Entscheidungsstichwort (Thema)

Selbständigkeit oder Zusammenfassung von beweglichen Wirtschaftsgütern; Nutzungs- und Funktionszusammenhang

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ob eine bewegliche Sache nach ihrer Verbindung mit einer anderen beweglichen Sache noch ein eigenes selbständiges Wirtschaftsgut ist oder nur ein unselbständiger Teil eines anderen Wirtschaftsgutes, ist nach der allgemeinen Verkehrsanschauung zu entscheiden.

2. Der Nutzungs- und Funktionszusammenhang, in dem die Sachen nach der Verbindung stehen, ist für sich allein kein geeignetes Beurteilungsmerkmal. Für die Selbständigkeit oder Zusammenfassung sind vielmehr in erster Linie von Bedeutung die Festigkeit der Verbindung (§ 93 BGB), die Zeitdauer, auf die die Verbindung angelegt ist, sowie das äußere Erscheinungsbild vor und nach der Verbindung.

3. Die selbständige Bewertbarkeit einer dienenden beweglichen Sache geht regelmäßig verloren, wenn die Hauptsache ohne die Verbindung mit der dienenden Sache unvollständig erscheint oder gar ein negatives Gepräge hat (Anschluß an die BFH-Urteile vom 28.Juni 1983 VIII R 179/79, BFHE 139, 509, BStBl II 1984, 196, und vom 13.März 1990 IX R 104/85, BFHE 160, 29, BStBl II 1990, 514).

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, § 5; BerlinFG § 19 Fassung: 1982-02-23; BGB § 93

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) unterhält in Berlin (West) einen Betrieb des verarbeitenden Gewerbes. Sie erwarb im Streitjahr (1983) einen Schraubenkompressor, für den sie die erhöhte Investitionszulage von 25 v.H. nach § 19 des Berlinförderungsgesetzes 1982 (BerlinFG 1982) begehrt.

Der Schraubenkompressor dient der Luftverdichtung im zu verarbeitenden Produkt. Dabei wird dem Produkt die Luft über ein 2-3 m langes Rohr zugeführt, das den Kompressor mit der Anlage verbindet. Die Verbindung wird durch eine Verschraubung hergestellt. Mit der zugeführten Luft wird das Verarbeitungsergebnis verbessert.

Im Streitjahr 1983 wurde der Schraubenkompressor an eine gemietete Anlage zu Versuchszwecken angeschlossen. Da sich das Verfahren bewährte, erwarb die Klägerin im Jahre 1984 eine eigene größere Anlage und schloß den Kompressor an diese an.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) versagte die Zulage insoweit ―auch in der Einspruchsentscheidung― mit der Begründung, daß es sich bei der Anschaffung des Schraubenkompressors um nachträgliche Herstellungskosten handele. Solche nachträglichen Herstellungskosten seien, soweit sie sich auf bewegliche Wirtschaftsgüter beziehen, nach dem Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20.März 1981 III R 114/80 (BFHE 134, 75, BStBl II 1981, 785) nicht begünstigt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Nach § 19 BerlinFG werde eine Investitionszulage für ein angeschafftes oder hergestelltes Wirtschaftsgut nur dann gewährt, wenn es nach seiner Anschaffung oder Herstellung drei Jahre lang als selbständiges Wirtschaftsgut zum Anlagevermögen eines Berliner Betriebes gehöre. Es dürfe seine Eigenschaft als selbständiges Wirtschaftsgut nicht durch einen Einbau oder durch eine sonstige Verbindung mit einem anderen Wirtschaftsgut verlieren. Das FG sah eine solche Verbindung unter zwei alternativen Voraussetzungen als gegeben an: Einmal dann, wenn die Verbindung so fest ist, daß die Teile nicht voneinander getrennt werden können, ohne daß der eine oder andere in seinem wirtschaftlichen Wert vernichtet oder beeinträchtigt wird (Gedanke aus § 93 des Bürgerlichen Gesetzbuches ―BGB―). Zum anderen dann, wenn die Verbindung diese Festigkeit zwar nicht erreicht, beide miteinander verbundenen Teile aber auf Dauer einem einheitlichen Zweck dienen (Gedanke aus §§ 94 Abs.2 und 95 Abs.2 BGB). Das FG nahm eine Verbindung im letzteren Sinne an, weil die Anlage und die Kompressoranlage einem einheitlichen Zweck ―nämlich der Herstellung von … dienten.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Investitionszulage unter Abänderung des angefochtenen Bescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf … DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Festsetzung der Investitionszulage für das Jahr 1983 in der von der Klägerin beantragten Höhe.

