Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnung gegen einen Erstattungsanspruch der Masse mit anderen Steueransprüchen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das Finanzamt

 

Leitsatz (redaktionell)

1. a) Im Abrechnungsverfahren kommt es allein auf die formelle Bescheidlage an. Entscheidend ist die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung.

b) Das Finanzamt kann auch mit Forderungen aufrechnen, die vom Aufrechnungsgegner bestritten und noch nicht rechtskräftig festgestellt sind, sofern die Forderungen materiell-rechtlich bestehen, worüber im Festsetzungsverfahren zu entscheiden ist

c) Im Insolvenzverfahren tritt die Feststellung zur Tabelle an die Stelle des Steuerbescheids.

d) Bezieht das Finanzamt in die Berechnung der zur Insolvenztabelle angemeldeten Umsatzsteuer zu berichtigende Vorsteuer ein, hat dies die Wirkung einer förmlichen Berichtigung.

2. a) Mit Erlass des Umsatzsteuerbescheids erledigen sich die den Veranlagungszeitraum betreffenden Vorauszahlungsbescheide i.S. von § 124 Abs. 2 AO auf andere Weise und verlieren ihre Wirksamkeit: Deren Regelungen nimmt der Jahressteuerbescheid in sich auf, sofern er keine Feststellungen enthält, dass die Voranmeldungen bzw. Festsetzungen der Umsatzsteuer für bestimmte Monate materiell fehlerhaft waren.

b) Die Möglichkeit zur Aufrechnung mit dem Anspruch auf die Vorauszahlung bleibt davon unberührt.

3. Die Rechtskraft der Anmeldung zur Insolvenztabelle erstreckt sich nicht auf den Entstehungsgrund des festgestellten Rechts. Zwar beinhaltet die Feststellung zur Tabelle nicht nur die Höhe des Anspruchs, sondern auch, dass er vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens insolvenzrechtlich begründet war. Daraus folgt aber noch nicht, dass der Gläubiger ihn durch eine Rechtshandlung im Sinne der Insolvenzanfechtung erlangt hat und diese Rechtshandlung anfechtbar war. Der Senat hat daher selbst zu prüfen, ob der Anspruch auf einer anfechtbaren Rechtshandlung beruht.

4. Bestellt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungseinzug, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug für die Leistungen, die der Unternehmer bis zur Verwalterbestellung erbracht oder bezogen hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen. Der BFH hat insofern seine frühere Rechtsprechung, wonach die Vorsteuer spätestens für den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zu berichtigen ist, weiterentwickelt. Soweit die Finanzverwaltung diese Grundsätze erst auf Bestellungen vorläufiger Insolvenzverwalter ab dem 31.12.2014 anwenden will, ist das Gericht daran nicht gebunden.

5. Die Möglichkeit der Aufrechnung mit der Lohnsteuer entsteht bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt, nicht erst im Zeitpunkt der Abführung der Lohnsteuer.

 

Normenkette

UStG § 17 Abs. 2 Nr. 1; InsO § 129/1; AO § 176 Abs. 1, § 218 Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 03.08.2022; Aktenzeichen XI R 44/20)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt) nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen einen Erstattungsanspruch der Masse mit anderen Steueransprüchen aufrechnen durfte.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer verstorbenen Einzelunternehmerin, die einen Großhandel für Autoteile und Industriebedarf betrieb. Im Jahr 2008 war sie mit Sozialversicherungsbeiträgen über ein Jahr im Rückstand und mehrere Krankenkassen stellten Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die sich aber durch Zahlung erledigten. Am 23.12.2009 stellten sowohl die Unternehmerin als auch ein Sozialversicherungsträger Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Mit Beschluss vom 28.12.2009 ordnete das zuständige Amtsgericht C. (Az. IN lfd.Nr/Jahr) die vorläufige Insolvenzverwaltung an, bestellte den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter und bestimmte, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit seiner Zustimmung wirksam waren und der Insolvenzverwalter Forderungen der Insolvenzschuldnerin einziehen dürfe. Am 01.03.2010 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestimmt. Laut Insolvenzgutachten war die Unternehmerin zahlungsunfähig und überschuldet. Die offenen Verbindlichkeiten betrugen ca. 600.000 €.

Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuer 2006 für die Insolvenzschuldnerin zuletzt mit 76.305,52 € fest. Diese Umsatzsteuer beruhte im Wesentlichen auf der Ausbuchung sämtlicher Forderungen gegenüber einem Leistungsempfänger, der im Jahr 2006 die letzten Zahlungen geleistet hatte. Der Bescheid ist bestandskräftig. Unter Berücksichtigung von Vorauszahlungen von 45.361,78 € und Zinsen von 37.712,00 € ergab sich ein Guthaben von 159.379,30 €. Das Finanzamt zahlte das Guthaben nur teilweise aus. Mit Umbuchungsmitteilungen vom 05.06.2013 verrechnete das Finanzamt das Guthaben mit Insolvenzforderungen, die bereits zur Tabelle angemeldet waren. Die Lohnsteuer 09/2009-11/2009 zuzüglich Solidaritätszuschlag und rk. und ev. Lohnkirchensteuer sowie Umsatzsteuer September 2009 und 2009 wurden mit Schreiben des Fin...

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