Leitsatz

Die Abgabe der Steuererklärung ohne weitere Erläuterungen nach Erlass einer Vorbehaltsveranlagung (Schätzungsfall) innerhalb der Einspruchsfrist stellt einen Antrag auf Änderung des Schätzungsbescheides nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO dar. Der unter Vorbehalt der Nachprüfung gestellte Bescheid entfaltet weder formelle noch materielle Bestandskraft. Ein Änderungsantrag nach § 164 AO steht der Einlegung eines Einspruchs nicht subsidiär gegenüber.

 

Sachverhalt

Im Urteilsfall schätzte das Finanzamt wegen Nichtabgabe der Steuererklärung die Besteuerungsgrundlagen für 1998 unter Vorbehalt der Nachprüfung. Der Steuerpflichtige reichte innerhalb der Einspruchsfrist die Steuererklärung ein. Die Erklärung enthielt keine Angaben zu Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. In einem Anschreiben kündigte der Steuerpflichtige die Nachreichung von Belegen zu steuermindernden Sachverhalten an. Das Finanzamt hob im Schätzungsbescheid den Vorbehalt der Nachprüfung ohne Berücksichtigung der eingereichten Erklärung auf. Nachdem das Finanzamt diesen Fehler erkannt hatte, berichtigte es den Änderungsbescheid nach § 129 AO und wertete das Übersehen der Steuererklärung als offenbare Unrichtigkeit. Der Einspruch hatte keinen Erfolg, weil er trotz wiederholter Aufforderung nicht begründet wurde. Der Steuerpflichtige begehrte mit der Klage, die innerhalb der Einspruchsfrist eingereichte Steuererklärung als Einspruch gegen den Schätzungsbescheid zu werten. Im Rahmen der Gesamtaufrollung des Falls wäre nach Ansicht des Steuerpflichtigen eine Berücksichtigung der im Klageverfahren inzwischen vollständig abgegebenen Steuererklärung möglich.

 

Entscheidung

Nach Rechtsauffassung des FG ist die Abgabe der Steuererklärung regelmäßig als Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO zu werten, wenn die Steuererklärung ohne weitere Erläuterungen und innerhalb der Einspruchsfrist eines Schätzungsbescheides unter Vorbehalt der Nachprüfung eingereicht wird. Es obliegt dem Steuerpflichtigen, eine Vorbehaltsveranlagung durch einen Änderungsantrag nach § 164 AO, durch einen Einspruch oder durch einen Antrag auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO anzufechten. Während der Antrag auf schlichte Änderung aufgrund seines weniger effektiven Rechtsschutzes als subsidiär anzusehen ist, steht der Änderungsantrag nach § 164 AO dem Einspruch als gleichrangige Anfechtungsmöglichkeit gegenüber. Da der unter Vorbehalt der Nachprüfung stehende Bescheid nach Eintritt der Unanfechtbarkeit formell wie materiell in vollem Umfang überprüfbar bleibt, stellt der Antrag auf Änderung nach § 164 AO bei der Vorbehaltsveranlagung die Regel gegenüber einem Einspruch dar. Im Urteilsfall lagen keinerlei Hinweise auf die Anfechtung mittels Einspruchs vor. Die Vorlage der Steuererklärung ist mangels konkreter Anhaltspunkte als Änderungsantrag nach § 164 AO zu deuten. Die Aufhebung des Vorbehaltes bedarf keiner gesonderten Begründung. Die Nichtbeachtung der eingereichten Steuererklärung steht nach Ansicht des FG der Aufhebung des Vorbehaltes der Nachprüfung nicht entgegen. Hat der Steuerpflichtige einen Antrag auf Änderung nach § 164 AO gestellt und hebt das Finanzamt in der Folgezeit den Vorbehalt der Nachprüfung auf, ohne über den Antrag ausdrücklich zu entscheiden, ist die Aufhebung des Vorbehaltes als Ablehnung des Antrags anzusehen. Der Steuerpflichtige muss Einspruch gegen den geänderten Bescheid einlegen, da sein zuvor gestellter Änderungsantrag den Eintritt der uneingeschränkten Bestandskraft nicht hindert. Im Urteilsfall ist der Änderungsbescheid für 1998 unstreitig nicht angefochten worden und wurde bestandskräftig. Der Berichtigungsbescheid als auch der im Klageverfahren erlassene Änderungsbescheid ändern einen unanfechtbaren Steuerbescheid. Im Einspruchsverfahren gegen einen Änderungsbescheid ist folglich die Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO zu beachten. Eine weitere Änderung zugunsten des geänderten Steuerbescheides scheitert allein an dieser Beschränkung. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist wegen groben Verschulden der Steuerpflichtigen nicht zulässig. Das Unterlassen, gegen einen Bescheid fristgerecht Einspruch einzulegen, kann zu grobem Verschulden führen. Dem Steuerpflichtigen war seit Einreichung seiner unvollständigen Einkommensteuererklärung bekannt, dass er weder Werbungskosten noch Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht hatte. Die versäumte Nachholung dieser Angaben stellt grobes Verschulden dar.

 

Hinweis

Das FG begründet seine Entscheidung, die Nachreichung der Steuererklärung nicht als Einspruch zu werten, mit dem Hinweis, die Kerngedanken der Entscheidung des BFH (BFH, Urteil v. 27.2.2003, V R 87/01, BStBl 2003 II S. 505) - Abgabe der Steuererklärung nach Schätzung als Einspruch gegen den Schätzungsbescheid - seien auf den Urteilsfall nicht übertragbar. Im Urteilsfall stand der Schätzungsbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung. Währe...

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