Leitsatz

1. Nimmt ein volljähriges Kind nach Erlangung eines ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine nicht unter § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG fallende Berufstätigkeit auf, erfordert § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, zwischen einer mehraktigen einheitlichen Erstausbildung mit daneben ­ausgeübter Erwerbstätigkeit und einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen.

2. Eine einheitliche Erstausbildung ist nicht mehr anzunehmen, wenn die von dem Kind aufgenommene Erwerbstätigkeit bei einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse bereits die hauptsächliche Tätigkeit bildet und sich die weiteren Ausbildungsmaßnahmen als eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen.

3. Im Rahmen der Gesamtwürdigung der Verhältnisse kommt es insbesondere darauf an, auf welche Dauer das Kind das Beschäftigungsverhältnis vereinbart hat, in welchem Umfang die vereinbarte Arbeitszeit die 20-Stundengrenze überschreitet, in welchem zeit­lichen Verhältnis die Arbeitstätigkeit und die Aus­bildungsmaßnahmen zueinander stehen, ob die ausgeübte Berufstätigkeit die durch den ersten Abschluss erlangte Qualifikation erfordert und inwieweit die Ausbildungsmaßnahmen und die Berufstätigkeit im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung und auf ihren Inhalt aufeinander abgestimmt sind.

4. Der für die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung notwendige sachliche Zusammenhang zwischen den einzelnen Ausbildungsabschnitten entfällt nicht notwendigerweise dadurch, dass der nachfolgende Ausbildungsabschnitt für die Zulassung zur Abschlussprüfung oder für deren Bestehen eine Berufstätigkeit voraussetzt.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3, § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist Mutter der 1993 geborenen T, die nach dem Abitur ein Bachelorstudium der Betriebswirtschaftslehre an einer Dualen Hochschule aufnahm und am 30.9.2015 mit Erfolg abschloss. Die praktische Ausbildung erfolgte aufgrund eines für den Zeitraum 1.10.2012 bis 30.9.2015 abgeschlossenen Studien‐ und Ausbildungsvertrages bei der X AG. Seit dem 1.10.2015 ist T bei der X AG vollzeitbeschäftigt.

Am 25.8.2015 hatte sich T für ein am 1.9.2015 beginnendes, auf fünf Semester angelegtes Masterstudium im Studiengang Wirtschaftspsychologie (Teilzeit) bei der A Hochschule angemeldet, das mit dem Master of Science abgeschlossen wird. Die Vorlesungen finden an einzelnen Wochentagen abends sowie teilweise auch am Samstag statt. Zulassungsvoraussetzung ist

  • ein Hochschulabschluss mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Anteil von mindestens 60 Leistungspunkten (= Credit Points) im Sinne des ECTS-Punktesystems (European Credit Transfer System) oder
  • ein Hochschulabschluss gleich welcher Fachrichtung und eine vor, während oder nach dem Erststudium gewonnene anderthalbjährige Berufserfahrung mit fachlichem Bezug zum Masterstudium. Ferner ist bei dieser Alternative der Brückenkurs BWL zu absolvieren und eine aktuelle Berufstätigkeit erforderlich.

Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab Oktober 2015 auf. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.1.2018, 6 K 3796/16, Haufe-Index 11844744).

 

Entscheidung

Die Revision der Familienkasse führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. Im zweiten Rechtsgang ist nach Maßgabe der "neuen" Kriterien zu würdigen, ob die Ausbildung oder die Erwerbstätigkeit im Vordergrund stand. Diese Würdigung ist Aufgabe der Tatsacheninstanz und nicht des Revisionsgerichts. Daher war an das FG zurückzuverweisen.

Der BFH bemerkt dazu, dass die bisher vom FG festgestellten Umstände eher für eine im Vordergrund ­stehende Berufstätigkeit sprechen, da das Arbeitsverhältnis eine Vollzeitbeschäftigung umfasste, die Vorlesungen dagegen nur am Abend und samstags ­stattfanden und das Masterstudium eine aktuelle Berufstätigkeit voraussetzte, also "berufsbegleitend" ausgelegt war.

 

Hinweis

Mit dem Besprechungsurteil korrigiert der BFH seine bisherige Rspr. zum Umfang der Erstausbildung, nach deren Abschluss eine Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden die Berücksichtigung als Kind ausschließt (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).

1. Im Falle einer dualen Ausbildung hatte der BFH im Jahr 2014 entschieden, dass mehrere Ausbildungsabschnitte zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammengefasst werden können, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann.

Vorausgesetzt wurde danach, dass die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (BFH, Urteil vom 3.7.2014, III R 52/13, BFH/NV 2014, 1941, BFH/PR 2015, 19, BStBl II 2015, 152).

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