Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Begründungspflicht bei finanzgerichtlichen Entscheidungen

 

Leitsatz (NV)

Beschränkt sich das FG in dem angefochtenen Urteil darauf, die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ersatzbeschaffungsrücklage zu prüfen und einen Anspruch der Kläger auf Anwendung dieser Begünstigung abzulehnen, ohne den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf eine Reinvestitionsvergünstigung nach § 6c EStG überhaupt zu würdigen, so hat die Rüge fehlender Entscheidungsgründe Erfolg.

 

Normenkette

FGO § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 119 Nr. 6, § 116 Abs. 1 Nr. 5

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) bewirtschafteten bis zum Jahr 1990 den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb der Klägerin in A, für den der Gewinn nach Durchschnittssätzen gemäß § 13a des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt wurde. Im Jahr 1989 erwarben sie das Gut B in C.

Aufgrund eines Umlegungsbeschlusses vom 19. Oktober 1982 übertrug die Klägerin landwirtschaftlich genutzte Flächen von 54 636 qm an den Umlegungsausschuss der Stadt A und erhielt dafür Baugrundstücke zu 34 737 qm im Wert von 4 821 915 DM gegen einen von ihr zu zahlenden Mehrwertausgleich von 2 628 690 DM. Diese Grundstücke wurden in den Jahren 1983 bis 1989 an verschiedene Erwerber veräußert.

Nach einer Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die Auffassung, zwischen den in das Umlegungsverfahren eingebrachten und den zugeteilten Grundstücken bestehe Identität, soweit die Grundstücke wertgleich seien. Insoweit komme weder eine Reinvestitionsrücklage noch eine Ersatzbeschaffungsrücklage in Betracht. Eine Fläche von 18 937 qm sei mit Anschaffungskosten von 2 628 690 DM und die Restfläche von 15 800 qm zu Buchwerten von insgesamt 178 043 DM anzusetzen. Die Anschaffungskosten ordnete die Klägerin den zuerst veräußerten Grundstücken zu. Das FA behandelte die Vorgänge als laufende Veräußerungen landwirtschaftlichen Betriebsvermögens. Die Veräußerungsgewinne wurden zum Teil unter Anwendung des § 6c EStG neutralisiert. Dementsprechend wurde die Einkommensteuer für die Streitjahre (1984 bis 1987) wie folgt festgesetzt:

1984

203 410 DM

1985

145 410 DM

1986

156 310 DM

1987

142 218 DM.

Einspruch und Klage, mit denen die Kläger die Gewinnübertragung nach § 6c EStG und (darüber hinaus) nach den Grundsätzen der Ersatzbeschaffungsrücklage begehrt hatten, blieben erfolglos. Zwar erwähnte das Finanzgericht (FG) im Tatbestand seines Urteils, dass die Kläger die Anwendung des § 6c EStG begehrten, ging jedoch in den Entscheidungsgründen nicht darauf ein. Zur Begründung seiner Entscheidung (im Übrigen) führte das FG im Wesentlichen aus: Das Umlegungsverfahren der Stadt A sei zwar eine behördliche Maßnahme, wodurch eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der davon erfassten Flächen für die Zukunft ausgeschlossen worden sei. Die Veräußerungen in den Streitjahren hätten jedoch nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem Umlegungsverfahren gestanden, denn die Klägerin sei nicht zum Verkauf der aus dem Verfahren erlangten Grundstücke gezwungen gewesen. Die Grundstücksveräußerungen hätten vielmehr auf der freien Entscheidung der Klägerin beruht. Die Versagung der Rücklage für Ersatzbeschaffung entspreche auch Sinn und Zweck der Regelung des Abschn. 35 Abs. 4 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR), denn erst das Umlegungsverfahren habe zu einer erheblichen Wertsteigerung des Betriebsvermögens und damit zu dieser starken Erhöhung der stillen Reserven in den Grundstücken der Klägerin geführt. Eine Besserstellung durch Begünstigung von Wertsteigerungen sei von der Regelung aber nicht beabsichtigt. Danach komme es nicht auf die Frage an, ob bis zum Jahr 1989 eine Ersatzbeschaffung ernstlich geplant gewesen sei.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen Rechts mit der Begründung, die Entscheidung beruhe weder auf dem Gesamtergebnis der Verhandlung noch auf einer ordnungsgemäßen Begründung; sie sei im Übrigen unter Verletzung der Sachaufklärungspflicht und des rechtlichen Gehörs zustande gekommen. Materiell-rechtlich rügen die Kläger die Verletzung von § 6c EStG und Abschn. 35 EStR.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die geänderten Einkommensteuerbescheide 1984 bis 1987 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. September 1992 mit der Maßgabe zu ändern, dass die geltend gemachten Rücklagen gewinnmindernd zu berücksichtigen sind.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es ist der Revision entgegengetreten und hat im Wesentlichen ausgeführt, im Streitfall sei weder eine Verletzung von Abschn. 35 EStR noch von § 6c EStG zu bejahen. Abschn. 35 EStR setze voraus, dass die behördliche Maßnahme unmittelbare Ursache und nicht lediglich Anlass der Veräußerung sei. Dies allein sei Gegenstand des Rechtsstreits. Da die Reinvestitionsvergünstigung des § 6c EStG im Streitfall bereits gewährt worden sei, habe für das FG keine Veranlassung bestanden, die Anwendbarkeit dieser Vorschrift zu prüfen. Aus diesen Gründen gingen auch die formellen Rügen der Kläger fehl.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Zu Recht haben die Kläger beanstandet, dass das angefochtene Urteil hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunkts nicht mit Gründen versehen ist (§§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 FGO a.F.).

1. Gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO sind Urteile zu begründen. Die Verfahrensbeteiligten sollen dadurch erfahren, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen die Entscheidung beruht (vgl. etwa Senatsurteil vom 26. Juni 1975 IV R 122/71, BFHE 116, 540, BStBl II 1975, 885, 1. der Gründe). Ist die Entscheidung nicht mit Gründen versehen, so liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. der §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 FGO a.F. vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist dieser Mangel nicht nur dann gegeben, wenn eine Begründung für den Urteilsausspruch überhaupt fehlt oder die Entscheidungsgründe insgesamt nur aus inhaltsleeren Floskeln bestehen oder missverständlich und verworren sind; diese Begründungsmängel können sich vielmehr auch auf einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel beziehen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351; BFH-Urteil vom 15. April 1986 VIII R 325/84, BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195, unter 2.; BFH-Beschluss vom 15. April 1992 III R 31/91, BFH/NV 1993, 367, unter 1.). Die Begriffe des "selbständigen Anspruchs" und des "selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsmittels" entsprechen denen des Zivilprozessrechts (BFH-Beschluss in BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351). Danach muss es sich um einen selbständigen Klagegrund oder um ein solches Angriffs- oder Verteidigungsmittel handeln, das den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bildet (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351, m.w.N.; vom 30. Juli 1990 V R 49/87, BFH/NV 1991, 325, unter 2. a der Gründe). Dementsprechend hat die Rechtsprechung des BFH einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 6 FGO auch dann bejaht, wenn das Urteil hinsichtlich eines "wesentlichen Streitpunkts" nicht mit Gründen versehen ist (s. nur BFH-Urteil vom 20. Juni 2000 VIII R 47/99, BFH/NV 2001, 46, m.w.N.).

Allerdings kann eine bloß lücken- oder fehlerhafte Urteilsbegründung einen wesentlichen Verfahrensmangel nicht begründen, denn der durch §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 FGO a.F. sanktionierte Begründungszwang gebietet es nicht, jedes Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen zu erörtern. Deshalb eröffnen nur "grobe Begründungsfehler" die zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO a.F. (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. Januar 1994 IX R 58/92, BFH/NV 1994, 806, unter 2., m.w.N.; vom 20. Februar 1995 II R 50/94, BFH/NV 1995, 812, unter 1.; auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 119 Rz. 24). Die im Einzelfall schwierige Abgrenzung wesentlicher und unbeachtlicher Begründungsmängel richtet sich nach dem Zweck der Entscheidungsbegründung, den Nachweis für die Rechtmäßigkeit der Urteilsformel zu erbringen (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 24). Ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. der §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 FGO a.F. ist danach erst dann anzunehmen, wenn den Beteiligten ―zumindest in Bezug auf einen der wesentlichen Streitpunkte― die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. auch BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417, II. A. 1. der Gründe).

2. a) Im Streitfall haben die Kläger schlüssig dargelegt, dass das FG den Tatbestand der Übertragung stiller Reserven nach § 6c EStG, wiewohl im Tatbestand des Urteils angesprochen, in den Entscheidungsgründen mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm geprüft hat.

b) Damit erweist sich die Rüge fehlender Entscheidungsgründe auch als begründet. Das FG hat sich in dem angefochtenen Urteil darauf beschränkt, die Tatbestandsvoraussetzungen der Rücklage für Ersatzbeschaffung zu prüfen und einen Anspruch der Kläger auf Anwendung dieser Begünstigung abzulehnen. Die Kläger konnten der Vorentscheidung daher nicht entnehmen, ob ihr ausführlicher Sachvortrag zu dem wesentlichen Streitpunkt einer Anwendung der Reinvestitionsvergünstigung des § 6c EStG überhaupt gewürdigt worden ist und eventuell ebenfalls die Klageabweisung trägt.

Ein solcher Mangel kann nicht als bloßer Begründungsfehler vernachlässigt werden. Nachdem das FA bereits einen Teil des Veräußerungsgewinns aus dem dem Streitjahr 1984 zugrunde liegenden Wirtschaftsjahr 1983/84 durch einen Gewinnabzug nach § 6c EStG neutralisiert hatte, bleibt unklar, warum die Begünstigung nicht ―dem Antrag der Kläger folgend― in vollem Umfang gewährt werden konnte. Die sich in den folgenden Wirtschaftsjahren ergebenden Gewinnerhöhungen beruhen weitgehend auf der Zwangsauflösung zuvor gewährter Reinvestitionsvergünstigungen, die nach Auffassung der Kläger zu vermeiden gewesen wäre, wenn das FA die verlängerten Fristen bei einer Übertragung von Grund von Boden für städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen beachtet hätte. Ob das FG die Voraussetzungen einer Anwendung des § 6c EStG i.V.m. § 82 des Städtebauförderungsgesetzes (bis zum Wirtschaftsjahr 1986/87) oder § 6b Abs. 8 EStG im Streitfall geprüft hat, ergibt sich ebenso wenig aus den Entscheidungsgründen wie die Möglichkeit einer Ablehnung der Reinvestitionsvergünstigung, weil die veräußerten Grundstücke etwa als Umlaufvermögen eines gewerblichen Grundstückshandels der Kläger zu beurteilen sein könnten.

3. Da die Vorentscheidung bereits aufgrund des absoluten Verfahrensfehlers ihrer mangelnden Begründung aufzuheben war, musste über die weiteren von den Klägern erhobenen Verfahrensrügen der Verletzung rechtlichen Gehörs und unzureichender Sachaufklärung nicht mehr entschieden werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 641336

BFH/NV 2001, 1570

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