Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung bei versäumter Revisionsfrist; Aussetzung der Vollziehung

 

Leitsatz (NV)

1. Wird die versäumte Rechtshandlung nachgeholt, sind innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsbegehrens vorzutragen.

2. Nimmt der Prozeßbevollmächtigte tatsächlich Aufgaben als Prozeßvertreter wahr, so kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mit dem Hinweis begehrt werden, daß der Arzt dem Prozeßbevollmächtigten äußerste Schonung angeraten habe.

3. Mit der Zulassung der Revision entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Nichtzulassungsbeschwerde.

4. Eine Aussetzung der Vollziehung eines wegen verspäteter Revisionseinlegung bestandskräftig gewordenen Steuerbescheids ist grundsätzlich ausgeschlossen.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 69, 115 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) teilweise abgewiesen und die Revision zugelassen. Das Urteil wurde ausweislich Empfangsbekenntnis dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 12. August 1993 zugestellt. Nach Nr. 1 Satz 3 der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung war "die Revision ... beim Finanzgericht ... innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich einzulegen". Mit einem an den Bundesfinanzhof (BFH) adressierten Telefax, datierend vom 10. September 1993, eingegangen am BFH am 12. September 1993, legte der Klägervertreter gegen das Urteil Revision, hilfsweise Nichtzulassungsbeschwerde ein. Das Revisionsschreiben wurde an das FG weitergeleitet, wo es am 17. September 1993 einging. Mit Schreiben vom 14. September 1993 wurde der Klägervertreter unter Hinweis auf § 120 der Finanzgerichtsordnung (FGO) von der Abgabe an das FG unterrichtet. Mit Telefax, eingegangen beim BFH am 8. Oktober 1993, wurden die Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde begründet.

Mit Schreiben vom 27. Oktober 1993, zugestellt am 3. November 1993, wurde der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin auf die verspätete Revisionseinlegung und § 56 FGO hingewiesen. Mit Schreiben vom 20. November 1993, eingegangen beim BFH am 23. November 1993, beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, daß ihr Prozeßbevollmächtigter lebensgefährlich erkrankt und daher nicht in der Lage gewesen sei, die Anschrift auf dem Revisionsschriftsatz zu überprüfen. Gleichzeitig wurde eine Bescheinigung eines Arztes vom 10. September 1993 vorgelegt, wonach der Prozeßbevollmächtigte vom 10. bis 16. September 1993 dienstunfähig gewesen sei. Zugleich bat der Klägervertreter, die verspätete Stellungnahme zum Schreiben des Vorsitzenden des Senats vom 27. Oktober 1993 zu entschuldigen, weil er eine Herzklinik habe aufsuchen und auf Empfehlung des dortigen Chefarztes sich äußerster Schonung habe befleißigen müssen.

Die Klägerin beantragt ferner mit Schreiben vom 24. November 1993 Aussetzung der Vollziehung.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte, Beschwerdegegner und Antragsgegner (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

A) Die Revision ist unzulässig und daher gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen. Sie wurde verspätet eingelegt.

1. Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen. Diese Frist ist versäumt worden. Das Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ausweislich Empfangsbekenntnis am 12. August 1993 zugestellt. Die einmonatige Revisionsfrist lief gemäß § 54 Abs. 1 und 2 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), § 222 Abs. 2 ZPO am 13. September 1993 ab. Der Revisionsschriftsatz ging jedoch erst am 17. September 1993 beim FG ein.

2. Der Klägerin kann nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Ist innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachgeholt worden, so kann allerdings Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO). Unterstellt man zugunsten der Klägerin, daß die Rechtshandlung bereits vor Wegfall des Hindernisses nachgeholt werden kann (s. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 56 Rdnr. 56), so sind innerhalb der Frist jedoch die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsbegehrens vorzutragen (vgl. BFH-Beschluß vom 1. Juni 1992 V B 57/92, BFH/NV 1993, 249 m. w. N.). Diese Frist ist nicht gewahrt. Geht man -- wiederum zugunsten der Klägerin -- davon aus, daß ihrem Prozeßbevollmächtigten, dessen Verschulden sie sich zurechnen lassen muß (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO), infolge einer Erkrankung in der Zeit vom 10. bis 16. September 1993 eine ordnungsgemäße Adressierung der Revision nicht möglich gewesen ist und dieser von der -- krankheitsbedingten -- falschen Adressierung erst durch Schreiben des Vorsitzenden des Senats vom 27. Oktober 1993, zugestellt am 3. November 1993, in Kenntnis gesetzt worden ist, so ist die Frist für die Begründung der Wiedereinsetzung am 18. November 1993 abgelaufen. Tatsächlich ist die Begründung für die Wiedereinsetzung im Schriftsatz vom 20. November 1993 beim BFH erst am 23. November 1993 eingegangen.

Eine Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist scheidet ebenfalls aus. Die verspätete Beantwortung des Schreibens des Vorsitzenden des Senats vom 27. Oktober 1993 wird ausschließlich damit begründet, daß der Prozeßbevollmächtigte eine Herzklinik habe aufsuchen und sich auf ärztlichen Rat äußerster Schonung habe befleißigen müssen. Damit läßt nicht einmal die Klägerin selbst vortragen, daß ihr Prozeßbevollmächtigter an der tatsächlichen Wahrnehmung beruflicher Aufgaben oder ggf. an der bei anhaltender Erkrankung gebotenen Bestellung eines Vertreters (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 22. Juli 1991 III B 22/91, BFH/NV 1992, 257) gehindert gewesen sein sollte. Im übrigen verdeutlicht das Schreiben des Prozeßbevollmächtigten vom 20. November 1993, daß dieser durchaus zur tatsächlichen Ausübung seiner Anwaltstätigkeit in der Lage gewesen ist.

B) Für die gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO binnen Monatsfrist beim FG einzulegende Nichtzulassungsbeschwerde gilt das zu A Gesagte entsprechend. Im übrigen fehlt für die Nichtzulassungsbeschwerde das Rechtsschutzbedürfnis, da das FG die Revision zugelassen hat. Aus diesem Grund scheidet auch eine Abgabe der Nichtzulassungsbeschwerde an das FG zum Zweck der Herbeiführung einer evtl. Abhilfeentscheidung nach § 130 FGO aus.

C) Infolge der verspäteten Revisionseinlegung kann auch der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung keinen Erfolg haben.

Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll eine Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Eine Aussetzung der Vollziehung eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes ist jedoch ausgeschlossen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25. Februar 1993 I S 2/92, BFH/NV 1993, 674 m. w. N., und vom 20. April 1993 IV S 1/93, BFH/NV 1993, 556). Mit Verwerfung der Revision ist das Urteil des FG rechtskräftig geworden. Eine Überprüfung des Bescheides ist nicht mehr möglich. Es kann dahinstehen, ob die Vollziehung für die Zeit bis zum Ergehen der Hauptsacheentscheidung hätte ausgesetzt werden können. Die Aussetzung der Vollziehung wäre abzulehnen gewesen, da die Revision erkennbar keine Erfolgsaussichten gehabt hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419804

BFH/NV 1995, 121

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