Leitsatz (amtlich)

Innerdienstliche Schwierigkeiten durch Personalmangel des FA rechtfertigen bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Revisionskläger (FA) hat das Urteil des FG rechtzeitig mit der Revision angefochten, diese aber erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist begründet. Der Vertreter des Vorstehers des FA hat fristgerecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung folgendes vorgetragen:

Alle Termine würden zentral in ein Fristenbuch durch die erste Kanzleikraft (Chefsekretärin), einer älteren, langjährig erfahrenen und sehr zuverlässigen Kraft, eingetragen. Er erinnere sich, sie im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Streitsache an die OFD gebeten zu haben, die Revisionsfrist mit dem 22. Mai 1969 und die Revisionsbegründungsfrist zu notieren. Er habe in der Vorstellung, zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gesagt zu haben: einen Monat nach Ablauf der Revisionsfrist. Vielleicht durch ein Mißverständnis oder eine dazwischen gekommene anderweite Inanspruchnahme der Kanzleikraft sei wohl dieser Terminvermerk unterblieben; sie sei mangels genügender Kanzleikräfte überlastet, außerdem durch einen kritischen Gesundheitszustand (Operation wenige Tage später) belastet gewesen.

Der Vorsteher des FA sei seit sechs Wochen wiederholt krank und vom Dienst abwesend. Der dritte Sachgebietsleiter fehle wegen Krankheit seit vielen Monaten. Eine weitere Sachgebietsleiterstelle habe bisher nicht besetzt werden können. Die neue Personalbedarfsberechnung habe ein Soll von 10,56 Sachgebietsleitern bei einem Ist von sechs Sachgebietsleitern ergeben. Die Bearbeitung der Sache sei einem jungen, dem Amt zur Aushilfe vorübergehend zugeteilten Kollegen übertragen worden. Dieser wie auch der Sachbearbeiter hätten sich auf die sonst übliche und immer rechtzeitige, in der Regel schriftliche Erinnerung der Kanzleikraft verlassen. Der Vertreter des FA-Vorstehers habe in der fraglichen Zeit neben seiner erheblichen Arbeitsbelastung auswärtige Termine zu besorgen gehabt. Der Vorfall dürfe dem Sachverhalt des Beschlusses des BFH VII B 17/68 vom 11. Dezember 1968 (BFH 94, 433, BStBl II 1969, 190) gleichen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision wird als unzulässig verworfen (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO), weil sie nicht innerhalb der nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO vorgeschriebenen Frist begründet worden ist und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben werden kann.

Nach § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Bei Fristversäumnissen der FÄ ist die Schuldfrage nach gleichen Grundsätzen zu beurteilen wie bei Steuerpflichtigen. Die großzügigeren Grundsätze, die wegen der besonderen Verhältnisse für Rechtsanwälte und Angehörige der steuerberatenden Berufe gelten, wenn die Fristversäumnis trotz eines ordnungsmäßig organisierten Büros von Angestellten verschuldet worden ist, sind bei einem FA ebensowenig wie bei einem Steuerpflichtigen anwendbar. Deshalb kann sich das FA im vorliegenden Fall nicht auf den Beschluß des BFH VII B 17/68, a. a. O., berufen. Wenn auch einem Steuerpflichtigen, der nach Sachlage wichtige Fristen nicht persönlich überwachen kann und sich dazu Angestellter bedienen muß, und ebenso dem Vorsteher eines FA nicht stets das Verschulden eines Angestellten wie eigenes Verschulden zuzurechnen ist, so sind bei ihnen doch strengere Anforderungen an den Nachweis zu stellen, daß sie an der Fristversäumnis schuldlos sind. (Vgl. z. B. BFH-Beschlüsse I 63/60 U vom 10. Oktober 1961, BFH 73, 795, BStBl III 1961, 555; I R 55/67 vom 23. August 1967, BFH 90, 93, BStBl III 1967, 785, und V R 100/68 vom 13. Februar 1969, BFH 94, 569, BStBl III 1969, 263.)

Nach diesen Rechtsgrundsätzen kann der Wiedereinsetzungsantrag keinen Erfolg haben. Der BFH hat bereits wiederholt entschieden, daß innerbehördliche Schwierigkeiten keinen Entschuldigungsgrund darstellen (vgl. z. B. Beschlüsse I R 55/67, a. a. O., mit weiteren Nachweisen, und V R 100/68, a. a. O.). Das gilt auch für Schwierigkeiten durch Personalmangel, wie im Streitfall durch den Mangel an Sachgebietsleitern und Kanzleikräften. Arbeitsüberlastung ist allgemein kein Entschuldigungsgrund (vgl. BFH-Urteile IV 96/59 U vom 3. August 1961, BFH 73, 761, BStBl III 1961, 542, und I 72/63 vom 31. Juli 1963, HFR 1964, 168). Sie kann allenfalls einen Antrag auf Fristverlängerung rechtfertigen. Im vorliegenden Fall gab der Arbeitskräftemangel und die daraus folgende Übertragung der Sachbearbeitung an einen noch jungen, aushilfsweise eingesetzten Sachgebietsleiter Anlaß zu besonderer Vorsicht. Auch durften sich der FA-Vorsteher bzw. sein ständiger Vertreter ebenso wie der zuständige Sachgebietsleiter nicht auf die Zuverlässigkeit der ersten Kanzleikraft, der die Fristenkontrolle oblag, verlassen, die, wie vorgetragen, mangels genügender Kanzleikräfte bereits überlastet war und dazu unter dem Druck eines kritischen Gesundheitszustandes und einer unmittelbar bevorstehenden Operation tätig war. Schließlich scheint auch nach der Darstellung des FA nicht sicher festzustehen, daß diese Kanzleikraft auch über das Ende der (versäumten) Revisionsbegründungsfrist so genau wie hinsichtlich der (gewahrten) Revisionsfrist unterrichtet worden ist. Nach dem Gesamtbild hat das FA die ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt eines gewissenhaften und sachgemäß Prozeßführenden nicht gewahrt (BFH-Beschluß V R 100/68, a. a. O.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 68706

BStBl II 1970, 14

BFHE 1969, 557

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