Leitsatz (amtlich)

1. Das Wohnsitz-FA ist für die Besteuerung nach dem Einkommen auch für die Veranlagungszeiträume zuständig, in denen der Steuerpflichtige zuvor in einem anderen Bundesland wohnte.

2. Eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 6 der Verordnung über die Zuständigkeit im Besteuerungsverfahren vom 3. Januar 1944 (RGBl I, 11) ist durchzuführen, wenn Wohnsitz und Betrieb im Zeitpunkt der Veranlagung in den Bezirken verschiedener FÄ und Gemeinden liegen.

 

Normenkette

AO § 73a Abs. 2, §§ 75, 78-79; Verordnung über die Zuständigkeit im Besteuerungsverfahren vom 3. Januar 1944 § 6

 

Tatbestand

Streitig ist, ob das FA nach einer Betriebsprüfung zu Recht vorläufige Gewinnfeststellungsbescheide für die Veranlagungszeiträume 1957 bis 1960 ersatzlos aufhob.

Das beklagte FA X erkannte die vom Steuerpflichtigen erklärten Verluste aus Pferdezucht in seinen vorläufigen Gewinnfeststellungsbescheiden vom 15. Dezember 1959 für den Veranlagungszeitraum 1957, vom 5. September 1960 für den Veranlagungszeitraum 1958, vom 29. Mai 1961 für den Veranlagungszeitraum 1959 und vom 25. Mai 1962 für den Veranlagungszeitraum 1960 zunächst vorläufig als Verluste aus Gewerbebetrieb an. Nach einer Betriebsprüfung hob es diese vorläufigen Gewinnfeststellungsbescheide mit Verfügung vom 8. Mai 1963 ersatzlos auf. Die Frage, ob die Pferdezucht einen Gewerbebetrieb oder Liebhaberei darstelle, sei bei der Einkommensteuerfestsetzung zu entscheiden, weil der Steuerpflichtige inzwischen seinen Wohnsitz in den Bezirk des FA X verlegt habe und deshalb die Voraussetzung für eine gesonderte Gewinnfeststellung nach § 6 der Verordnung über die Zuständigkeit im Besteuerungsverfahren vom 3. Januar 1944 (RGBl I, 11, im Folgenden: Zuständigkeitsverordnung) nicht mehr vorlägen. Das Rechtsbehelfsverfahren der Einkommensteuersache wurde bis zum Abschluß dieses Verfahrens ausgesetzt. In der Sache selbst ist der Steuerpflichtige der Auffassung, die Pferdezucht sei ein Gewerbebetrieb und nicht bloß Liebhaberei.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Die Vorinstanz ging davon aus, daß das FA die vorläufigen gesonderten Gewinnfeststellungsbescheide 1958 bis 1960 (vom 5. September 1960, 29. Mai 1961 und 25. Mai 1962) nicht hätte erlassen dürfen, weil der Steuerpflichtige bereits im Juni 1960 im Bezirk des FA X wohnhaft gewesen sei und der Gewinn deshalb nicht mehr gesondert habe festgestellt werden dürfen. Im übrigen hätten nach der Betriebsprüfung die vorläufigen Bescheide in vollem Umfange entsprechend den Erkenntnissen in diesem Zeitpunkt geändert werden können (§§ 100 Abs. 2, 225 AO). Der Gewinnfeststellungsbescheid für 1957 sei zu Recht aufgehoben worden, weil die Pferdezucht mangels Gewinnerzielungsabsicht kein Gewerbebetrieb im Sinne des Einkommensteuerrechts sei. Die Bescheide 1958 bis 1960 hätten auch aus diesem Grund keinen Bestand haben können.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Für die Besteuerung nach dem Einkommen ist das FA X zuständig, denn der Steuerpflichtige hat im Bezirk dieses FA seinen Wohnsitz (§§ 73a Abs. 2, 75 AO).

