Leitsatz (amtlich)

Kann der Antrag auf Erhöhung eines im Lohnsteuerermäßigungsverfahren eingetragenen Freibetrags deshalb keinen Erfolg mehr haben, weil sich die begehrte Eintragung wegen Zeitablaufs im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht mehr auswirken kann, so kann ein berechtigtes Interesse i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO an der Feststellung bestehen, daß der ursprünglich vom FA erlassene Verwaltungsakt rechtswidrig war. Der Klagantrag ist deshalb entsprechend umzustellen.

 

Normenkette

FGO §§ 41, 100 Abs. 1 S. 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Kunsterzieher. In seinem am 27. Dezember 1973 gestellten Antrag auf Lohnsteuerermäßigung 1974 machte er u. a. Aufwendungen in Höhe von 7 278 DM als Werbungskosten geltend. Mit Bescheid vom 24. Januar 1974 berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gemäß § 27 Abs. 3 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung 1971 (LStDV 1971) Werbungskosten vorläufig nur in Höhe von 945 DM. Hiergegen legte der Kläger am 7. Februar 1974 Einspruch ein und machte weitere Aufwendungen im Betrag von 2 488 DM als Werbungskosten geltend.

Am 30. April 1974 erhob er Klage und stützte diese auf § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Am 7. Mai 1974 wies das FA den Einspruch zurück. In der Klage beantragte der Kläger, den Bescheid vom 24. Januar 1974 aufzuheben und das FA zu verpflichten, einen weiteren Freibetrag von 2 488 DM auf der Lohnsteuerkarte vorläufig einzutragen. Mit Schriftsatz vom 14. Februar 1975 änderte er sein Klagebegehren und beantragte die Feststellung, daß die Bescheide vom 24. Januar 1974 und vom 7. Mai 1974 rechtswidrig gewesen seien, soweit sie die Eintragung eines weiteren Freibetrages von 2 488 DM abgelehnt hätten. Er habe daran im Hinblick auf das Einkommensteuerverfahren und für den Fall der Wiederholung ein berechtigtes Interesse. Hilfsweise beantragte er, einen weiteren Freibetrag von 2 488 DM festzusetzen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte im wesentlichen aus: Der Übergang von der Untätigkeitsklage zu einer Feststellungsklage sei zulässig, da sich das FA in der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen habe. Die Feststellungsklage sei jedoch nach § 41 Abs. 2 FGO nicht zulässig, weil der Kläger seine Rechte durch Gestaltungsklage in Form einer Anfechtungsklage hätte verfolgen können. Er habe es versäumt, diese Klage unter Beachtung der Zulässigkeitsvoraussetzungen zu erheben. Der Ablauf des Jahres 1974 sei für die Zulässigkeit der Feststellungsklage ohne Bedeutung. Hätte der Kläger in zulässiger Weise eine Anfechtungsklage erhoben, wäre diese mit Ablauf des Jahres nicht unzulässig geworden. Das Rechtsschutzbedürfnis wäre für sie nicht entfallen, weil im Lohnsteuerverfahren ergangene Gerichtsurteile eine natürliche Autorität besäßen und es nicht vertretbar sei, den Kläger auf ein neues Verfahren zu verweisen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. November 1972 VI R 115/71, BFHE 108, 92, BStBl II 1973, 223). Da die Anfechtungsklage trotz Zeitablaufs nicht unzulässig geworden wäre, sei die Feststellungsklage nach § 41 Abs. 2 FGO nicht zulässig.

Auch der Hilfsantrag sei unzulässig. Sollte dieser sich auf die anfangs erhobene Untätigkeitsklage stützen, folge dies aus der Unzulässigkeit dieser Klage (Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 20. November 1973 III 118/73, Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 156 - EFG 1974, 156 -). Sollte Gegenstand des Hilfsantrages die ergangene Einspruchsentscheidung sein, sei das Klagebegehren ebenfalls unzulässig, weil die Einspruchsentscheidung Inhalt der Untätigkeitsklage geworden sei (BFH-Urteil vom 30. Januar 1976 III R 61/74, BFHE 118, 288, BStBl II 1976, 428).

