Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch eines polnischen Saisonarbeiters – Unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG – Begrenzung der Kindergeldberechtigung auf die Monatszeiträume der Erzielung inländischer Einkünfte

 

Leitsatz (redaktionell)

Die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG eines sozialversicherungspflichtig beschäftigten polnischen Saisonarbeiters mit Familienwohnsitz in Polen kann nur für die Monatszeiträume eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 b EStG begründen, in denen er die für die fiktive Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erforderlichen inländischen Einkünfte im Sinne des § 49 EStG erzielt.

 

Normenkette

EStG § 1 Abs. 3, § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 66 Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 12.03.2015; Aktenzeichen III R 14/14)

 

Tatbestand

Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger; seine Ehefrau lebt mit dem Kind A in Polen.

Ab mindestens 2005 war der Kläger zeitweise im Inland nichtselbständig beschäftigt und sozialversichert, unter anderem im Zeitraum April bis Dezember 2010.

Er wurde nach § 1 Abs. 3 EStG zur Einkommensteuer veranlagt.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 21.12.2009 Kindergeld fest für die Zeiträume Juli bis November 2007 und Juli bis November 2008, mit Bescheid vom 29.12.2010 für März bis Oktober 2009. Unter dem gleichen Datum wurde der Kindergeldanspruch für Januar 2005 bis Juni 2007, Dezember 2007 bis Juni 2008, Dezember 2008 bis Februar 2009 und ab November 2009 abgelehnt. Ebenfalls unter diesem Datum wurde der Kinderbonus festgesetzt.

Der Kläger legte Einspruch ein “gegen den Bescheid vom 29.12.2010” Da er trotz mehrfacher Aufforderung nicht angab, welchen Bescheid er anfechte, wurde der Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 14.12.2011 als unzulässig verworfen.

Mit einem im Mai 2012 gestellten Antrag beantragte der Kläger Kindergeld für die Jahre 2010 und 2011. Weiterhin beantragt er die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum Januar 2007 bis Dezember 2008, soweit noch keine Festsetzung erfolgt sei.

Mit Bescheid vom 15.06.2012 lehnte die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum vor dem Januar 2011 unter Hinweis auf die bestandskräftige Ablehnung im Bescheid vom 29.12.2010 ab; ab Januar 2011 wurde Kindergeld festgesetzt. Der Kläger legte Einsprüche ein, mit denen er sich gegen die Nichtfestsetzung von Kindergeld für Zeiträume vor Januar 2011und nach Dezember 2011 wandte.

Die Beklagte wies den Einspruch wegen des Zeitraumes vor Januar 2011 in der Einspruchsentscheidung vom 28.08.2012 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 14.12.2012 Klage erhoben.

Sie richtet sich gegen den Bescheid vom 29.12.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.12.2011.

Er trägt vor:

Da eine materielle Prüfung des Einspruchsbegehrens fehlerhaft nicht vorgenommen worden sei, werde allein die Aufhebung der Einspruchsentscheidung begehrt.

Die Klagefrist sei gewahrt, da die Rechtsbehelfsbelehrung der Einspruchsentscheidung fehlerhaft sei.

Er sei nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagt worden. Damit bestehe ein Kindergeldanspruch für das gesamte Kalenderjahr.

Die Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 24.10.2012 V R 43/11 stelle einen Verstoß gegen verbindliche Vorgaben des deutschen Gesetzgebers sowie die gemeinschaftsrechtliche Rechtsprechung dar. Der BFH habe sich mit einer Vielzahl von Argumenten nicht auseinandergesetzt.

Die Finanzgerichte hätten sich in ihrer bisherigen Rechtsprechung auf die Entscheidung des BFH VIII R 61/00 und VIII R 70/99 berufen. Der BFH ebenso wie das Bundesverfassungsgericht hätten sich auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes C-60/85 berufen und dieser Entscheidung den vermeintlich vom EuGH aufgestellten Rechtssatz entnommen, dass im Anwendungsbereich der Verordnung 1408/71 für Wanderarbeitnehmer kein Anspruch auf Teilkindergeld im Wohnland bestehen solle, da der Wanderarbeitnehmer gem. des vorrangigen Grundsatz des Artikel 13 der Verordnung 1408/71 allein den Vorschriften des Beschäftigungslandes unterliegen solle. Ein solches Verständnis sei das Ergebnis eines Fehlers der vorgenannten Bundesgerichte. Sowohl der BFH als auch das BVerfG hätten nicht erkannt, dass die Rechtsfragen in dieser Entscheidung des EuGH nicht das Konkurrenzverhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht beträfen, soweit über den Anwendungsbereich der Artikel 13 ff. der Verordnung 1408/71 das nationale Recht rechtserweiternd wirken könne. In dem Verfahren vor dem EuGH sei der Generalanwalt innerhalb seiner Schlussanträge zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Selbstständiger, auf den Artikel 13 Abs. 2 b der Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar sei, nur in dem in dieser Verordnung bezeichneten Mitgliedsstaat pflichtversichert sein könne. Nichts hindere jedoch einen anderen Mitgliedsstaat daran, ihm freiwillig Leistungen der sozialen Sicherheit zu gewähren. Der EuGH sei in der genannten Entscheidung hierauf nicht eingegangen, da es darauf nicht angekommen sei.  In der Entscheidung in der Rechtssache Bosm...

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