt, so bezieht sich die Erklärung in der Regel nur hilfsweise auf die Rücknahme der Revision; bei einer solchen Erklärung besteht kein Bedingungsverhältnis.

 

Normenkette

FGO §§ 72, 76/1, §§ 121, 125

 

Tatbestand

Gegen das der Bevollmächtigten der Revisionsklägerin im Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) nach § 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) am 18. August 1966 zugestellte Urteil legte die Revisionsklägerin mit Schriftsatz vom 16. September 1966, der ausweislich des Eingangsstempels am 19. September 1966 beim FG eingegangen ist, Revision ein. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 1966 erklärte sie, sie nehme sowohl die Klagen als auch die Revision zurück. Durch Schreiben der Geschäftsstelle des Senats vom 4. November 1966 wurde das mit der Revision beklagte Finanzamt (FA) hiervon unterrichtet; die Behörde wurde gebeten, eine eventuelle Einwilligung in die Klagerücknahme bis zum 15. November 1966 zu erklären. Das FA gab eine Erklärung nicht ab. Die Revisionsklägerin wurde verständigt; sie äußerte sich nicht mehr.

 

Entscheidungsgründe

Das Verfahren wird eingestellt. Nach dem Beschluß des VI. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) VI R 107/66 vom 20. September 1966 (BFH 86, 811, BStBl III 1966, 680) bedarf es eines Einstellungsbeschlusses nicht, wenn der Revisionskläger die Revision zurückgenommen hat. Nach dieser Entscheidung kann der BFH das Verfahren jedoch einstellen, wenn er es für zweckmäßig hält. Der vom VI. Senat vertretenen Rechtsauffassung wird beigetreten. Im vorliegenden Falle ist es zweckmäßig, das Verfahren durch förmlichen Beschluß einzustellen.

Die Revisionsklägerin hat im Schriftsatz vom 27. Oktober 1966 erklärt, sie nehme sowohl die Klagen als auch die Revision gegen das Urteil des FG, das die beiden Klagen zu gemeinsamer Entscheidung verbunden hatte, zurück. Die Klagerücknahme ist auch noch in der Revisionsinstanz zulässig (§ 72 Abs. 1 Satz 1 FGO). Da das FA der Klagerücknahme nicht zugestimmt hat, ist die Rücknahme nicht wirksam geworden (vgl. Eyermann-Fröhler, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., § 92 Randziff. 6, 7; Klinger, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., § 92 B 2; Ziemer- Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 72 Randziff. 13). Der BFH ist daher gehindert, das Verfahren gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 121 FGO einzustellen.

Es besteht kein Anlaß, eine ausdrückliche Erklärung des FA darüber herbeizuführen, ob es seine Zustimmung zur Rücknahme der Klage verweigere. Der entgegengesetzten Ansicht von Ziemer- Birkholz (a. a. O., § 72 Randziff. 12), wonach es Sache des Vorsitzenden ist, eine ausdrückliche Erklärung des Beklagten herbeizuführen, der sich nicht geäußert hat, vermag der Senat nicht zu folgen. Es gibt keinen Rechtssatz, kraft dessen der Beklagte verpflichtet wäre, sich zu der Rücknahmeerklärung des Klägers zu äußern. Aus § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO ergibt sich nur, daß die Klagerücknahme unter gewissen Voraussetzungen mit Einwilligung des Beklagten möglich ist. Der Wortlaut der Bestimmung sagt nichts darüber, ob der Beklagte verpflichtet sei, eine Erklärung darüber abzugeben, daß er einwillige oder es ablehne, die Einwilligung zu erklären. Auch aus dem Zweck der Vorschrift kann eine solche Pflicht nicht abgeleitet werden. Das Prozeßverhältnis als solches unterliegt der Parteiherrschaft. Es ist - im Rahmen der hierfür geltenden Bestimmungen - Sache des zur Klageerhebung Berechtigten, ob er eine Klage einreichen, auf die Erhebung der Klage verzichten oder eine eingereichte Klage zurücknehmen will. Es steht aber auch im Belieben des Prozeßgegners, ob er in die Klagerücknahme in den Fällen des § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO einwilligen will. Da die Einwilligungserklärung sich nur auf das der Parteiherrschaft unterliegende Prozeßverhältnis bezieht, ist der Beklagte - mangels einer gesetzlichen Vorschrift - auch nicht verpflichtet, sich zu der Klagerücknahme zu äußern. Gibt er, nachdem ihm Gelegenheit zur äußerung gegeben wurde, eine Erklärung nicht ab, ist die Rücknahme im Falle des § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht wirksam geworden.

