Leitsatz (amtlich)

1. Auch bei unverzinslichen oder niedrig verzinslichen Darlehensforderungen ist der Nennbetrag als Anschaffungskosten zu behandeln (Anschluß an BFH-Urteil vom 23.April 1975 I R 236/72, BFHE 116, 16, BStBl II 1975, 875).

2. Unverzinsliche oder niedrig verzinsliche Darlehen an Betriebsangehörige sind auch dann mit dem Nennbetrag zu bilanzieren, wenn ihnen keine bestimmten Gegenleistungen der Darlehensempfänger gegenüberstehen (insoweit Abweichung von BFHE 116, 16, BStBl II 1975, 875).

3. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur "Teilwertvermutung" ist auch auf die "Anschaffung" von Darlehen anzuwenden.

 

Orientierungssatz

1. Zur Ermittlung des Teilwerts bei mehrjährig nutzbaren Wirtschaftsgütern, die im Rahmen von Sozialleistungen geschaffen werden sowie zur Widerlegung der Teilwertvermutung bei Vorliegen einer Fehlmaßnahme (vgl. RFH- und BFH-Rechtsprechung). Eine Fehlmaßnahme liegt bei Aufwendungen aus sozialen Gründen beispielsweise vor, wenn Einrichtungen geschaffen werden, die von den Arbeitnehmern nicht angenommen werden (Literatur).

2. Parallelentscheidung: BFH, 30.11.1988, I R 78/84, NV.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 1 Nrn. 2, 1 S. 3; HGB § 255 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (Urteil vom 17.05.1984; Aktenzeichen VI 29/79)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine öffentlich-rechtliche Sparkasse, gewährte einigen ihrer Betriebsangehörigen langfristige Darlehen für den Wohnungsbau zu einem Zinssatz von 2,5 v.H. bei voller Auszahlung der Darlehensvaluta. Den Zinsvergünstigungen standen keine konkreten Gegenleistungen der Arbeitnehmer gegenüber.

Die Klägerin setzte in den Bilanzen der Wirtschaftsjahre 1974 und 1975 die Darlehen mit Barwerten unter den Nennwerten an. Sie wandte dabei die Zinsdifferenzmethode an und kürzte die Nennwerte um die Kapitalwerte des Zinsverlustes bei Annahme eines üblichen Zinssatzes von 8,5 v.H. Die Bilanzansätze übernahm die Klägerin auch in die Vermögensaufstellungen auf den 1.Januar 1975 und auf den 1.Januar 1976.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stimmte zwar dem Ansatz der Darlehensforderungen zu einem unter dem Nennwert liegenden Teilwert zu, er ermittelte den Teilwert jedoch auf der Grundlage eines Zinssatzes von 4 v.H. Das FA erhöhte deshalb den Wertansatz der niedrigverzinslichen Arbeitnehmer-Darlehen um 580 500 DM (31.Dezember 1974) und um 674 700 DM (31.Dezember 1975).

1. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage führte zur Änderung der Körperschaftsteuerbescheide 1974 und 1975, der Bescheide über den Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1.Januar 1975 und zum 1.Januar 1976 und der Vermögensteuerbescheide 1975 und 1976. Das Finanzgericht (FG) hielt in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 602 veröffentlichten Urteil eine Abzinsung der Darlehensforderungen auf der Grundlage des Marktzinses für gerechtfertigt und gab der Klage insoweit statt.

2. Mit der Revision rügt das FA Verletzung der § 6 Abs.1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1968, § 6 Abs.1 Nr.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 109 Abs.4 des Bewertungsgesetzes (BewG). Eine Teilwertermittlung nach § 12 Abs.3 BewG auf der Grundlage eines Zinssatzes von 5,5 v.H. führe zu rechtlich zutreffenden Ergebnissen.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils und insoweit zur Abweisung der Klage als unbegründet (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Darlehensforderungen sind ertragsteuerlich grundsätzlich mit den Anschaffungskosten anzusetzen (§ 6 KStG i.V.m. § 6 Abs.1 Nr.2 EStG; vgl. auch § 255 Abs.1 des Handelsgesetzbuches --HGB--). Anschaffungskosten einer Darlehensforderung sind mindestens die ausgezahlten Darlehensbeträge.

