Leitsatz

1. Um ein Auskunftsersuchen an andere Personen als die Beteiligten richten zu dürfen, muss entweder die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führen (Alternative 1) oder diese keinen Erfolg versprechen (Alternative 2).

2. Um eine Prognose zu den fehlenden Erfolgsaussichten einer Auskunft durch die Beteiligten machen zu können, bedarf es eines klar umrissenen und für die Besteuerung des Steuerpflichtigen erheblichen Sachverhalts; Ermittlungszweck und potentielles Ermittlungsergebnis müssen erkennbar sein.

 

Normenkette

§ 93 Abs. 1 Sätze 1 und 3, § 118 Satz 1 AO, § 100 Abs. 1 Satz 4, § 102 Satz 1 FGO

 

Sachverhalt

Der Kläger betrieb einen Handel mit Kraftfahrzeugen, insbesondere mit Gebrauchtwagen. Für die von ihm angekauften Fahrzeuge erstellte der Kläger in der Regel sog. PC-Ankaufscheine. Ausnahmsweise fertigte er sie auch handschriftlich aus.

Im Rahmen einer Außenprüfung stellte sich aufgrund von Anfragen an das Kraftfahrt-Bundesamt heraus, dass in einigen Fällen die Verkäufer der Fahrzeuge nicht deren letzte Halter gewesen waren. Damit konnten anhand der vom Kläger übergebenen Unterlagen die Lieferketten zwischen dem letzten Halter und dem Verkäufer nicht mehr nachvollzogen werden.

Da bestimmte Umsätze des Klägers mit Gebrauchtfahrzeugen als auffällig angesehen wurden, hielt es das FA für nötig, die letzten Halter um weitere Auskünfte zu bitten. Deshalb wurden Auskunftsersuchen an diese als Dritte gefertigt, um die Lieferbeziehungen in Bezug auf Fahrzeuge aufzuklären. Erst in dem hiergegen gerichteten Einspruchsverfahren wurde der Kläger – vergeblich – gebeten zu erklären, ob und wie die Geschäfte tatsächlich abgewickelt worden seien. Der Kläger vertrat die Auffassung, die Auskunftsersuchen seien für seine Besteuerung ohne Bedeutung. Einspruchs- und Klageverfahren blieben ohne Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.8.2018, 9 K 9099/16, Haufe-Index 12602495, EFG 2019, 313).

 

Entscheidung

Die Revision des Klägers war begründet. Der BFH urteilte, das FG habe zwar zutreffend das berechtigte Interesse des Klägers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auskunftsersuchen bejaht. Es fehlten jedoch notwendige Feststellungen dazu, ob das FA vor Erlass der Auskunftsersuchen bei seiner Prognose hinreichend erwogen hat, inwieweit die beabsichtigte Aufklärung des Sachverhalts durch den Kläger (offenkundig) keinen Erfolg versprechen würde. Deswegen wurde das Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen.

 

Hinweis

In diesem Urteil präzisiert der BFH die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit die Finanzverwaltung Auskunftsersuchen an Dritte richten kann.

1. Die Beteiligten und andere Personen müssen gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AO der Finanzbehörde die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte erteilen. ­Zunächst sind aber die Beteiligten zu Auskünften verpflichtet, denn nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AO sollen Dritte erst dann zur Auskunft angehalten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht. Dies unterscheidet die Befugnisse des FA von denen der Steuerfahndung, bei der die Subsidiaritätsklausel des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO ausdrücklich nicht gilt.

2. Steht nicht fest, dass der Beteiligte nicht mitwirken wird, darf die Finanzbehörde auf Grundlage des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO eine Auskunft bei Dritten ohne einen entsprechenden Versuch beim Beteiligten nur einholen, wenn die Erfolglosigkeit seiner Mitwirkung anzunehmen ist. Darauf kann eine Finanzbehörde aufgrund des bisherigen Verhaltens des Beteiligten bei konkret nachweisbaren Tatsachen im Rahmen einer vorweggenommenen Beweiswürdigung schließen.

3. Eine solche Erfolglosigkeit ist aber erst anzunehmen, wenn das FA bei seiner Prognoseentscheidung sicher und damit offenkundig zu dem Schluss kommen darf, dass eine Mitwirkung des Beteiligten, der eigentlich zunächst zu fragen wäre, keinen Erfolg haben wird. Demgegenüber ist es nicht ausreichend, eine solche (vorweggenommene) Beweiswürdigung schon dann als vertretbar anzusehen, wenn sie (nur) nicht willkürlich erfolgt ist.

4. Um eine solche Prognose zu den Erfolgsaussichten sachgerecht vornehmen zu können, bedarf es eines klar umrissenen und für die Besteuerung des Steuerpflichtigen erheblichen Sachverhalts. Denn nur so kann das Mitwirkungsverhalten und -ergebnis des Steuerpflichtigen eingeschätzt werden. Ermittlungen "ins Blaue hinein" sind unzulässig. Damit muss zumindest klar sein, was Ziel der Sachaufklärung der Finanzbehörde sein soll.

5. Daher hat die Finanzbehörde den Ermittlungszweck wie das potenzielle Ermittlungsergebnis im Rahmen seiner Prognose, die vor dem Erlass des Auskunftsersuchens vorzunehmen ist, so zu umreißen, dass die Erfolgsaussichten für eine Mitwirkung des Beteiligten eingeschätzt werden können. Andernfalls fehlt es bereits an der diese Prognose tragenden Tatsachengrundlage.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 28.10.2020 – X R 37/18

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