Entscheidungsstichwort (Thema)

Schätzung bei Kassenführungsmängeln, Schätzungsbefugnis des Finanzgerichts, Unsicherheitszuschlag, Verböserungsverbot in Klageverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Tätigt der Stpfl. vorwiegend Bargeschäfte, können Mängel der Kassenführung der gesamten Buchführung die Ordnungsmäßigkeit nehmen und das FA zur Schätzung des Gewinns berechtigen. Gravierende formelle Buchführungsmangel sind gegeben, wenn der Stpfl. seine Buchführung mittels eines Tabellenkalkulationsprogramms (Numbers für Mac) erstellt und eine Kassensturzfähigkeit wegen unzutreffender Aufzeichnungen im Kassenbuch nicht gewährleistet ist.

2) Bei einem Restaurantbetrieb ist die Schätzung mittels (Un-)Sicherheitszuschlags die geeignetste Schätzungsmethode, wenn ein innerer Betriebsvergleich in Form einer Aufschlagkalkulation aufgrund des umfangreichen Speisenangebots mit schwankenden Einkaufspreisen der Hauptzutaten ausscheidet und auch eine Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnung nicht durchführbar ist.

3) Im Rahmen der Bestimmung eines angemessenen und zutreffenden Sicherheitszuschlages ist auch das Maß der Verletzung der dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen. Ein (Un-)Sicherheitszuschlag in Höhe von 10 % ist sachgerecht, wenn aufgrund der gravierenden formellen Mängel bei der Kassenaufzeichnung nachprüfbare Unterlagen fehlen, die die Feststellung ermöglichen, ob bzw. inwieweit die Kassenumsätze und damit auch die vom Stpfl. erklärten Gewinne tatsächlich richtig sind.

4) Führt die Schätzung des Finanzgerichts zu Besteuerungsgrundlagen, die über den vom FA geschätzten Beträgen liegen, hindert das Verböserungsverbot des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO, die streitbefangenen Steuerfestsetzungen zum Nachteil des Stpfl. zu ändern.

 

Normenkette

AO § 146 Abs. 4 S. 1, 2, §§ 158, 162 Abs. 2 S. 2 Alt. 2; FGO § 96 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, S. 2; AO § 146 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob und – falls ja – in welcher Höhe für die Streitjahre (2010 bis 2012) Hinzuschätzungen bei den betrieblich erzielten Umsätzen des Klägers vorzunehmen sind.

Der Kläger betrieb seit dem Streitjahr 2010 ein Sushi-Restaurant „X-Sushi”). Sein Restaurant liegt im Innenstadtbereich C-Stadts. In den Streitjahren bot der Kläger Speisen entsprechend zweier unterschiedlicher Speisekarten mit jeweils umfangreichem Speisenangebot an, wobei im Laufe des Streitjahres 2012 eine Preiserhöhung stattfand. Die Preise für die wesentlichen Hauptzutaten der vom Kläger angebotenen Speisen (Lachs, Thunfisch und Meeresfrüchte) unterlagen in den Streitjahren starken Schwankungen.

Der Kläger ermittelte für die Streitjahre seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Den überwiegenden Teil seiner Einnahmen erzielte er in bar:

Der Kläger setzte in den Streitjahren eine elektronische Registrierkasse ein. Sie verfügte über ein proprietäres Kassensystem, also ein herstellereigenes Betriebssystem mit geschlossener Firmware. Die Registrierkasse war älterer Bauart. Auf ihr konnte der Kläger in den Streitjahren Fiskaljournaldaten nicht speichern. Die in der Kasse zunächst gespeicherten Daten wurden aufgrund begrenzter Speichermöglichkeiten (während der Streitjahre 2 Megabyte) überschrieben. Während der Kläger die von dieser Kasse am Ende des Geschäftstages ausgedruckten Tagesendsummenbons (Zero-Bons/Z-Bons) aufbewahrte, vernichtete er die von der Registrierkasse ebenfalls ausgedruckten Warengruppenberichte. Für unbare Kreditkarten- und EC-Karten-Umsätze verfügte er über ein entsprechendes Kartenlesegerät. Im Kassensystem fand aber keine Trennung der baren von den unbaren Einnahmen statt, weshalb sämtliche Einnahmen als Bareinnahmen ausgewiesen wurden. Der Kläger erfasste Tageseinnahmen in einem Kassenbuch, das er mittels eines Tabellenkalkulationsprogramms (Standardsoftware Numbers für Mac) erstellte.

Der Beklagte führte beim Kläger eine Außenprüfung durch (Prüfungsbeginn: 16.06.2014), die die Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer für die Streitjahre betraf. Während der Außenprüfung überließ der Kläger dem Außenprüfer zwei Speisekarten, die er (der Kläger) während des Streitzeitraums eingesetzt habe. Der Außenprüfer gelangte zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger eingesetzte Kasse Aufzeichnungsmängel aufweisen würde, weil die erfassten Tageseinnahmen täglich gelöscht würden, der Kläger bis auf das Benutzerhandbuch weder Organisationsunterlagen noch die Verfahrensdokumentation zur elektronischen Registrierkasse habe vorlegen können und die Finanzwege nicht getrennt aufgezeichnet würden (also bar und unbar vereinnahmte Einnahmen jeweils nicht gesondert festgehalten würden). Wegen dieser Beanstandungen schätzte der Außenprüfer zusätzliche Betriebseinnahmen hinzu, indem er auf den Wareneinsatz des Klägers einen Rohgewinnaufschlagsatz von 250 % (2010 und 2011) bzw. 270 % (2012) anwandte. Die sich dadurch ergebenden Mehrumsätze ordnete er für Zwecke der Umsatzsteuerfestsetzung jeweils hälftig dem Regelsteuersatz bzw. dem ermäßigten Umsatzsteuersatz zu. Wegen der weiter...

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