Entscheidungsstichwort (Thema)

Mangelnde Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage

 

Leitsatz (NV)

Kommt es für die Entscheidung des Streitfalls auf die dargelegte Rechtsfrage nicht an, so hat die wegen grundsätzlicher Bedeutung eingelegte NZB wegen mangelnder Klärungsfähigkeit keinen Erfolg. Das Gericht ist nicht befugt, eine andere als die in der Beschwerdeschrift bezeichnete Rechtsfrage auf ihre grundsätzliche Bedeutung hin zu untersuchen.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) übernahm von X (Verkäufer und Vorpächter) gemäß Vertrag vom 7. Juli 1990 zum 31. Juli 1990 die Einrichtung, den Warenbestand und das Personal einer von diesem betriebenen Speisewirtschaft zu einem Preis von ... DM zuzüglich Umsatzsteuer. In dem Vertrag war außerdem vereinbart, daß der Käufer mit dem Hausbesitzer, einer Brauerei, einen neuen Mietvertrag über die Räumlichkeiten des Lokals abschließen und der Verkäufer einer Umschreibung des Mietvertrags zustimmen wird. Mit Vertrag vom 16. Juli 1990 pachteten der Kläger und sein Bruder das Lokal von der Brauerei ab 1. August 1990 und führten es in der Folgezeit in der Rechtsform einer mündlich vereinbarten Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR).

Mit Bescheid vom ... nahm der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) den Kläger gemäß § 75 der Abgabenordnung (AO 1977) für Betriebssteuerrückstände des Vorpächters in Höhe von ... DM in Haftung. Im Einspruchsverfahren setzte das FA die Haftungssumme auf ... DM herab; im übrigen blieb der Einspruch ohne Erfolg.

Der hiergegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) statt. Es hielt den Haftungstatbestand des § 75 AO 1977 nicht für erfüllt, weil nicht alle wesentlichen Grundlagen des Speiselokals auf den Kläger übergegangen seien. Zwar habe er vom Vorpächter die Einrichtung des Lokals erworben und sei von diesem auch in die Lage versetzt worden, mit dem Verpächter einen neuen Pachtvertrag über das Lokal abzuschließen, jedoch sei die Nutzungsmöglichkeit der Betriebsräume aufgrund des mit dem Verpächter abgeschlossenen Vertrags vom 16. Juli 1990 tatsächlich nicht auf den Kläger, sondern auf die GbR übergegangen. Damit bestehe keine Identität zwischen dem Nutzungsberechtigten an den Betriebsräumen (GbR) und dem Eigentümer der Einrichtung (Kläger). Dabei spiele es keine Rolle, daß der Kläger zugleich Gesellschafter der GbR sei, denn bei Gesellschaft und Gesellschafter handele es sich um von der Rechtsordnung als verschieden anerkannte Rechtssubjekte. Der bloße Erwerb der Gaststätteneinrichtung durch den Kläger reiche für eine Haftung nach § 75 AO 1977 nicht aus. Der Umstand, daß der Kläger sich dem Vorpächter gegenüber verpflichtete, einen neuen Pachtvertrag mit dem Hausbesitzer abzuschließen, könne zu keiner anderen Beurteilung führen.

Mit seiner Beschwerde begehrt das FA die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Grundsätzliche Bedeutung komme der Frage zu, wie der Begriff der wirtschaftlichen Übereignung im Rahmen des § 75 AO 1977 für den Fall auszulegen bzw. zu würdigen sei, daß nicht alle Wirtschaftsgüter im Eigentum des Veräußerers ständen und der Erwerber die gegebene Möglichkeit der Fortführung des Betriebs nicht nutze, sondern

a) die erworbenen Wirtschaftsgüter an einen Dritten veräußere und auch die durch Mitwirkung des Veräußerers erlangte Befugnis für die Fortführung des bisherigen Miet- und Pachtvertrags an den betrieblichen Räumlichkeiten an den Zweiterwerber weitergebe oder abtrete oder

b) diese Wirtschaftsgüter sowie die Pachtoption in eine neu gegründete Gesellschaft einbringe, so daß diese in die Lage versetzt werde, den Pachtvertrag mit dem bisherigen Verpächter abzuschließen.

Das FG vermenge bei seinem sehr engen Standpunkt Sachverhalte zwischen Erst- und Zweiterwerber und habe übersehen, daß auch wirtschaftliche Anwartschaftsrechte (Befugnis zum Eingehen eines Pachtvertrags) übertragen werden könnten, denn auf den Zweck des Erwerbs komme es nach der Rechtsprechung nicht an. Der Tatbestand des § 75 AO 1977 dürfe in solchen Fällen nicht eng ausgelegt werden, weil sonst nur noch in eingeschränktem Umfang die Möglichkeit bestünde, auf diesem Wege den Steueranspruch, dessen Sicherung ein sehr hohes Rechtsgut sei, geltend zu machen. In der Praxis würden immer mehr atypische Vertragsgestaltungen bewußt gewählt, um eine Haftung nach § 75 AO 1977 zu vermeiden, obwohl es sich bei Würdigung des wirtschaftlichen Inhalts um ausgesprochene Fälle von Gesamtbetriebsvermögen handele. Eine Klärung der Rechtsunsicherheit, wie solche Vereinbarungen zu werten seien, würde die Rechtsanwendung durch die Finanzverwaltung erheblich erleichtern.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet; die vom FA aufgeworfene Rechtsfrage ist in dem begehrten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), wenn in dem zuzulassenden Revisionsverfahren eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605), die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. die Hinweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 115 Anm. 8 ff.). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen muß in der Beschwerdeschrift schlüssig und substantiiert dargelegt werden. Dazu ist es erforderlich, daß eine bestimmte Rechtsfrage aufgeworfen und dargelegt wird, weshalb von ihrer Beantwortung die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (vgl. Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulas- sungsbeschwerde im Steuerprozeß, 1986, Rdnr. 135 und 149). Daran fehlt es im Streitfall.

