Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung bei Krankheit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. In einem Tarifvertrag kann auch für fortbestehende Arbeitsverhältnisse eine Urlaubsabgeltungsregelung getroffen werden, wenn der Urlaub wegen der Krankheit des Arbeitnehmers nicht genommen werden kann.

2.Die Inanspruchnahme von Mutterschaftsurlaub ist einer Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit nicht gleichzustellen.

 

Orientierungssatz

Auslegung des Tarifvertrages für die bei der Deutschen Bundespost beschäftigten Arbeiter vom 6.1.1955.

 

Normenkette

TVG § 1; BUrlG §§ 3, 1, 7 Abs. 4, § 13 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 01.12.1982; Aktenzeichen 4 Sa 129/82)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 04.08.1982; Aktenzeichen 11 Ca 703/81)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist seit 1. November 1979 als Arbeiterin in einem Zustellpostamt der Beklagten mit einem Monatslohn von zuletzt 2.181,14 DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft Tarifbindung der Tarifvertrag für die bei der Deutschen Bundespost beschäftigten Arbeiter vom 6. Januar 1955 (TV Arb) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.

§ 23 TV Arb lautet auszugsweise:

"§ 23 Erholungsurlaub

1. Der Arbeiter erhält in jedem Urlaubsjahr einen

Erholungsurlaub. Urlaubsjahr ist der Zeitraum

vom 1. April bis 31. März.

...

10. Der Urlaub ist in dem Urlaubsjahr zu gewähren

und zu nehmen, für das der Urlaubsanspruch ent-

steht. Urlaub, der im Urlaubsjahr nicht oder

nicht voll gewährt oder genommen wurde, ist

spätestens bis zum 30. Juni des nächsten Ur-

laubsjahres anzutreten. Ist dies aus betrieb-

lichen Gründen oder wegen Arbeitsunfähigkeit

nicht möglich, verlängert sich die Frist bis

zum 30. September. Wird der Urlaub während der

Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. September nicht

angetreten, so ist er nach Absatz 13 bar abzu-

gelten.

...

(Abs. 4) Werdenden Müttern ist der zustehende

Urlaub auf Antrag vor Beginn der Schutzfrist nach

dem Mutterschutzgesetz zu gewähren.

...

13. Kann der Erholungsurlaub (einschließlich Zu-

satzurlaub für Schwerbehinderte) wegen Beendi-

gung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teil-

weise nicht mehr gewährt werden, so ist er bar

abzugelten. Dabei ist für jeden noch zustehen-

den, nach Arbeitstagen zu bemessenden Urlaubs-

tag 1/22, für jeden noch zustehenden, nach Werk-

tagen zu bemessenden Urlaubstag 1/26 des auf den

Lohnmonat entfallenden Zeitlohns (§ 14 Abs. 4 a)

sowie Zeitlohnzuschlag nach § 14 Abs. 9 zu zahlen.

...

17. ...

(Abs. 2) Der Urlaub kann auch während einer Er-

krankung genommen werden. In diesem Falle wird

für die Dauer des Urlaubs anstelle der Kranken-

bezüge der Urlaubslohn (Abs. 20) gezahlt."

Für die Zeit vom 24. November bis zum 28. Dezember 1980 waren für die Klägerin im Urlaubsplan 25 Tage Urlaub aus den Urlaubsjahren 1980/81 und 1979/80 eingetragen.

Die Klägerin war u. a. vom 9. September 1980 bis zum 24. November 1980, am 27. November und vom 1. Dezember 1980 bis zum 5. April 1981 arbeitsunfähig krank. Sie hat nach einer liegend ausgetragenen Schwangerschaft am 29. Mai 1981 entbunden und im Anschluß an die Schutzfrist nach § 6 Abs. 1 MuSchG bis zum 28. November 1981 Mutterschaftsurlaub genommen.

Die Beklagte hat sich geweigert, den Urlaubsanspruch der Klägerin abzugelten.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.100,13 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20. Januar 1982 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Verfahrensziel weiter. Die Klägerin bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Abgeltung des von ihr geltend gemachten Urlaubsanspruchs angenommen.

1. Auch wenn mit der Klägerin davon auszugehen ist, daß sie den ihr für die Urlaubsjahre 1979/80 und 1980/81 zustehenden Urlaub wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit vor ihrer Entbindung nicht hat nehmen können, scheidet ein Anspruch auf Zahlung einer Abgeltung nach § 23 Nr. 10 Abs. 1 Satz 4 TV Arb aus.

2. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe die von ihr geforderte Urlaubsabgeltung zu, weil nach § 23 Nr. 10 TV Arb ein Urlaub u. a. dann abzugelten sei, wenn seine Realisierung in Form von Freizeit wegen Arbeitsunfähigkeit nicht möglich gewesen sei.

3. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Nach § 23 Nr. 10 TV Arb ist Urlaub, der im Urlaubsjahr nicht oder nicht voll gewährt oder genommen werden kann, spätestens bis zum 30. Juni des nächsten Jahres anzutreten. Ist dies aus betrieblichen Gründen oder wegen Arbeitsunfähigkeit nicht möglich, verlängert sich die Frist bis zum 30. September. Nur wenn der Urlaub während der Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. September nicht angetreten wird, ist der Urlaub abzugelten. Der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 23 Nr. 10 TV Arb knüpft damit nicht an die Unmöglichkeit der Freizeitgewährung wegen der Arbeitsunfähigkeit an, wie das Landesarbeitsgericht meint, sondern macht den Anspruch davon abhängig, ob der Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. September seinen Urlaub nicht angetreten hat.

Mit dieser Regelung schließt § 23 Nr. 10 TV Arb an § 23 Nr. 17 Abs. 2 TV Arb an. Danach kann der Urlaub auch während einer Erkrankung genommen werden.

Gegen diese Bestimmungen bestehen jedenfalls insoweit Bedenken, als hierdurch dem Arbeitnehmer das Recht eingeräumt wird, auch bei Arbeitsunfähigkeit Urlaub zu nehmen und ihm in diesem Falle für die Dauer des Urlaubs anstelle der Krankenbezüge der Urlaubslohn gezahlt wird. Es entspricht inzwischen ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 39, 53 = AP Nr. 4 zu § 7 BUrlG Übertragung; zuletzt die Entscheidung des erkennenden Senats vom 30. Juli 1986 - 8 AZR 475/84 -, DB 1986, 2394, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt), daß der Urlaubsanspruch ein durch Gesetz bzw. durch Tarifvertrag bedingter Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber von aufgrund des Arbeitsverhältnisses entstehenden Arbeitspflichten ist. Damit ist ausgeschlossen, daß ein Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit Urlaub nimmt, weil die Erfüllung des Urlaubsanspruchs während dieser Zeit unmöglich ist (vgl. dazu auch Urteil des erkennenden Senats vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Entgegen dem Wortlaut der Tarifregelung wird dem Arbeitnehmer aufgrund dieser Vorschrift für die Zeit seiner Erkrankung nicht Urlaub, sondern das während seines Urlaubs weiterzuzahlende Arbeitsentgelt unter Anrechnung auf den Urlaubsanspruch gewährt. Dies kann, jedenfalls soweit der gesetzliche Urlaubsanspruch nach §§ 1, 3 BUrlG betroffen ist, gegen dessen Unabdingbarkeit nach § 13 Abs. 1 BUrlG verstoßen, weil der Arbeitnehmer bei Inanspruchnahme dieser Regelung seinen Urlaubsanspruch verliert.

Einer abschließenden Stellungnahme des erkennenden Senats hierzu bedarf es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht, weil der Klägerin ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung auch dann nicht zusteht, wenn von der Rechtswirksamkeit dieser Tarifregelungen ausgegangen wird.

4. Wird durch eine Tarifregelung ein Abgeltungsanspruch für einen Urlaubsanspruch eingeräumt, der wegen Arbeitsunfähigkeit und anschließenden Fristablaufs nicht genommen werden konnte, so ist dies grundsätzlich zulässig.

Eine solche Tarifregelung verstößt nicht gegen die Unabdingbarkeit des Urlaubsanspruchs nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, sondern geht vielmehr über die nach § 7 Abs. 4 BUrlG eröffnete Abgeltungsmöglichkeit hinaus. Sie schafft eine nach dem Bundesurlaubsgesetz nicht vorgesehene zusätzliche Leistung des Arbeitgebers als Ersatz für einen Urlaubsanspruch, der bereits wegen Zeitablaufs erloschen wäre. Dies hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts bereits in seinem Urteil vom 26. Mai 1983 (- 6 AZR 273/82 - AP Nr. 12 zu § 7 BUrlG Abgeltung) dargelegt. Der erkennende Senat tritt dieser Auffassung bei. Vorliegend soll der Urlaubsabgeltungsanspruch für einen Urlaubsanspruch gewährt werden, der während der Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. September, also dem endgültigen Erlöschen des Urlaubsanspruchs, nicht angetreten ist.

5. Die tariflichen Voraussetzungen für diesen Anspruch treffen jedoch auf die Klägerin nicht zu.

a) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann die Inanspruchnahme des Mutterschaftsurlaubs durch die Klägerin nicht der Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 23 Nr. 10 TV Arb gleichgestellt werden. Arbeitsunfähigkeit bedeutet die Unmöglichkeit für einen Arbeitnehmer, die ihm aufgrund seines Arbeitsverhältnisses obliegenden Leistungspflichten zu erfüllen. Diese Merkmale treffen für die Klägerin auch nach ihrem Vorbringen nicht zu.

b) Zu Unrecht meint das Landesarbeitsgericht, daß die Klägerin aufgrund der Folgen der Geburt ihres Kindes nicht in der Lage gewesen sei, ihren Urlaub bis zum 30. September anzutreten.

