Entscheidungsstichwort (Thema)

Auskunftspflicht bei Steuerfahndung mit informationellem Selbstbestimmungsrecht vereinbar. Grenze des Chiffre-Geheimnisses und des Auskunftsverweigerungsrechts von Presseangehörigen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die gem. § 93 Abs. 1 Satz 1, § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 im Rahmen der Steuerfahndung bestehende Auskunftspflicht genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

2. Einer mißbräuchlichen Verwendung der Angaben ist auch im Hinblick auf Gefahren der EDV (§ 30 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 AO 1977) hinreichend Rechnung getragen, wobei hier offen bleiben kann, ob alle sonstigen Tatbestände der §§ 30 ff AO 1977 den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Datenschutz uneingeschränkt genügen.

3. Unzumutbare Auskünfte können schon aufgrund der allgemeinen Grenzen, die der Mitwirkungspflicht des Bürgers im steuerrechtlichen Verwaltungsverfahren gezogen sind, ebenso wie Angaben über die persönliche Intimsphäre nicht verlangt werden.

4. Im Rahmen der Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung besteht eine Auskunftspflicht nur bei hinlänglich begründetem Anlaß, Ermittlungen „ins Blaue hinein” sind nicht zulässig.

5. Der Schutzbereich der Pressefreiheit umfaßt zwar auch den Anzeigenteil und das Chiffre-Geheimnis, die konkrete Reichweite des Grundrechtsschutzes ergibt sich jedoch erst unter Berücksichtigung der durch die „allgemeinen Gesetze” i. S. des Art. 5 Abs. 2 GG gezogenen Schranken, die allerdings ihrerseits im Lichte des Grundrechts auszulegen sind.

6. Das Auskunftsverweigerungsrecht von Presseangehörigen gilt nur für den redaktionellen Teil, nicht jedoch hinsichtlich des Anzeigenteils; §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 208 Abs. 1 Nr. 3 i. V.mit § 102 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 enthalten somit eine Einschränkung der Pressefreiheit. Bei diesen Vorschriften handelt es sich um allgemeine Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Denn sie richten sich nicht gegen eine bestimmte Meinung, sondern dienen dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts. Die Verweigerung der von der Steuerfahndung begehrten Auskunft kann aber auch dann mit den Vorschriften der §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 vereinbar sein, wenn sich Grenzen der Auskunftspflicht im Einzelfall unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unmittelbar aus Grundrechten ergeben.

 

Normenkette

GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 2; AO 1977 § 93 Abs. 1 S. 1, § 208 Abs. 1 Nrn. 1, 3, § 30 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6, § 102 Abs. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 29.10.1986; Aktenzeichen VII R 82/85)

FG Hamburg (Urteil vom 08.03.1985; Aktenzeichen V 39/83)

 

Gründe

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführerin auch insoweit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG beschwerdebefugt ist, als sie einen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG rügt. Denn diese Rüge greift jedenfalls in der Sache nicht durch. Weder die steuerrechtlichen Vorschriften selbst, aus denen eine Auskunftspflicht der Beschwerdeführerin hergeleitet worden ist, noch ihre Auslegung und Anwendung durch die Finanzgerichte sind unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung von Verfassungs wegen zu beanstanden.

a) Die Vorschriften der §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen, denen eine gesetzliche Ermächtigung zu Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unterliegt (vgl. hierzu im einzelnen BVerfGE 65, 1≪43 ff.≫ sowie ferner BVerfGE 67, 100 ≪142 f.≫).

aa) Die in § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 geregelte Auskunftspflicht erstreckt sich ausweislich des Normtextes auf alle für die Besteuerung erheblichen und im Einzelfall ermittlungsbedürftigen Tatsachen. Sie dient der Feststellung aller tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer maßgebend sind (Besteuerungsgrundlage im Sinne des § 199 Abs. 1 AO 1977). In hinlänglich klarer Weise und für den Bürger deutlich erkennbar (vgl. BVerfGE 45, 400 ≪420≫ m.w.N.) betrifft § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 damit gerade solche Angaben, die – wie Name und Anschrift – einen Bezug zur Person des einzelnen Steuerpflichtigen aufweisen. Die ausdrückliche Aufgabenzuweisung in § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 läßt ferner hinreichend klar erkennen, daß einem Auskunftsbegehren der Steuerfahndung auch dann Folge zu leisten ist, wenn dessen Ziel die Identifizierung des (noch) unbekannten Beteiligten eines möglicherweise durchzuführenden steuerrechtlichen Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens ist.