Im Schrifttum wird unter Berufung auf die Art. 106 bis 108 des GG die Auffassung vertreten, bei einem Wohnsitzwechsel über die Landesgrenzen verbleibe die Ertragshoheit und ihr folgend die Verwaltungshoheit dem Lande, in dem der Steuerpflichtige während des Veranlagungszeitraums gewohnt habe. Das FA, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige verzogen ist, sei daher für die Veranlagung früherer Veranlagungszeiträume verbandsmäßig unzuständig, die von ihm erlassenen Steuerbescheide seien nichtig (vgl. Felix, Von verbandsmäßig und sachlich unzuständigen Behörden erlassene Steuerverwaltungsakte, StuW 1961 Sp. 423 ff.; derselbe, Nichtigkeit von Steuerverwaltungsakten, die von verbandsunzuständigen Behörden erlassen werden, FR 1963, 320; Herrmann, Zur Unterscheidung zwischen verbandsmäßiger und örtlicher Zuständigkeit im Besteuerungsverfahren, StuW 1964 Sp. 771 ff.; Kruse, Steuerrecht, I. Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1969, § 20 V 2 c, S. 157; Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, Tz. 306; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, vor §§ 71 bis 81 AO Anm. 4; dieselben, Die Rechtsprechung der Finanzgerichte zum Allgemeinen Abgabenrecht, FR 1965, 313; FG Düsseldorf, Urteil vom 30. Juni 1970 II 114/70 L, EFG 1970, 501 Nr. 529; anderer Ansicht Jäger, Verbandsmäßige oder örtliche Zuständigkeit im Verhältnis der Finanzämter eines Bundeslandes zu denen eines anderen?, StuW 1962 Sp. 165 ff., und Kötting, Zur Zulässigkeit von Zuständigkeitsvereinbarungen - § 78 AO - zwischen Finanzämtern verschiedener Länder, StuW 1968 Sp. 281 ff.). Danach wäre das FA X nicht befugt, die Einkommensteuer für Veranlagungszeiträume festzusetzen, in denen der Steuerpflichtige in Hamburg wohnte. Die Frage, ob das FA X für die Einkommensteuerveranlagung zuständig ist oder ob dem das Fehlen der verbandsmäßigen Zuständigkeit entgegensteht, ist entscheidungserheblich. Denn wenn das FA X für die Einkommensteuerveranlagung zuständig ist, müssen die Feststellungsbescheide aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben werden, weil - wie noch zu zeigen sein wird - keine gesonderten Feststellungen zulässig sind. Wäre das FA X dagegen für die Einkommensteuerveranlagungen nicht zuständig, käme im vorliegenden Fall der Aufhebung der gesonderten Gewinnfeststellungen der Charakter von negativen Feststellungsbescheiden zu.