Das FG hat zu Unrecht angenommen, der Schraubenkompressor habe mit dem Anschluß an die verschiedenen Anlagen seine selbständige Bewertungsfähigkeit verloren; es hat an diese Rechtsfolge zu geringe Anforderungen gestellt.

1. Die selbständige Bewertungsfähigkeit eines Gegenstandes im Sinne des BGB ist auch zulagenrechtlich das Hauptkriterium für die Beurteilung desselben als selbständiges Wirtschaftsgut (siehe dazu aus jüngster Zeit den Beschluß des erkennenden Senats vom 16.Februar 1990 III B 90/88, BFHE 160, 364, BStBl II 1990, 794, sowie davor das Urteil vom 25.August 1989 III R 17/84, BFHE 158, 283, BStBl II 1990, 79).

a) Ein im Wirtschaftsleben selbständig bewertbares Gut liegt dann vor, wenn es in seiner Einzelheit von Bedeutung und bei einer Veräußerung greifbar ist. Ob ein Gegenstand in diesem Sinne gegenüber einem lediglich unselbständigen Teil eines Wirtschaftsgutes oder gegenüber einem anderen Wirtschaftsgut abgegrenzt, d.h. individualisiert werden kann, ist nach der allgemeinen Verkehrsanschauung zu entscheiden (siehe hierzu z.B. das BFH-Urteil vom 20.Februar 1975 IV R 79/74, BFHE 115, 335, BStBl II 1975, 510; vgl. auch Plückebaum in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 4 Rdnrn.B 64 f., m.w.N.). Das Ausmaß der Verbindung ist dabei nicht allein ausschlaggebend (so schon BFH-Urteil vom 16.Dezember 1958 I 286/56 S, BFHE 68, 198, BStBl III 1959, 77).

aa) Für die Frage, ob Teile eines Gebäudes als verschiedene Wirtschaftsgüter aufzufassen sind, hat die Rechtsprechung auf den Nutzungs- und Funktionszusammenhang abgestellt, in dem die einzelnen Teile zueinander stehen (s. insbesondere BFH-Beschluß vom 26.November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132). Für die Beurteilung des umgekehrten Falles, in dem es um die Zusammenfassung mehrerer getrennter oder nur lose verbundener Wirtschaftsgüter geht, ist das Kriterium des Nutzungs- und Funktionszusammenhanges als regelmäßig nicht geeignet angesehen worden. So reicht nach dem Urteil des BFH vom 30.Juli 1981 IV R 37/78 (BFHE 134, 32, BStBl II 1981, 783) z.B. die einheitliche Nutzung mehrerer Gebäude für Zwecke der Landwirtschaft nicht aus, um eine einzige Gebäudeeinheit mit im übrigen unselbständigen Gebäudeteilen anzunehmen.

Die fehlende bauliche Verbindung wurde allerdings dann für unerheblich angesehen, wenn eine Baulichkeit oder eine sonstige Einrichtung dem auf demselben Grundstück befindlichen Hauptgebäude derart dient, daß dieses ohne die Einrichtung ―bei Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung― als unvollständig erscheint oder gar ein negatives Gepräge erhält (BFH-Urteil vom 28.Juni 1983 VIII R 179/79, BFHE 139, 509, BStBl II 1984, 196).