bb) Gegenüber der aus den §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 folgenden Auskunftspflicht kann nicht eingewandt werden, daß der Gesetzgeber keine hinreichenden Sicherungsvorkehrungen gegen eine mißbräuchliche Verwendung der erteilten Angaben getroffen habe. Die Regelungen der §§ 30 ff. AO 1977, die zum Teil auch in den Straftatbestand des § 350 StGB übernommen worden sind, schließen nicht nur eine unbefugte Offenbarung oder Verwertung der Angaben des Auskunftspflichtigen aus. Sie berücksichtigen auch die besonderen Gefährdungen, denen diese Angaben unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung ausgesetzt sind (vgl. § 30 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 AO 1977). Damit weisen sie, wie das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 15. Dezember 1983 festgestellt hat (BVerfGE 65, 1 ≪45≫), in die verfassungsrechtlich gebotene Richtung. Ob alle Tatbestände der §§ 30 ff. AO 1977 den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen wirksamen Datenschutz im Bereich des Abgabenrechts uneingeschränkt genügen, bedarf hier keiner abschließenden Prüfung. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der allein die Auskunftserhebung regelnden §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 kommt es ferner nicht auf die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage an, ob eine bestimmte (maschinelle) Verarbeitung bzw. Speicherung der Angaben der Auskunftspflichtigen möglicherweise den insoweit bestehenden verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Dies gilt entsprechend auch für den – im übrigen kaum hinreichend substantiierten – Hinweis der Beschwerdeführerin auf die Möglichkeit eines (späteren) Mißbrauchs der erhobenen Daten (vgl. hierzu den Beschluß der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 1987 – 1 BvR 970/87 = NJW 1987, S. 2805 ≪2807≫ = EuGRZ 1988, S. 140 ≪141≫).

cc) Die Regelung des § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 trägt dem aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgenden Gebot hinlänglich Rechnung, daß der grundrechtlich geschützte Freiheitsanspruch des Bürgers von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden darf, als dies zum Schutz öffentlicher Interessen mit Verfassungsrang – hier der finanziellen Sicherheit des Staates und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (vgl. BFH, BStBl. 1974 II S. 172 ≪175≫ sowie BVerfGE 67, 100 ≪143≫) – unerläßlich ist (vgl. BVerfGE 19, 342 ≪348≫; st. Rspr.). Sie läßt im übrigen neben den Auskunftsverweigerungsrechten der §§ 102 ff. AO 1977 die sonstigen Grenzen unberührt, die jeder dem Bürger gesetzlich auferlegten Mitwirkungspflicht im steuerrechtlichen Verwaltungsverfahren gezogen sind. Auch ohne daß dies in § 93 Abs. 1 AO 1977 ausdrücklich vorgeschrieben werden mußte, können deshalb insbesondere unzumutbare Auskünfte nicht verlangt werden (zur Grenze der Unzumutbarkeit vgl. BVerfGE 57, 121 ≪136≫). Darüber hinaus erstreckt sich die steuerrechtliche Auskunftspflicht nicht in den Bereich der durch Art. 2 Abs. 1 GG absolut geschützten (vgl. BVerfGE 6, 32 ≪41≫; 34, 238 ≪245≫) persönlichen Intimsphäre.

Zwar müssen die Anforderungen in gewissem Umfang erleichtert werden, von denen die Zulässigkeit eines auf § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 gestützten Auskunftsverlangens der Steuerfahndung und die korrespondierende Auskunftspflicht abhängen. Denn die Aufgaben nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 sind den Steuerbehörden im Hinblick auf solche Fälle übertragen worden, in denen ein zureichender Tatverdacht für das Vorliegen einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit (§ 208 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) noch nicht besteht (vgl. hierzu die Begründung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, auf dessen Antrag die Vorschrift des § 208 in den Entwurf der Abgabenordnung 1977 eingefügt worden ist, BTDrucks. 7/4292, S. 36). Wie die Verweisung auf § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zeigt, ändert dies jedoch nichts daran, daß auch gegenüber der Steuerfahndung eine Auskunftsverpflichtung grundsätzlich nur dann besteht, wenn die erfragten Tatsachen entscheidungserheblich und aufklärungsbedürftig sind. Dementsprechend wird in der angegriffenen Entscheidung des Bundesfinanzhofs die Auffassung vertreten, daß es in Fällen der vorliegenden Art zwar keines strafprozessual erheblichen Tatverdachtes, wohl aber eines hinlänglich begründeten Anlasses bedürfe. Dieser sei dann gegeben, wenn aufgrund konkreter Momente oder aufgrund allgemeiner Erfahrungen im Einzelfall die Heranziehung eines Auskunftspflichtigen geboten sei.