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 41, 46 Abs. 1 Satz 2, § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO.

Die vor dem Ablauf der Sechs-Monats-Frist gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO erhobene Untätigkeitsklage sei entgegen der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen FG III 118/73 nach Ablauf dieser Frist zulässig geworden. Im übrigen stelle die Ablehnung der Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte einen Umstand i. S. des § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO dar, der eine Klageerhebung vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist rechtfertige. Denn der Arbeitnehmer, der sich gegen die Höhe des Lohnsteuerabzuges nur im Lohnsteuerermäßigungsverfahren zur Wehr setzen könne, bedürfe eines zeitnahen Rechtsschutzes.

Auch der Feststellungsantrag sei zulässig. Mit Ablauf des Kalenderjahres habe sich die Hauptsache erledigt. Nur mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides könne der Kläger eine Erstattung zuviel einbehaltener Lohnsteuer erreichen. Ob nach Ablauf des Kalenderjahres noch ein Interesse an der Eintragung eines Freibetrages bestehe, sei zweifelhaft; denn im Lohnsteuerermäßigungsverfahren ergangene Entscheidungen seien für das Veranlagungsverfahren nicht verbindlich (BFH-Urteil VI R 115/71). Wenn dagegen die Rechtswidrigkeit des im Lohnsteuerermäßigungsverfahren ergangenen Bescheides festgestellt werde, werde das FA die Aufwendungen, die zur Eintragung eines Freibetrages hätten führen müssen, auch im Veranlagungsverfahren berücksichtigen.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat zu Unrecht das vom Kläger mit dem Hauptantrag verfolgte Feststellungsbegehren als unzulässig zurückgewiesen.

Die Zulässigkeit des Feststellungsantrages folgt allerdings nicht bereits aus § 41 FGO. Nach dieser Vorschrift kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Feststellung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts kann jedoch nicht Gegenstand einer Feststellungsklage gemäß § 41 Abs. 1 FGO sein, da ein Verwaltungsakt selbst kein Rechtsverhältnis darstellt, sondern ein solches nur begründen, ändern oder beenden kann (Ziemer/Haarmann/Lohse, Rechtsschutz in Steuersachen, Bd. 2 Tz. 5814 mit weiteren Nachweisen; v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 41 FGO Anm. 8).

Im Streitfall sind indes die Voraussetzungen für einen zulässigen Antrag nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO gegeben. Danach spricht das Gericht, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt vor der Entscheidung durch Zurücknahme oder anders erledigt hat, auf Antrag des Klägers aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Davon ist im Streitfall auszugehen; denn die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte 1974 des Klägers konnten spätestens im Lohnsteuer-Jahresausgleich durch den Arbeitgeber bei der Lohnabrechnung für den Lohnzahlungszeitraum, der im März 1975 endete, berücksichtigt werden (§ 42 b Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes 1975 - EStG 1975 -, § 3 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung über den Lohnsteuerjahresausgleich 1971 - JAV 1971 -). Kann der Antrag auf Erhöhung eines im Lohnsteuerermäßigungsverfahren eingetragenen Freibetrages deshalb keinen Erfolg mehr haben, weil sich die begehrte Eintragung wegen Zeitablaufs im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht mehr auswirken kann, besteht ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO an der Feststellung, daß der ursprünglich vom FA erlassene Verwaltungsakt rechtswidrig war. Damit ist im Gegensatz zu der Rechtsauffassung des FG der vom Kläger gestellte Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ablehnungsbescheides zulässig (Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 40 EStG Anm. 3). Der Kläger hat zu Recht den Klagantrag entsprechend geändert. Soweit der Senat in der Entscheidung VI R 115/71 und in dem Urteil vom 2. Dezember 1977 VI R 180/76 (BFHE 124, 64, BStBl II 1978, 159) davon ausgegangen ist, das bisherige Anfechtungsverfahren werde auch nach dem Ablauf des Monats März des dem Streitjahr folgenden Jahres als solches noch fortgesetzt, hält er an dieser Auffassung nicht mehr fest.