Nach Ablauf der Schutzfrist des § 6 Abs. 1 MuSchG hatte die Klägerin die Wahl, entweder ihre Tätigkeit als Arbeitnehmerin bei der Beklagten fortzusetzen und damit auch bis zum 30. September 1981 ihren Urlaub anzutreten oder ihren Anspruch auf Mutterschaftsurlaub nach § 8 d Abs. 1 MuSchG wahrzunehmen. Die Klägerin hat sich für die Inanspruchnahme des Mutterschaftsurlaubs entschieden. Daß sie damit nicht zugleich den ihr tarifvertraglich zustehenden Erholungsurlaub hat nehmen können, beruht auf ihrer Entscheidung, nicht auf den Folgen der Geburt des Kindes. Damit kann es entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht darauf ankommen, daß der Urlaub der Klägerin im Urlaubsplan vor ihrer Niederkunft festgelegt war und sie ihn wegen ihrer Krankheit nicht zu dieser Zeit nehmen konnte. Auch dies verhinderte nicht, daß der Urlaubsanspruch erlosch, weil sie den Urlaub nicht bis zum 30. September 1981 angetreten hatte.

c) Eine Gleichstellung von Arbeitsunfähigkeit und Inanspruchnahme von Mutterschaftsurlaub läßt sich auch nicht mit der Erwägung des Landesarbeitsgerichts begründen, es sei mit dem "Schutzcharakter der Mutterschutzbestimmungen nicht zu vereinbaren, wenn die Inanspruchnahme der Rechte aus diesen Bestimmungen zu einem Rechtsverlust in anderer Weise" führe.

Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Das Landesarbeitsgericht hat übersehen, daß die Inanspruchnahme von Mutterschaftsurlaub den Arbeitgeber berechtigt, nach § 8 d MuSchG (für den Rechtszustand ab 1. Januar 1986 vgl. § 17 Abs. 1 BErzGG) den Urlaub zu kürzen, gleichgültig, ob es sich um tariflichen oder gesetzlichen Urlaub handelt (vgl. dazu die Senatsentscheidung vom 24. April 1986 - 8 AZR 326/82 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt). Da der Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz und auch dem vorliegend zu beurteilenden Tarifvertrag ein befristeter Anspruch ist, erlischt der Anspruch, wenn der Urlaub nicht vor Fristablauf genommen wird. Dies ist für alle Arbeitnehmer maßgeblich. Ein Anspruchserhalt über das Ende der Befristung hinaus ist durch § 8 d MuSchG gesetzlich nicht gewährleistet (vgl. die Entscheidung des erkennenden Senats vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 498/84 - zur Veröffentlichung bestimmt). Anhaltspunkte, von dieser Auffassung für § 8 d MuSchG für den vorliegenden Fall abzuweichen, sind nicht ersichtlich (vgl. aber jetzt § 17 Abs. 2 BErzGG).

6. Soweit schließlich das Landesarbeitsgericht "seine Überzeugung" darlegt, es könne "nicht Wille der Tarifvertragsparteien gewesen sein, durch tarifvertragliche Regelung den bei der Beklagten beschäftigten Müttern den Urlaubsanspruch zu nehmen, die von Schutzrechten Gebrauch machen", verstößt das Landesarbeitsgericht gegen die Grundsätze der Tarifauslegung. Für die Auslegung von Tarifverträgen ist zwar - ausgehend vom Tarifwortlaut - auch der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mitzuberücksichtigen, dies aber nur dann, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen enthalten sind (BAG 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Hierfür hätte es verwertbarer Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts und eines entsprechenden Vortrags der Parteien bedurft. An beidem mangelt es. Der Hinweis des Landesarbeitsgerichts auf die Überzeugung des Gerichts kann diese für eine Beurteilung notwendigen Voraussetzungen nicht ersetzen.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer

Harnack Hannig

 

Fundstellen

Haufe-Index 441715

BAGE 53, 322-327 (LT1-2)

BAGE, 322

BB 1987, 903

BB 1987, 903-904 (LT1-2)

DB 1987, 1362-1362 (LT1-2)

JR 1987, 308

NZA 1987, 426-427 (LT1-2)

RdA 1987, 126

AP § 13 BUrlG (LT1-2), Nr 28

AR-Blattei, ES 1640 Nr 288 (LT1-2)

AR-Blattei, Urlaub Entsch 288 (LT1-2)

EzA § 13 BUrlG, Nr 29 (LT1-2)

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