Da der Beklagte nicht verpflichtet ist, eine Erklärung abzugeben, können auch der Gerichtsvorsitzende oder das Gericht nicht verpflichtet sein, eine ausdrückliche Erklärung herbeizuführen, wenn der Beklagte auf die Nachricht von der Rücknahmeerklärung schweigt. Aus § 76 Abs. 2 FGO kann eine solche Pflicht nicht abgeleitet werden. Der aus dieser Bestimmung abzuleitenden allgemeinen Aufklärungspflicht ist genügt, wenn der Beklagte über die Klagerücknahme unterrichtet und ihm Gelegenheit gegeben wurde, die Einwilligung zu erklären. Dies ist im Streitfall geschehen. Dem FA ist im Revisionsverfahren zweimal Gelegenheit gegeben worden, sich zur Frage der Einwilligung in die Klagerücknahme zu äußern.

Die Einstellung des Verfahrens kann somit nur auf der Grundlage der zurückgenommenen Revision erfolgen. Unter den vorliegenden Umständen dient der Beschluß über die Einstellung des Verfahrens nach Rücknahme der Revision der Klarstellung der zwischen den Verfahrensbeteiligten bestehenden Rechtsverhältnisse, zumal das FG die Entscheidung des FA hinsichtlich der Anteilsbewertung zum 31. Dezember 1956 zugunsten der Revisionsklägerin geändert hat.

Die Rücknahme der Revision ist wirksam erfolgt. Sie bedurfte der Einwilligung des mit der Revision beklagten FA im Streitfalle nicht (§ 125 Abs. 1 Satz 2 FGO). Für die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung ist es unerheblich, ob die eingelegte Revision zulässig war; es braucht daher nicht geprüft zu werden, ob sie nach Ablauf der Revisionsfrist eingelegt wurde (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Die Rücknahmeerklärung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil sie unzulässigerweise (Klinger, a. a. O., § 92 B 2, § 140 A; Ziemer-Birkholz, a. a. O., § 72 Randziffer 18) an eine Bedingung geknüpft worden wäre. Es mag häufig nicht sinnvoll sein, die Erklärungen über die Rücknahme der Klage und der Revision gleichzeitig abzugeben, weil die (wirksame) Klagerücknahme die Rücknahme der Revision denkgesetzlich ausschließt (vgl. Eyermann- Fröhler, a. a. O., § 126 Randziff. 1). Durch die wirksame Klagerücknahme wird das Urteil des FG wirkungslos und der mit der Anfechtungsklage angefochtene Verwaltungsakt (ggf. in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat) unanfechtbar; für die Erklärung, die Revision werde zurückgenommen, ist in solchen Fällen kein Raum.

Solange jedoch nicht feststeht, ob der Beklagte der Klagerücknahme zustimmen wird, ist die Verbindung beider Rücknahmeerklärungen durchaus berechtigt. Bei einer solchen Erklärung besteht kein Bedingungsverhältnis. Wird gleichzeitig die Rücknahme der Klage und der Revision erklärt, so bezieht sich die Erklärung regelmäßig in erster Linie auf die Rücknahme der Klage (Beschluß des BFH IV 315/64 vom 28. Oktober 1966, BFH 87, 50, BStBl III 1966, 681) und nur hilfsweise auf die der Revision. Sachlich besteht kein Unterschied zu dem Fall, daß der Prozeßbeteiligte zunächst - mangels Einwilligung des Beklagten - erfolglos die Erklärung über die Rücknahme der Klage abgegeben hat und zeitlich danach erklärt, er nehme die Revision zurück.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412506

BStBl III 1967, 225

BFHE 1967, 559

BFHE 87, 559

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