Die Lehre, daß bei einem Wohnsitzwechsel über die Landesgrenzen das örtlich zuständig werdende FA für die Veranlagungen früherer Veranlagungszeiträume verbandsmäßig unzuständig sei, entspricht nicht dem Gesetz. Nach Art. 106 Abs. 3 GG in der in den Streitjahren geltenden Fassung steht die Ertragshoheit für die Einkommensteuer dem Bund und den Ländern gemeinsam zu (Verbundsteuer; vgl. Henle, Die Ordnung der Finanzen in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1964). Die Ertragshoheit für die Einkommensteuer steht im Verhältnis zueinander den einzelnen Ländern insoweit zu, als die Steuer von den Finanzbehörden in ihrem Gebiet vereinnahmt wird (örtliches Aufkommen), Art. 107 Abs. 1 GG. Die Steuerpflicht natürlicher Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, umfaßt das Welteinkommen (§ 1 Abs. 1 EStG). Unerheblich für die Steuerpflicht ist danach, ob die einzelnen Einkünfte im Ausland oder im Inland und wo sie im Inland erzielt wurden. Die Auffassung, der Einkommensteueranspruch stehe dem Lande zu, in dessen Bezirk der anspruchsbegründende Tatbestand verwirklicht wurde, ist unzutreffend, weil der Steuergegenstand "Einkommen" nicht gebietsgebunden ist (vgl. Enno Becker, Die Grundlagen der Einkommensteuer, 1940 S. 9 ff.; Bericht der Einkommensteuerkommission, Untersuchungen zum Einkommensteuerrecht, Schriftenreihe des BdF Heft 7 S. 43; § 1 EStG 1925). Soweit Art. 107 Abs. 1 Satz 1 GG die Ertragshoheit für die Einkommensteuer an das örtliche Aufkommen knüpft, läßt sich weder aus dieser Bestimmung noch aus dem Steuergegenstand "Einkommen" etwas dafür gewinnen, bei welchem einzelnen Land die Vereinnahmungszuständigkeit liegt. Die Verfassungsbestimmung besagt andererseits auch nicht, daß das örtliche Aufkommen ohne Rücksicht auf sonstige objektive Gesichtspunkte im Empfangsland verbleibt (vgl. Vialon, Haushaltsrecht, 2. Aufl., Berlin und Frankfurt/M. 1959 S. 176 ff.). Art. 107 Abs. 1 Satz 2 GG überläßt die Abgrenzung und Zerlegung des örtlichen Aufkommens der Bundesgesetzgebung, die der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Die Abgrenzung ist für die Einkommensteuer durch das Gesetz über die Steuerberechtigung und die Zerlegung bei der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer vom 29. März 1952 - Zerlegungsgesetz (ZerlG) - (BGBl I 1952, 225, BStBl I 1952, 235) vorgenommen worden (vgl. auch Maunz-Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 107, Rdnr. 19). Ausgehend von dem nirgends gesetzlich ausgesprochenen Grundsatz, daß der einzelne Steueranspruch demjenigen Land zustehe, an dessen FA die Steuer nach den Vorschriften der AO und der sie ergänzenden Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit zur Besteuerung zu entrichten ist, haben sich die Gesetzgebungsorgane mit dem Problem des Wohnsitzwechsels eines Steuerpflichtigen von einem Land zum anderen beschäftigt und sich die Frage gestellt: "Bis wann soll das erste Land, von wann ab soll das zweite Land steuerberechtigt sein?" Vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Steuerberechtigung und die Zerlegung bei der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer, Bundestagsdrucksache Nr. 2644 vom 3. Oktober 1951 S. 5. Der Anspruch auf Einkommensteuer für ein Kalenderjahr steht unmittelbar dem Land zu, in dem der Steuerpflichtige am 10. Oktober d. J. oder an dem in dieses Kalenderjahr fallenden Stichtag der Personenstandsaufnahme seinen Wohnsitz hat, § 1 Abs. 1 ZerlG. Wird eine unanfechtbar gewordene Steuerfestsetzung berichtigt, so steht ein zusätzlicher Zahlungsanspruch, der sich aus der Berichtigung ergibt, abweichend von Abs. 1 dem Land zu, dessen FA die Berichtigung vorgenommen hat. Entsprechendes gilt für eine Erstattungsverpflichtung (§ 1 Abs. 2 ZerlG). Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ZerlG bleiben die Vorschriften der AO über die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung unberührt. In § 1 Abs. 3 Satz 2 ZerlG wird schließlich der Fall geregelt, daß einem Land ein Steuerbetrag zugeflossen ist, dem der Steueranspruch nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht zusteht. In einem solchen Fall ist der Steuerbetrag von dem Land, das ihn vereinnahmt hat, an das steuerberechtigte Land zu überweisen. Die Überweisung unterbleibt, wenn der zu überweisende Betrag 1 000 DM (in der Fassung des Gesetzes vom 14. Mai 1965, BGBl I 1965, 377 [385]: 5 000 DM) nicht übersteigt.