bb) Diese Grundsätze gelten auch, wenn es um die Beurteilung beweglicher Sachen im Verhältnis zu Gebäuden geht (vgl. aus jüngster Zeit BFH-Urteil vom 13.März 1990 IX R 104/85, BFHE 160, 29, BStBl II 1990, 514, zu Aufwendungen für eine Einbauküche).

cc) Der Senat ist der Auffassung, daß von ähnlichen Überlegungen auch bei der Abgrenzung oder Zuordnung beweglicher Sachen untereinander auszugehen ist. Auch hier genügt für die Annahme eines einheitlichen Wirtschaftsgutes ―entgegen der Auffassung des FG― nicht, daß zwei oder mehrere Gegenstände einem einheitlichen Zweck dienen. Diese "Zweckeinheit" ist lediglich ein Indiz dafür, daß eine Zusammenfassung der betreffenden Gegenstände in Betracht kommt. Für die abschließende Beurteilung sind aber noch weitere Kriterien heranzuziehen. Es sind dies nach Auffassung des Senats insbesondere der Grad der Festigkeit einer eventuell vorgenommenen Verbindung (§ 93 BGB), der Zeitraum, auf den eine eventuelle Verbindung oder die gemeinsame Nutzung mehrerer beweglicher Sachen angelegt sind (s. hierzu auch das Urteil des Senats in BFHE 158, 283, BStBl II 1990, 79), sowie das äußere Erscheinungsbild. Ist letzteres dadurch bestimmt, daß die Gegenstände für sich allein betrachtet unvollständig erscheinen oder gar ein Gegenstand ohne den/die anderen ein negatives Gepräge hat, ist regelmäßig von einem einheitlichen Wirtschaftsgut auszugehen (vgl. hierzu das Urteil in BFHE 139, 509, BStBl II 1984, 196).

b) Für die Frage, ob ein Gegenstand selbständig bewertbar ist, stellt der erkennende Senat seit seinem Urteil in BFHE 134, 75, BStBl II 1981, 785 außerdem auf den Zeitpunkt der bestimmungsgemäßen Verwendung des betreffenden Gegenstandes ab.

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat der von der Klägerin im Jahre 1983 (Streitjahr) angeschaffte Schraubenkompressor im hier zu beurteilenden Zeitraum seine selbständige Bewertbarkeit nicht verloren; er ist ein selbständiges Wirtschaftsgut geblieben.

a) Nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin im Klageverfahren wurde der Kompressor zunächst an eine gemietete Versuchsanlage angeschlossen; es stand noch nicht fest, ob das angestrebte Ziel (Luftverdichtung in … damit erreicht werden würde.

Bei Beachtung dieses Sachverhalts hätte das FG selbst bei Zugrundelegung der von ihm im übrigen angewendeten Grundsätze zu dem Ergebnis kommen müssen, daß der Kompressor jedenfalls durch diese Verbindung seine (selbständige) Wirtschaftsguteigenschaft noch nicht verloren hatte. Denn das FG hat bei seiner rechtlichen Würdigung entscheidend auf eine auf Dauer angelegte Verbindung abgestellt (Hinweis auf den Rechtsgedanken, der § 94 Abs.2 und § 95 Abs.2 BGB zugrunde liegt).

Das FG hätte dann weiter prüfen müssen, ob der ―bei seiner Auffassung― später (mit dem Anschluß an die eigene Anlage) anzunehmende Verlust der selbständigen Bewertungsfähigkeit des Kompressors zulagenschädlich war. Zu denken gewesen wäre insbesondere an die dann möglicherweise fehlende Einhaltung der dreijährigen Verbleibensfrist in § 19 Abs.2 Satz 1 BerlinFG 1982. Der BFH hat den Verlust der selbständigen Bewertbarkeit im Urteil in BFHE 87, 313, BStBl III 1967, 125 zur Vorgängervorschrift des § 21 Abs.2 Satz 1 des Berlinhilfegesetzes (BHG) 1962 insoweit zwar für unschädlich gehalten. Allerdings sind Zweifel entstanden, ob diese Rechtsprechung im Hinblick auf die im Urteil in BFHE 134, 75, BStBl II 1981, 785 aufgestellten Grundsätze noch Gültigkeit hat (siehe hierzu insbesondere Söffing in Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, Kommentar, § 19 Rdnr.239, 36.Ergänzungslieferung VII/88).