Zwar hat das FA in der Beschwerdeschrift eine Rechtsfrage zum Haftungstatbestand des § 75 AO 1977 aufgeworfen und hierzu möglicherweise in ausreichendem Maße, was letztlich aber offen bleiben kann, dargelegt, daß die Klärung dieser Frage im Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und der Handhabung des Rechts liegt. Es ist jedoch nicht dargetan, daß es für die Entscheidung des Streitfalls auf diese Rechtsfrage ankommt. Bereits die Unterteilung der Rechtsfrage in die Alternativen a) und b), die sich schon tatbestandlich gegenseitig ausschließen, macht deutlich, daß zumindest eine dieser Fallgestaltungen an dem konkret zur Entscheidung stehenden Lebenssachverhalt vorbeigeht und somit nur als theoretische Fragestellung aufgeworfen sein kann. Tatsächlich sind beide Alternativen nicht entscheidungserheblich, und das FG hat darüber auch nicht entschieden.

Hinsichtlich der Alternative a) hat das FA zunächst nicht dargetan, inwiefern der Kläger die erworbenen Wirtschaftsgüter an einen Dritten veräußert hat. Das FG hat nämlich nicht festgestellt, daß der Kläger die vom Verkäufer erworbenen Wirtschaftsgüter (Einrichtung des Lokals, Warenbestand usw.) an einen Dritten (hier wohl die GbR) veräußert oder sie etwa im Sinne der Alternative b) in die neu gegründete GbR eingebracht hat. Das FG ist vielmehr bei seiner Entscheidung im Einklang mit dem Vorbringen des Klägers davon ausgegangen, daß der Kläger das Inventar und die übrigen Güter vom Verkäufer zum wirtschaftlichen Alleineigentum erworben hat und auch in der Folge alleiniger wirtschaftlicher Eigentümer dieser Gegenstände geblieben ist. Damit scheidet eine Veräußerung dieser Güter an die GbR oder eine sonstige rechtliche Zuordnung zur GbR aus.

Des weiteren hat das FA auch nicht verdeutlicht, inwiefern der Kläger die durch Mitwirkung des Veräußerers erlangte Befugnis für Fortführung des bisherigen Miet- und Pachtvertrags an den betrieblichen Räumlichkeiten an die GbR weitergegeben oder abgetreten (Alternative a) bzw. diese Pachtoption in die neu gegründete GbR eingebracht haben soll (Alternative b). Die Befugnis zur Fortführung eines Miet- oder Pachtvertrags kann entsprechend einem Grundgedanken des deutschen Vertragsrechts, das Verträge zu Lasten Dritter nicht anerkennt, einem Interessenten nur durch den Vermieter/Verpächter des Objekts rechtsgültig eingeräumt werden. Zur Wirksamkeit eines entsprechenden Handelns des Vormieters/Vorpächters ist demgemäß die Zustimmung des Vermieters/Verpächters i.S. des § 182 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) erforderlich (vgl. Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 52. Aufl. 1993, § 549 Rz. 23 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Im Streitfall wurde nach den Feststellungen des FG lediglich zwischen dem Vorpächter/Vormieter und dem Kläger vereinbart, daß der Kläger mit dem Verpächter/Vermieter einen neuen Mietvertrag abschließt und der bisherige Pächter/Mieter der Umschreibung zustimmen wird. Allein dadurch ist eine Verpflichtung des Verpächters gegenüber dem Kläger zum Abschluß eines neuen Pachtvertrags nicht begründet worden. Entsprechend kann der Kläger auch keine Pachtoption im Sinne des Vorbringens des FA erworben haben. Die Vereinbarung zwischen dem Vorpächter und dem Kläger ist, wie das FG zutreffend erkannt hat, insoweit lediglich als Verpflichtung des Klägers gegenüber dem Vorpächter zu werten, mit dem Verpächter einen neuen Pachtvertrag abzuschließen, sowie - umgekehrt - als Verpflichtung des Vorpächters gegenüber dem Kläger, dieser Vertragsumschreibung zuzustimmen. Nur insoweit hat der Kläger dem Vorpächter gegenüber eine Befugnis erlangt. Das ist aber keine, wie das FA vorbringt, durch Mitwirkung des Veräußerers (Vorpächter) erlangte Befugnis (gegenüber dem Verpächter) zur Fortführung des bisherigen Miet- und Pachtvertrags an den betrieblichen Räumlichkeiten und damit auch keine Anwartschaft, die der Kläger etwa an die GbR hätte weitergeben oder abtreten oder sonst in diese hätte einbringen können.

Tatsächlich hat das FG über eine andere Rechtsfrage entschieden, nämlich, daß eine Haftung des Erwerbers eines verpachteten Lokals nach § 75 AO 1977 dann ausscheidet, wenn der neue Pachtvertrag nicht mit dem Erwerber des Lokals, sondern mit einer GbR zustandegekommen ist, an der der Erwerber allerdings als Gesellschafter beteiligt ist. Es kann dahinstehen, ob diese Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat und wie sie gegebenenfalls zu entscheiden wäre, denn das mit der Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung angerufene Gericht darf nur die in der Beschwerdeschrift bezeichneten Rechtsfragen auf ihre grundsätzliche Bedeutung untersuchen (BFH-Beschlüsse vom 6. August 1986 II B 53/86, BFHE 147, 219, BStBl II 1986, 858; vom 7. Juni 1989 II B 4/89, BFH/NV 1990, 235).

 

Fundstellen

Haufe-Index 419728

BFH/NV 1994, 873

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