Der Nennbetrag der Darlehensforderung ist auch dann als Anschaffungskosten anzusehen, wenn das Darlehen unverzinslich ist. Die Unverzinslichkeit oder die niedrige Verzinslichkeit betreffen nicht die Anschaffungskosten, sondern den Teilwert der Forderung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23.April 1975 I R 236/72, BFHE 116, 16, BStBl II 1975, 875; vgl. auch Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 6 EStG Anm.908).

2. In der Steuerbilanz können Darlehensforderungen mit einem unter den Anschaffungskosten liegenden Wert angesetzt werden, wenn ihr Teilwert niedriger ist (§ 6 Abs.1 Nr.2 Satz 2 EStG). Im Streitfall ist die Voraussetzung einer Teilwertabschreibung jedoch nicht gegeben, da der Teilwert der Darlehensforderung nicht unter den Anschaffungskosten liegt.

a) Teilwert ist nach § 6 Abs.1 Nr.1 Satz 3 EStG der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde.

Unverzinsliche Darlehen an Betriebsangehörige sind eine besondere Form betrieblicher Sozialleistungen. Betriebliche Sozialleistungen werden im allgemeinen zur Verbesserung des Betriebs- oder Arbeitsklimas oder aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarungen gewährt. Soweit dabei mehrjährig nutzbare Wirtschaftsgüter geschaffen werden (Betriebskantinen, Kindergärten für Betriebsangehörige, Busse zur Beförderung von Arbeitnehmern), handelt es sich im allgemeinen um Wirtschaftsgüter, mit denen nur ein unterdurchschnittlicher oder gar kein Ertrag erzielt wird. Ihr Wert liegt für das Unternehmen nicht in konkreten Gegenleistungen der Arbeitnehmer und dem damit zu erzielenden Gewinn, sondern in der Erwartung eines durch ein gutes Betriebsklima günstig beeinflußten Betriebsablaufs oder einer verbesserten Arbeitsleistung. Aus diesem Grunde haben sowohl der Reichsfinanzhof (RFH) als auch der BFH den Teilwert der im Rahmen von Sozialleistungen errichteten baulichen Anlagen den Anschaffungskosten gleichgesetzt (vgl. RFH-Urteile vom 8.August 1930 VI A 317/30, RStBl 1931, 117 --Werkswohnungen--; vom 16.April 1931 I A 252/30, RStBl 1931, 354 --Verbesserung von Büroarbeitsplätzen aus sozialen Gründen--; BFH-Urteil vom 8.Juni 1956 III 105/55 U, BFHE 63, 43, BStBl III 1956, 213 --Zuschuß an Wohnungsbauunternehmen für Werkswohnungen--; BFH-Beschluß vom 25.Oktober 1972 GrS 6/71, BFHE 107, 296, BStBl II 1973, 79 --Anteil an Unterstützungskassen-GmbH--).

