Leitsatz

1. Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung können nicht als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG abgezogen werden, wenn die Behandlung nach inländischen Maßstäben nicht mit dem ESchG oder anderen Gesetzen vereinbar ist.

2. Ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG liegt nicht vor, wenn zwar mehr als drei Eizellen befruchtet werden, aber lediglich ein oder zwei entwicklungsfähige Embryonen zum Zwecke der Übertragung entstehen sollen und der Behandlung eine vorherige sorgfältige individuelle Prognose zugrunde liegt (sog. deutscher Mittelweg).

 

Normenkette

§ 33 EStG, § 1 Abs. 1 Nrn. 3, 5 ESchG

 

Sachverhalt

Der Kläger leidet an einer sog. Subfertilität aufgrund einer Spermienanomalie, d.h. seine Spermien konnten nicht in eine Eizelle eindringen. Deshalb wurden der Ehefrau (E) des Klägers, mit der er damals noch nicht verheiratet war, Eizellen entnommen und mit Spermien des Klägers injiziert (intrazytoplasmatische Spermieninjektion – ICSI). Auf diese Weise wurden zunächst vier, bei einem zweiten Versuch sieben Eizellen befruchtet. Nach Durchführung der sog. Blastozystenkultur (extrakorporale Kultur während der ersten vier bis sechs Tage nach Vornahmen der ICSI) wurden E die jeweils verbliebenen zwei Embryonen eingesetzt. Die Behandlung fand in einer Klinik in Österreich statt.

In seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger die Behandlungskosten vergeblich als außergewöhnliche Belastungen geltend. Die nach ­erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hat das FG abgewiesen. Die Behandlung habe weder den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte noch den Vorgaben des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) entsprochen. Denn danach sei die Befruchtung von mehr als drei Eizellen innerhalb eines Zyklus verboten (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.4.2015, 8 K 1792/13).

 

Entscheidung

Auf die Revision des Klägers hob der BFH das angefochtene Urteil aus den in den Praxis-Hinweisen ausgeführten Gründen auf und verwies die Sache an das FG zurück.

 

Hinweis

1. Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung bei Sterilität werden vom BFH in ständiger Rechtsprechung als Krankheitskosten zum Abzug als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zugelassen, wenn die Behandlung in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird (BFH, Urteil vom 28.7.2005, III R 30/03, BFH/NV 2005, 2277; BFH, Urteil vom 10.5.2007, III R 47/05, BFH/NV 2007, 1968; BFH, Urteil vom 21.2.2008, III R 30/07, BFH/NV 2008, 1309; BFH, Urteil vom 16.12.2010, VI R 43/10, BFH/NV 2011, 684).

2. Voraussetzung ist weiter, dass die Behandlung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht. Denn eine nach nationalem Recht verbotene Heilbehandlung kann keinen zwangsläufigen Aufwand i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG begründen. Vielmehr ist von den Steuerpflichtigen zu erwarten, dass sie gesetzliche Verbote beachten. Aufwendungen für nach objektiv-rechtlichen Maßstäben verbotene Behandlungsmaßnahmen sind selbst dann nicht zwangsläufig, wenn sie nicht straf- oder bußgeldbewehrt sind oder wegen eines Strafausschließungsgrundes nicht geahndet werden. Als außergewöhnliche Belastungen sind daher Kosten für eine künstliche Befruchtung nur zu berücksichtigen, wenn die aufwandsbegründende Behandlung insbesondere nicht gegen das Embryonenschutzgesetz (ESchG) verstößt.

3. Das FG hat seiner Entscheidung zwar diesen Rechtsmaßstab zugrunde gelegt. Es hat aber zu Unrecht angenommen, § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG verbiete, mehr als drei Eizellen zu befruchten, ferner widerspreche die streitige ICSI den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte.

a) Nach der Muster-Richtlinie zur Durchführung der assistierenden Reproduktion der Bundesärztekammer dürfen maximal drei Embryonen "einzeitig" auf die Mutter übertragen werden. Verbindliche Regeln zur Höchstzahl der zu befruchtenden Eizellen finden sich dort nicht. Zwar ist in der Kommentierung hierzu u.a. ausgeführt, dass § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG es verbiete, mehr Eizellen zu befruchten, als einer Frau während eines Zyklus übertragen werden sollen. Deshalb sei es nicht zulässig, mehr als drei Eizellen zu befruchten. Diese Ausführungen sind jedoch nicht verbindlich und in die Richtlinien der Landesärztekammern auch nicht übernommen worden. Mithin ist die Schlussfolgerung des FG, eine Befruchtung von mehr als drei Eizellen stehe nicht mit den Richtlinien der Berufsordnung für Ärzte im Einklang, nicht zutreffend.

b) Auch § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG steht der Befruchtung von mehr als drei Eizellen nicht entgegen. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen.

Zwar dürfen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 ESchG innerhalb eines Zyklus nicht mehr als drei Embryonen auf eine Frau übertragen werden. Daraus folgt jedoch nicht, dass in einem Zyklus auch nur drei Eizellen befruchtet werden dürfen. Vielmehr erlaubt § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG dem Arzt, so viele Eizellen zu befruchten, wie nach seiner Beurteilu...

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