Leitsatz

Bestreitet der Steuerpflichtige nicht den Zugang eines schriftlichen Verwaltungsakts überhaupt, sondern nur den Erhalt innerhalb des Drei-Tages-Zeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Drei-Tages-Vermutung zu begründen. Hierzu muss er Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post ernstlich in Betracht zu ziehen ist.

 

Sachverhalt

Im Streitfall wurde die Einspruchsentscheidung am Freitag, den 23.3.2018 zur Post gegeben. Dagegen richtete sich die am Freitag, den 27.4.2018 beim FG eingegangene, durch die Prozessbevollmächtigte der Steuerpflichtigen eingelegte Klage. Das FG wies die Prozessbevollmächtigte darauf hin, dass die Klage wegen der Überschreitung der einmonatigen Klagefrist unzulässig sein könnte, weil die Klage erst am Freitag, den 27.4.2018 bei Gericht eingelegt worden sei, die Einspruchsentscheidung aber ausweislich der Akten am Freitag, den 23.3.2018 zur Post gegeben worden und damit nach drei Tagen am Montag, den 26.3.2018 als bekanntgegeben gelte. Diese erwiderte, dass die Einspruchsentscheidung erst am Mittwoch den 28. März 2018 bei ihr eingegangen sei. Nachweisen könne sie den späteren Zugang durch den von ihr auf der Einspruchsentscheidung angebrachten Eingangsstempel.

 

Entscheidung

Das FG wies die Klage als unzulässig zurück. Die Regelung des § 122 Abs. 2 AO fingiert den Zugang eines mit der Post übermittelten Verwaltungsakts am dritten Tag nach dessen Aufgabe zur Post. Die Vorschrift enthält eine an den Tag der Aufgabe des Verwaltungsaktes zur Post anknüpfende Zugangsvermutung und darüber hinaus eine Zugangsfiktion. Bestreitet die Steuerpflichtige nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern den Erhalt innerhalb des Drei-Tages-Zeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Drei-Tages-Vermutung zu begründen. Hierzu muss er Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post ernstlich in Betracht zu ziehen ist. Zu einem substantiierten, auf einen verspäteten Zugang hindeutenden Tatsachenvortrag kann etwa die Vorlage des betreffenden Briefumschlags des übersendeten Verwaltungsakts dienen. Die Steuerpflichtige bzw. ihre Prozessbevollmächtigte hat die Verpflichtung zur Beweisvorsorge, wenn der Adressat einen atypisch langen Postlauf anhand des Poststempels oder des Bescheiddatums hätte erkennen können. Zur konkreten Begründung von Zweifeln am Zugang innerhalb dieser Drei-Tages-Frist reicht dagegen ein abweichender Eingangsvermerk der Kanzlei der Prozessvertreterin der Steuerpflichtigen auf der Einspruchsentscheidung allein nicht aus. Denn mit diesem Stempel kann lediglich belegt werden, dass die Einspruchsentscheidung am Tag der Stempelung in die interne Bearbeitung der Steuerkanzlei gelangt ist. Er ist für sich allein jedoch noch kein Nachweis dafür, dass auch der Eingang des Schriftstücks an diesem Tag erfolgte. Auch eine als mögliche anwaltliche Versicherung zu wertende Erklärung der Prozessbevollmächtigten der Steuerpflichtigen im Verlauf des Klageverfahrens genügt zur Glaubhaftmachung des Zugangszeitpunkts eines Verwaltungsaktes dann nicht, wenn objektive Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten. Eine eidesstattliche Versicherung ist zur Glaubhaftmachung eines Sachverhalts nur geeignet, wenn zu diesem Zweck – außer der eigenen Erklärung des Antragstellers oder dritter Personen – keine weiteren Mittel der Glaubhaftmachung zur Verfügung stehen. Derartige "Mittel" hätten im entschiedenen Streitfall aber etwa mit der Führung eines Posteingangs- oder Fristenkontrollbuchs oder der Vorlage des Umschlags der Einspruchsentscheidung zur Verfügung gestanden.

 

Hinweis

Das FG stellte klar, dass ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung grundsätzlich eine unerlässliche Voraussetzung einer ordnungsmäßigen Büroorganisation zur Wahrung von Ausschlussfristen eines Prozessbevollmächtigten darstellt. Im Streitfall kam es zwar nicht auf ein "Verschulden" an, die Prozessbevollmächtigte der Steuerpflichtigen hatte sich aber durch das Fehlen dieser Aufzeichnungen einer weiteren Möglichkeit zum Nachweis eines atypischen Geschehensverlaufs bei der Anwendung der Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO beraubt. Das bloße Anbringen eines Eingangsstempels auf der Einspruchsentscheidung, die allgemeine Versicherung einer ordnungsgemäßen Büroorganisation und die Vorlage einer dahingehenden eidesstattlichen Versicherung einer Mitarbeiterin stellen in diesem besonderen Fall keine ausreichende Beweisvorsorge für das Vorliegen eines atypischen Geschehensverlaufs bei der Anwendung der Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 AO dar.

 

Link zur Entscheidung

FG München, Urteil v. 01.07.2020, 3 K 1239/18

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