Leitsatz (amtlich)

Wird die Haftungssumme durch Änderungsbescheid herabgesetzt, weil sich die zugrundeliegende Steuerschuld vermindert hat, liegt eine Teilrücknahme i. S. des § 130 Abs. 1 AO 1977 vor, die den Bestand des ursprünglichen Haftungsbescheides in dem von der Teilrücknahme nicht betroffenen Umfang nicht berührt (§ 124 Abs. 2 AO 1977). Zur Fortführung eines gegen den ursprünglichen Haftungsbescheid eingeleiteten Klageverfahrens bedarf es deshalb keines Antrages nach § 68 FGO.

 

Normenkette

AO 1977 § 124 Abs. 2, § 130 Abs. 1; FGO § 68

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hatte durch Bescheid vom 9. August 1977 den Kläger und Revisionskläger (Kläger) als (früheren) Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (bezüglich deren Vermögen am 3. Februar 1977 die Eröffnung des Konkursverfahrens abgelehnt worden war) wegen deren Umsatzsteuern aus den Jahren 1974, 1975 und 1976 zuzüglich verwirkter Säumniszuschläge in Höhe von 100 779, 14 DM in Anspruch genommen. Nach erfolglosem Einspruch hat der Kläger dagegen am 15. Dezember 1978 Anfechtungsklage erhoben mit dem Antrag, den Haftungsbescheid aufzuheben.

Durch Bescheid vom 5. Dezember 1979 - bezeichnet als "geänderter Haftungsbescheid (§ 131 AO)" - hat das FA die Haftungssumme auf 86 378,24 DM herabgesetzt. Damit wurde der geänderten Berechnung der von der GmbH geschuldeten Umsatzsteuer aufgrund der bislang noch ausstehenden Veranlagung für das Jahr 1976 Rechnung getragen (Umsatzsteuer-Bescheid vom 14. September 1979). Der Kläger hat auch diesen Haftungsbescheid mit dem Einspruch angefochten.

In dem über den Haftungsbescheid vom 9. August 1977 anhängigen Rechtsstreit vor dem Finanzgericht (FG) hat der Kläger erklärt, den Klageantrag nur noch in Höhe des herabgesetzten Haftungsbetrages von 86 378,24 DM aufrecht zu erhalten. Er hat es abgelehnt, zu beantragen, den Bescheid vom 5. Dezember 1979 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Vielmehr hat er beantragt, den über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 9. August 1977 anhängigen Rechtsstreit bis zur Erledigung der Anfechtung des Bescheides vom 5. Dezember 1979 auszusetzen.

Das FG hat die Klage gegen den Bescheid vom 9. August 1977 als unzulässig abgewiesen, weil dieser Bescheid infolge des nachfolgenden Bescheides vom 5. Dezember 1979, der einen Widerruf nach § 131 der Abgabenordnung (AO 1977) darstelle, unwirksam geworden sei (§ 131 Abs. 3 AO 1977). Da mithin eine Beschwer durch den Bescheid vom 9. August 1977 während des Klageverfahrens entfallen sei und der Kläger die Möglichkeit eines Antrages nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht genutzt habe, sei für die Klage gegen den ursprünglichen Bescheid vom 9. August 1977 das Rechtsschutzinteresse endgültig entfallen. Ferner sei ein Rechtsschutzinteresse für den Antrag auf Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 FGO nicht erkennbar. Beide Haftungsbescheide hätten - abgesehen von der unterschiedlichen Höhe der Haftungssumme - denselben Regelungsinhalt. Gegen sie richteten sich dieselben Einwendungen. Die Aufhebung des Änderungsbescheides wäre demnach gleichbedeutend mit einer Aufhebung des Erstbescheides, zumal dieser aufgrund des Verböserungsverbotes betragsmäßig durch die Haftungssumme des Änderungsbescheides inhaltlich begrenzt sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet.

Das Urteil des FG ist aufzuheben, da es unzutreffend von der Erwägung getragen wird, der im Klageverfahren angefochtene Verwaltungsakt (der Haftungsbescheid vom 9. August 1977) sei gemäß § 131 AO 1977 unwirksam geworden. Dem FG ist im Ausgangspunkt nur insoweit zuzustimmen, daß im Geltungsbereich der Abgabenordnung bei Haftungsbescheiden nicht mehr die Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden sinngemäß anzuwenden sind (so früher § 97 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung), sondern nunmehr die allgemeinen Vorschriften für Verwaltungsakte im Dritten Teil der Abgabenordnung gelten (vgl. Tipke/Kruse), Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 10. Aufl., § 191 AO 1977 Anm. 18, 24; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 191 AO 1977 Anm. 63, 97; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 191 AO 1977 Anm. 2). Bei Rechtswidrigkeit eines Haftungsbescheides, die die Höhe der Haftungssumme betrifft, kann dieser Verwaltungsakt nach § 130 Abs. 1 AO 1977 ganz oder teilweise zurückgenommen werden.

Die Korrektur des Haftungsbescheides vom 9. August 1977 durch den weiteren Haftungsbescheid vom 5. Dezember 1979 ist eine Teilrücknahme i. S. des § 130 Abs. 1 AO 1977, denn das FA hat den Erstbescheid vom 9. August 1977 nicht ausdrücklich aufgehoben. Mit der teilweisen Rücknahme in Höhe der Herabsetzung der Haftungssumme wurde die aus der Sicht des FA bestehende Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheides vom 9. August 1977 beseitigt. Mit diesem Haftungsbescheid war nämlich eine Haftungssumme festgesetzt worden, die betragsmäßig die von der GmbH geschuldete Umsatzsteuer überstieg. Dies ergab sich zwar erst aufgrund der im Jahre 1979 durchgeführten Veranlagung für das Jahr 1976, ändert jedoch an der jedenfalls insoweit bestehenden inhaltlichen Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 9. August 1977 nichts.

Die Beseitigung dieser Rechtswidrigkeit durch den Bescheid vom 5. Dezember 1979 stellt eine teilweise Änderung des ursprünglichen Haftungsbescheides im Wege einer Teilrücknahme dar. Eine solche berührt die Wirksamkeit des nicht betroffenen Regelungsinhaltes des ursprünglichen Verwaltungsakts nicht (§ 124 Abs. 2 AO 1977). Dieser Verwaltungsakt gilt nach Maßgabe der inhaltlichen Beschränkung, die er durch die Teilrücknahme gefunden hat, fort. Demgemäß ist auch hier der die Teilrücknahme aussprechende Verwaltungsakt (hier der Änderungsbescheid vom 5. Dezember 1979) nicht selbständig mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs angreifbar.

Auch bedurfte es hier keines Antrages nach § 68 FGO, da die Teilrücknahme i. S. des § 130 Abs. 1 AO 1977 nicht als Ersetzung oder Änderung eines Verwaltungsaktes durch einen anderen beurteilt werden kann. Im vorliegenden Fall ist vielmehr dem Klageverfahren über den inhaltlich beschränkten Haftungsbescheid vom 9. August 1977 der Fortgang zu geben. Der Kläger hat dem durch die Beschränkung seines Klageantrags Rechnung getragen und bei verständiger Würdigung der Prozeßerklärung die Hauptsache im übrigen für erledigt erklärt. Das FG wird demgemäß zu prüfen haben, ob das Haftungsbegehren des FA in Höhe von 86 378,24 DM rechtmäßig ist, was der Kläger mit seinem entsprechenden Klageantrag bezweifelt. Demzufolge ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 74211

BStBl II 1982, 292

BFHE 1982, 27

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