Es ist davon auszugehen, daß ein gedachter Erwerber des gesamten fortzuführenden Unternehmens (§ 6 Abs.1 Nr.1 Satz 3 EStG) im Rahmen eines Gesamtkaufpreises für aus sozialen Gründen gewährte niedrigverzinsliche oder unverzinsliche Darlehensforderungen an Arbeitnehmer den Nennwert vergüten würde. Er würde die Darlehenspraxis seines Rechtsvorgängers in aller Regel fortführen und deshalb die mit dem niedrigen Zinsertrag angestrebten unternehmerischen Zwecke ebenso zum Maßstab seiner Preisvorstellungen machen wie beim Erwerb einer Betriebskantine oder von Fahrzeugen zur Beförderung von Betriebsangehörigen. Bei isolierter Betrachtung eines Kantinenbetriebs oder von Transportmitteln zur Beförderung von Arbeitnehmern zeigt sich in der Regel eine gegenüber anderen gastronomischen Betrieben oder Verkehrsbetrieben geringere Ertragskraft. Gleichwohl würden die für den Gesamtbetriebsablauf positiven Auswirkungen dieser Einrichtungen bzw. Wirtschaftsgüter von einem gedachten Erwerber auch bei einer Einzelbewertung honoriert werden (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 6 EStG Anm.1500 --soziale Zwecke--). Ebenso würde ein gedachter Erwerber eines Unternehmens des Kreditgewerbes die mit zinsverbilligten Darlehen an Betriebsangehörige verbundenen Vorteile bei der Bewertung dieser Darlehen berücksichtigen.

b) Dem steht der Grundsatz der Einzelbewertung nicht entgegen, wie er sich aus § 6 Abs.1 Nr.2 EStG und aus § 253 HGB ergibt. Bei der Ermittlung des Teilwerts sind die "einzelnen Wirtschaftsgüter" zu bewerten, die nach § 5 EStG als Betriebsvermögen anzusehen sind (§ 6 Abs.1 EStG; BFH-Beschluß vom 16.Juli 1968 GrS 7/67, BFHE 94, 124, BStBl II 1969, 108, 112). Bei mehrjährig nutzbaren Wirtschaftsgütern, die im Rahmen von Sozialleistungen geschaffen werden, wird jedoch auch nach den Ausführungen unter Abschnitt II.2. Buchst.a das einzelne Wirtschaftsgut bewertet. Es wird der "Teil-Wert" angesetzt, der für das Wirtschaftsgut im Rahmen eines Gesamtkaufpreises für das gesamte lebende Unternehmen anzusetzen wäre. Dabei kann nicht isoliert auf den Ertrag des einzelnen Wirtschaftsgutes abgestellt werden. Eine solche Betrachtung wäre bei der Ermittlung des gemeinen Werts anzustellen. Vielmehr muß der mit diesem Wirtschaftsgut beabsichtigte unternehmerische Zweck und die Funktion des Wirtschaftsguts im Betriebsorganismus berücksichtigt werden.

3. Handelsrechtliche Bewertungsgrundsätze führen zu keinem anderen Ergebnis. Sie gelten nicht, wenn besondere steuerrechtliche Bewertungsvorschriften bestehen (§ 5 Abs.4 --jetzt § 5 Abs.5-- EStG, § 6 EStG; vgl. auch BFH-Beschluß vom 12.Juni 1978 GrS 1/77, BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620, 625, r.Sp.; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 6.Aufl., § 5 Anm.12 b; Mathiak in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 5 Anm.A 10).

Das Ertragsteuerrecht enthält in § 6 Abs.1 EStG eine besondere, handelsrechtlichen Bewertungsgrundsätzen vorgehende Bewertungsvorschrift. Selbst wenn sich somit nach handelsrechtlichen Bewertungsgrundsätzen für die Darlehensforderungen ein anderer Wert ergäbe, wäre er für die ertragsteuerliche Bilanzierung nicht zu übernehmen.

4. Auch die Rechtsprechung des BFH zur "Teilwert-Vermutung" steht einer Abschreibung der Darlehensforderungen auf einen unter den Anschaffungskosten liegenden Wert entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH besteht eine Vermutung dafür, daß sich im Zeitpunkt der Anschaffung eines Wirtschaftsguts dessen Anschaffungskosten mit dem Teilwert decken, sofern keine "Fehlmaßnahme" vorliegt (Urteil vom 11.Januar 1966 I 99/63, BFHE 85, 275, BStBl III 1966, 310; Beschluß in BFHE 107, 296, BStBl II 1973, 79; Urteile vom 27.November 1974 I R 123/73, BFHE 114, 415, BStBl II 1975, 294; vom 13.Oktober 1976 I R 79/74, BFHE 122, 37, BStBl II 1977, 540; vom 17.Januar 1978 VIII R 31/75, BFHE 124, 441, BStBl II 1978, 335; vgl. auch Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 6 EStG Anm.590 ff.; Schmidt, a.a.O., § 6 Anm.56 a).