Bund und Länder sind danach nicht davon ausgegangen, die Einkommensteuer könne nur von einem "verbandsmäßig" zuständigen FA erhoben werden. Ein solches Erfordernis ist ausdrücklich abgelehnt worden (vgl. Bundestagsdrucksache Nr. 2644 vom 3. Oktober 1951 S. 8). Die Einkommensteuer ist also nach § 1 ZerlG unabhängig von der Ertragshoheit von dem örtlich zuständigen FA zu erheben. Die Ertragshoheit berührt nur das Verhältnis zwischen dem einnehmenden und dem berechtigten Land. Die Frage, welchem von mehreren Ländern der Einkommensteueranspruch zustehen soll, berührt dagegen nicht die Rechte des Steuerpflichtigen und hat keinen Einfluß auf die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides. Es besteht auch kein Bedürfnis dafür, die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der föderativ gestalteten Verfassung durch die Einführung eines Merkmals "verbandsmäßige Zuständigkeit" zu erschweren, das dem Rechtsschutz der Bürger nicht nutzt, der Rechts-, Wirtschafts- und Verbandseinheit von Bund und Ländern entgegengerichtet ist und das von der dem Bund und den Ländern aufgegebenen organisatorischen Ordnung nicht gefordert ist. In dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des ZerlG (Bundesratsdrucksache 193/70) ist für § 1 Abs. 1 bis 3 der bisherigen Fassung des ZerlG keine Änderung vorgesehen. Demnach besteht nach den Erfahrungen der Vergangenheit auch für die Zukunft kein Bedürfnis zu einer Änderung der Vorschriften über die Einkommensteuererhebung.

Soweit sich aus dem die Kapitalverkehrsteuer betreffenden Urteil des BFH II 29/65 vom 26. Mai 1970, BFH 99, 553, BStBl II 1970, 759, etwas anderes ergibt, vermag der Senat dem für die Einkommensteuer nicht zu folgen. Eine Anrufung des Großen Senats kam nicht in Betracht, denn die Frage der verbandsmäßigen Zuständigkeit war in dem Urteil des II. Senats nicht entscheidungserheblich.

Das FA X war zur Aufhebung der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungen verpflichtet. Regelmäßig bildet die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen einen unselbständigen Teil des Steuerbescheids (§ 213 Abs. 1 AO). Davon abweichend ist der Gewinn aus dem gewerblichen Betrieb eines Einzelunternehmers nach § 6 Abs. 1 der Zuständigkeitsverordnung durch das Betriebs-FA gesondert festzustellen, wenn der gewerbliche Einzelunternehmer seinen Wohnsitz und seinen Betrieb (die Geschäftsleitung des Betriebs) in den Bezirken verschiedener FÄ und verschiedener Gemeinden hat. Der Wortlaut der Vorschrift sagt nichts darüber, ob dafür die Verhältnisse im Zeitpunkt der Verwirklichung des Steuertatbestandes oder die im Zeitpunkt der Veranlagung maßgebend sind. Zutreffend führte die Vorinstanz aus, daß es Sinn der Zuständigkeitsverordnung ist, dem für die Besteuerung nach dem Einkommen zuständigen Wohnsitz-FA Ermittlungen in dem ihm fremden Bezirk des Betriebs-FA zu ersparen. Liegen im Zeitpunkt der Veranlagung Wohnsitz und Betrieb nicht in den Bezirken verschiedener FÄ, besteht demnach auch keine Veranlassung, eine gesonderte Gewinnfeststellung durchzuführen oder aufrechtzuerhalten. Zutreffend ging daher das FA davon aus, daß es die Frage, ob die Pferdezucht ein Gewerbebetrieb oder Liebhaberei ist, bei der Einkommensteuerveranlagung entscheiden muß.

 

Fundstellen

BStBl II 1971, 151

BFHE 1971, 91

NJW 1971, 1335

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