b) Der erkennende Senat braucht hierzu jedoch nicht abschließend Stellung zu nehmen. Der Kompressor hat bei Anwendung der unter Nr.1 dargestellten Grundsätze weder im Streitjahr (1983) noch im Jahre 1984 seine selbständige Bewertbarkeit verloren.

aa) Der Anschluß des Kompressors an die gemietete Anlage rechtfertigt schon deswegen nicht die Annahme nur noch eines (einheitlichen) Wirtschaftsgutes, weil diese Verbindung nicht zum Verlust des Alleineigentums der Klägerin am Kompressor geführt hat. Dieser wurde nicht wesentlicher Bestandteil der im Eigentum eines anderen stehenden Anlage (§§ 93, 947 BGB); er wurde durch die spätere Trennung von dieser nicht einmal in seiner Funktion beeinträchtigt, geschweige denn im Wesen verändert oder gar zerstört. Außerdem war die erste Verbindung nicht auf Dauer angelegt. Die Klägerin hatte den Kompressor im Streitjahr (1983) zu Versuchszwecken also lediglich vorübergehend an die gemietete Anlage angeschlossen.

Ungeachtet dessen hatte der Kompressor aber auch nicht eine derart dienende Funktion, daß die Versuchsanlage ohne ihn der Verkehrsauffassung nach etwa unvollständig gewesen wäre (siehe hierzu das Urteil in BFHE 139, 509, BStBl II 1984, 196, m.w.N.). Dies ergibt sich schon daraus, daß die Anlage vom Vermieter ohne den vorgeschalteten Kompressor zur Verfügung gestellt und so auch wieder zurückgenommen worden war.

bb) Der Kompressor hat seine Eigenschaft als selbständiges Wirtschaftsgut aber auch nicht dadurch verloren, daß er von der Klägerin im Jahre 1984 an eine eigene Anlage angeschlossen wurde.

Auch diese Verbindung bestand aus einer bloßen Verschraubung, die jederzeit und ohne den Kompressor in seiner eigenen Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen, gelöst werden konnte. Außerdem konnte der Kompressor sowohl von der Klägerin als auch von einem potentiellen Erwerber ―selbst des ganzen Unternehmens― durchaus in anderem Zusammenhang verwendet werden. Er war in seiner Einzelheit weiterhin von Bedeutung (s. oben Nr.1 a).

Hinzu kommt, daß auch die Anlage der Klägerin ohne den Kompressoranschluß funktionsfähig war. Die Klägerin hatte diese Anlage über den Markt bezogen. Es ist vom FA nicht vorgetragen und auch für den Senat nicht ersichtlich, daß die Anlage ―unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung― im Verkaufszustand, also ohne den angeschlossenen Kompressor, etwa als unvollständig anzusehen gewesen wäre. Sie entsprach vielmehr im Gegenteil den Anforderungen, die potentielle Abnehmer allgemein an sie stellten. Denn die Klägerin hat wiederholt ―vom FA unwidersprochen― vorgetragen, daß die "Verbesserung" der Anlage durch das Zuschalten des Kompressors ein individuelles Betriebsgeheimnis darstelle.

3. Nach alledem erfüllte die Anschaffung des Schraubenkompressors die Voraussetzungen des § 19 Abs.1 i.V.m. Abs.2 Satz 1 BerlinFG 1982; der Klägerin steht dafür eine Investitionszulage zu. Die Sache ist daher spruchreif. Die Zulage war antragsgemäß festzusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63274

BFH/NV 1991, 14

BStBl II 1991, 187

BFHE 162, 177

BFHE 1991, 177

BB 1991, 307

BB 1991, 307 (LT)

DB 1991, 579 (T)

HFR 1991, 275 (LT)

StE 1991, 58 (K)

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