Gegen diese Auffassung ist von Verfassungs wegen nichts einzuwenden. Sie trägt einerseits dem besonderen Charakter der „Vorfeldermittlungen” der Steuerfahndung Rechnung. Andererseits läßt sie nicht unberücksichtigt, daß auch derartige Ermittlungsmaßnahmen im Einzelfall geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen. Insbesondere sind hiernach, worauf in der angefochtenen Entscheidung des Bundesfinanzhofs zutreffend hingewiesen wird, Ermittlungen „ins Blaue hinein” unzulässig und bestehen insofern keine steuerverfahrensrechtlich legitimierbaren Mitwirkungspflichten der betroffenen Beteiligten oder dritter Personen. Auch eine Informationserhebung auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken, die mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar wäre (vgl. BVerfGE 65, 1≪46≫), ist hiernach ausgeschlossen. Die von der Beschwerdeführerin angegriffene Auskunftspflicht findet deshalb in den Vorschriften der §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 eine hinreichende gesetzliche Grundlage, wenn und soweit diese Vorschriften in der dargelegten Weise unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgelegt und angewendet werden.

b) Anhaltspunkte dafür, daß der Bundesfinanzhof im Rahmen seiner Auslegung der §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 den Gehalt und die Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verkannt haben könnte, sind unter Berücksichtigung der Grenzen der bundesverfassungsgerichtlichen Nachprüfung (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 32, 319 ≪325 f.≫; 71, 162 ≪177≫) nicht ersichtlich. Das Gericht hat sich mit den Anforderungen auseinandergesetzt, von denen die Zulässigkeit eines Eingriffs in dieses Recht im Einzelfall abhängt. Es hat ausführlich dargelegt, daß und aus welchen Gründen das streitige Auskunftsverlangen den Kriterien der Entscheidungserheblichkeit und der Aufklärungsbedürftigkeit genüge und auch im übrigen als verhältnismäßig und zumutbar anzusehen sei. Seine im einzelnen begründete Auffassung, angesichts des Inhalts der beiden Chiffre-Anzeigen habe unter Berücksichtigung allgemeiner Erfahrungssätze der Ermittlungsbehörden ein konkreter Anlaß für ein Tätigwerden der Steuerfahndung bestanden, ist nachvollziehbar und vertretbar. Auch ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß der Bundesfinanzhof eine Verpflichtung der Steuerbehörde verneint hat, sich zunächst unmittelbar über Chiffre an die unbekannten Inserenten zu wenden.

2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

Zwar umfaßt der Schutzbereich dieses Grundrechts, wie das Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die Kommunikationsaufgabe und die wirtschaftlichen Grundlagen einer unabhängigen Presse sowie vor allem die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zu privaten Informanten entschieden hat, auch den Anzeigenteil eines Presseorgans und das Chiffre-Geheimnis (vgl. BVerfGE 21, 271 ≪278 f.≫; 64, 108 ≪114 f.≫). Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch zugleich hervorgehoben, daß sich die konkrete Reichweite des insoweit gewährleisteten Grundrechtsschutzes erst unter Berücksichtigung derjenigen Schranken ergibt, die der Pressefreiheit durch die „allgemeinen Gesetze” des Art. 5 Abs. 2 GG gezogen sind (vgl, BVerfGE 64, 108 ≪115≫). Freilich müssen diese allgemeinen Gesetze ihrerseits aus der Erkenntnis der besonderen Bedeutung des Grundrechts ausgelegt und so in ihrer begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 76, 196 ≪208 f.≫; st. Rspr.).

a) Zum Schutz der Pressefreiheit hat der Gesetzgeber in § 102 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 ein Auskunftsverweigerungsrecht von Presseangehörigen festgelegt, soweit das Auskunftsverlangen den redaktionellen Teil des Presseorgans betrifft. Für den nichtredaktionellen Bereich, insbesondere also den Anzeigenteil, verbleibt es bei der gemäß §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 grundsätzlich uneingeschränkten Auskunftspflicht der Presseangehörigen gegenüber der Steuerfahndung. Im Hinblick,auf die dargelegte Reichweite des Grundrechtsschutzes aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG beinhalten die Vorschriften der §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 208 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 102 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 damit eine Einschränkung der Pressefreiheit.