aa) Diese Rechtsprechung ist auch auf die "Anschaffung" von Darlehen anzuwenden. Wie für andere Wirtschaftsgüter besteht auch für Darlehen die Vermutung, daß ihr Teilwert im Zeitpunkt der Anschaffung den tatsächlichen Anschaffungskosten, also dem Nennwert, entsprach (vgl. BFH-Urteil vom 9.Juli 1981 IV R 35/78, BFHE 133, 543, BStBl II 1981, 734).

bb) Zwar bezieht sich die Vermutung nur auf Zeitpunkte kurz nach der Anschaffung des Wirtschaftsguts. Eine Teilwertabschreibung wegen späterer Wertminderungen wird durch die Teilwertvermutung nicht ausgeschlossen. Dazu bedürfte es jedoch einer Veränderung der am Anschaffungszeitpunkt bestehenden Verhältnisse (BFH-Urteil vom 19.Oktober 1972 I R 244/70, BFHE 107, 214, BStBl II 1973, 54). Eine derartige Änderung der Gesamtumstände ist bei unverzinslichen oder niedrig verzinslichen Darlehen an Arbeitnehmer während der Laufzeit in der Regel nicht gegeben. Die für die Gewährung verbilligter Darlehen maßgebenden Beweggründe bestehen in der Regel auch an späteren Bilanzstichtagen unverändert weiter. Etwas anderes würde gelten, wenn der Wert der Darlehensforderung wegen verringerter Bonität des Darlehensschuldners sinken sollte.

cc) Die Teilwertvermutung kann widerlegt werden, wenn eine Fehlmaßnahme vorlag (vgl. Beschluß in BFHE 107, 296, BStBl II 1973, 79; Urteil in BFHE 133, 543, BStBl II 1981, 734). Hierfür bestehen jedoch im Streitfall keine Anhaltspunkte. Eine Fehlmaßnahme liegt bei Aufwendungen aus sozialen Gründen beispielsweise vor, wenn Einrichtungen geschaffen werden, die von den Arbeitnehmern nicht angenommen werden (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 6 EStG Anm.1500 --soziale Zwecke--). Im Streitfall ergibt sich aus dem Umfang der gewährten Darlehen jedoch, daß die zinsverbilligten Kredite von den Arbeitnehmern in größerem Umfang in Anspruch genommen wurden.

5. Soweit der Senat im Urteil in BFHE 116, 16, BStBl II 1975, 875 eine von diesen Ausführungen abweichende Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht mehr fest.

Der erkennende Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht vom Urteil des IV.Senats vom 9.Juli 1981 IV R 35/78 (BFHE 133, 543, BStBl II 1981, 734) ab, da er die Teilwertabschreibung nur wegen des besonderen Charakters betrieblicher Sozialleistungen ablehnt.

6. Die Sache ist entscheidungsreif; da die Voraussetzungen für eine Teilwertabschreibung nicht erfüllt waren, das FG jedoch eine Teilwertabschreibung bejaht hat, ist das Urteil des FG auf die Revision aufzuheben. Die auf eine gegenüber dem angefochtenen Verwaltungsakt noch erhöhte Teilwertabschreibung gerichtete Klage ist als unbegründet abzuweisen (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 61998

BFH/NV 1989, 10

BStBl II 1990, 117

BFHE 155, 337

BFHE 1989, 337

BB 1989, 529-530 (LT1-3)

DB 1989, 558-559 (LT)

DStR 1989, 178 (KT)

HFR 1989, 299 (LT)

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