Das Lohnsteuerermäßigungsverfahren steht zwar als selbständiges Verfahren neben dem Lohnsteuer-Jahresausgleich oder der Einkommensteuerveranlagung, die nach eigenen Regeln abgewickelt werden. Eine rechtliche Bindung der Entscheidungen im Eintragungsverfahren für den Lohnsteuer-Jahresausgleich oder das Veranlagungsverfahren besteht nicht (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 JAV 1971; BFH-Urteil vom 12. Mai 1955 IV 69/55 U, BFHE 61, 39, BStBl III 1955, 213). Daraus folgt jedoch nicht, daß dem Antrag des Klägers das Feststellungsinteresse i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO abzusprechen wäre. Eine im Lohnsteuerermäßigungsverfahren ergangene rechtskräftige gerichtliche Entscheidung ist für die Beteiligten in einem sich für das gleiche Streitjahr anschließenden Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren oder in einem nachfolgenden Veranlagungsverfahren nach § 46 EStG aus prozeßökonomischen Gründen beachtlich, sofern sich ihnen der zu beurteilende Sachverhalt unverändert darstellt. Dies reicht in Fällen der vorliegenden Art zur Bejahung eines berechtigten Interesses i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO aus, da davon auszugehen ist, daß die Gerichte bei einer erneuten Entscheidung im Rahmen des Veranlagungs- oder Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahrens bei unveränderter Sachlage den gleichen Rechtsstandpunkt wie im Lohnsteuerermäßigungsverfahren einnehmen, und daß deshalb auch die Beteiligten sich der Auffassung der Gerichte anschließen werden. Für den ähnlich liegenden Fall der Erledigung eines angefochtenen Bescheides hat der BFH ebenfalls ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts bejaht (Urteil vom 16. Dezember 1971 IV R 221/67, BFHE 103, 555, BStBl II 1972, 182). Denn in diesen Fällen ist - wie hier - mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß das FA den im wesentlichen gleichen Sachverhalt nach seiner ursprünglichen, dem Steuerpflichtigen ungünstigen Rechtsauffassung beurteilen wird.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann einem im Eintragungsverfahren anhängig gewordenen Rechtsstreit nicht dadurch die Grundlage entzogen werden, daß sich die Entscheidung über den maßgeblichen Zeitpunkt hinaus verzögert. Der Senat hat es deshalb stets für Rechtens erachtet, in Lohnsteuerermäßigungsverfahren auch noch nach dem Ablauf des Monats März des dem Streitjahr folgenden Jahres zu entscheiden. Es wäre prozeßökonomisch nicht vertretbar, das Verfahren ohne Sachentscheidung zu beenden und den Kläger wegen der im Lohnsteuer-Jahresausgleich oder bei der Einkommensteuerveranlagung auftretenden gleichen Rechtsfragen auf ein neues Gerichtsverfahren zu verweisen (BFH-Urteile VI R 115/71, VI R 180/76). Spätestens nach Ablauf des Monats März des dem Streitjahr folgenden Jahres geht das Anfechtungsverfahren allerdings in ein Feststellungsverfahren nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO über. Die Anträge müssen deshalb insoweit umgestellt werden. Die Gerichte werden zu erwägen haben, inwieweit sie darauf nach § 76 Abs. 2 FGO hinwirken müssen.

Die Vorentscheidung, die auf einer abweichenden rechtlichen Beurteilung beruht, war aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif; sie wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73219

BStBl II 1979, 650

BFHE 1979, 148

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