Bei diesen Vorschriften handelt es sich um allgemeine Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Denn sie richten sich nicht gegen eine bestimmte Meinung, sondern dienen dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪209 f.≫; 59, 231 ≪263 f.≫). Verfassungsrechtliche Bedenken wären jedoch gleichwohl veranlaßt, wenn hiermit eine abschließende Regelung der für den Anzeigenbereich geltenden Auskunftspflicht getroffen worden wäre. Unabhängig von Inhalt und Funktion einer Anzeige müßte dann in jedem Einzelfall die verlangte Auskunft erteilt werden, ohne daß der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG im Rahmen der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts Rechnung getragen werden könnte. Der Schutz der Pressefreiheit für den Anzeigenteil liefe insoweit leer (vgl. BVerfGE 64, 108 ≪116≫).

Wie bereits dargelegt, besteht aber auch die aus den §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 folgende Auskunftspflicht nur innerhalb derjenigen allgemeinen rechtsstaatlichen Grenzen, die jeder Mitwirkungspflicht von Beteiligten in Verfahren nach der Abgabenordnung gezogen sind. Die Verweigerung der von der Steuerfahndung begehrten Auskunft kann deshalb auch dann mit den Vorschriften der §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 vereinbar sein, wenn sich Grenzen der Auskunftspflicht im Einzelfall unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unmittelbar aus Grundrechten ergeben. Die genannten Vorschriften lassen insoweit Raum für eine Abwägung der gegenläufigen Interessen und betroffenen Rechtsgüter, in deren Rahmen auch das Gewicht und die Bedeutung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in dem von Verfassungs wegen gebotenen Maß berücksichtigt werden kann.

b} Ein über § 102 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 hinausgehendes Auskunftsverweigerungsrecht kann deshalb seine Grundlage ausnahmsweise unmittelbar in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG finden (vgl. BVerfGE 36, 193 ≪211≫; 38, 103 ≪105≫ – zu einem über § 97 StPO hinausgehenden Beschlagnahmeverbot –; 64, 108 ≪116≫). Insoweit kommt es zunächst darauf an, ob die Anzeige, die Anlaß und Gegenstand des Auskunftsverlangens darstellt, ebenso wie ein redaktioneller Beitrag geeignet und bestimmt ist, der Kontroll- und meinungsbildenden Funktion der Presse zu dienen. Wenn dies der Fall ist, hängt es von den sonstigen Elementen des jeweiligen Sachverhalts ab, ob im Rahmen der gebotenen fallbezogenen Abwägung dem grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteresse des Einzelnen oder dem gesetzlichen Untersuchungsauftrag der Ermittlungsbehörden, der – wie dargelegt – seine Rechtfertigung seinerseits in Rechtsgütern mit Verfassungsrang findet, der Vorrang zukommt. Eine verfassungsrechtliche Begrenzung der Auskunftspflicht außerhalb der verfahrensrechtlichen Normen des einfachen Rechts wird allerdings nur äußerst selten, so z.B. bei der Verfolgung bloßer Bagatelldelikte oder Ordnungswidrigkeiten von geringer Bedeutung, in Betracht zu ziehen sein (vgl. BVerfGE 33, 367 ≪375≫).

Diesen Grundsätzen hat der Bundesfinanzhof Rechnung getragen. Er hat sich unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit der Frage auseinandergesetzt, welche Bedeutung den von dem Auskunftsersuchen der Steuerbehörde betroffenen Chiffre-Anzeigen für den Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung zukam. Seine Auffassung, diese Anzeigen hätten keinen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung enthalten, läßt eine Verkennung von Gewicht und Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht befürchten. Weitere Anhaltspunkte dafür, daß die Anzeigen entgegern der in den angefochtenen Entscheidungen vertretenen Auffassung des besonderen Schutzes aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bedurften, sind weder von der Beschwerdeführerin hinreichend substantiiert vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß der Bundesfinanzhof einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verneint hat, ohne eine weitergehende Abwägung aller sonstigen Umstände des vorliegenden Sachverhalts durchzuführen (vgl. BVerfGE 64, 108 ≪119≫).

 

Fundstellen

NJW 1990, 701

JuS 1990, 768

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